Senior*innen aus Papenburg und Kirchheim unter Teck lernen in Argumentationstrainings, Falschinformationen und rechtsextreme Stammtischparolen zu entkräften. Sie sind sich einig: Ihre Kinder und Enkel sollen in einer vielfältigen Gesellschaft leben, in der das Miteinander zählt.
Von Vera Ohlendorf
Die Correctiv-Recherchen zu rechtsextremen Abschiebeplänen und die Debatte um Remigration seien die Auslöser gewesen, erzählt Christine Euchner vom BürgerTreff e.V. in Kirchheim unter Teck. Der BürgerTreff versteht sich als Weiterbildungs- und Freizeitangebot für Menschen ab 60 Jahren. Im Januar 2024 habe es in dem 42.000 Einwohner*innen zählenden Ort südöstlich von Stuttgart eine Demonstration für Vielfalt und Demokratie, gegen Ausgrenzung und Rassismus gegeben, zu der auch die Senior*innen des BürgerTreffs eingeladen wurden. Viele Mitglieder des Vereins hätten sich an der Demonstration beteiligt. „Wir haben danach das Fazit gezogen, dass wir mehr tun müssen. Die Senior*innen wollten aktiv werden und sich für ein demokratisches Miteinander einsetzen“, so Christine Euchner.
Eine Ausstellung im BürgerTreff zu Lebensrealitäten von geflüchteten Menschen in Baden-Württemberg wurde organisiert. „Viele unserer Mitglieder kommen im Alltag kaum mit geflüchteten Personen in Kontakt. Wir haben eine Gesprächsrunde organisiert, in der schnell klar wurde, dass fast alle aber mit menschenverachtenden Parolen, verallgemeinernden Aussagen und Pauschalisierungen zu Migration oder anderen Themen in Kontakt kommen, zum Beispiel in der Kirchengemeinde, in Vereinen, im Freundeskreis oder in den Familien“, sagt Christine Euchner. Die Gruppe habe sich gefragt, was man tun könne, um diese Aussagen nicht kommentarlos stehen zu lassen. So sei die Idee entstanden, einen ganztägigen Workshop zu organisieren, um das Argumentieren praktisch zu üben.
Mit Humor verunsichern und Parolen entkräften
Mit der Förderung der Amadeu Antonio Stiftung konnte eine professionelle Kommunikationstrainerin gewonnen werden, die das ganztägige Seminar für 13 Teilnehmende zwischen 61 und 75 Jahren durchführte. Zu Beginn sammelten die Teilnehmenden populistische und abwertende Äußerungen, die sie immer wieder in ihrem Umfeld hören. Dazu gehörten Aussagen wie:
- „Im Krankenhaus arbeiten ja nur noch Ausländer.“
- „Für andere ist Geld da, aber für uns nicht.“
- „Die da oben haben ja nur ihr eigenes Bestes im Sinn.“
- „Ich darf mich gar nicht mehr äußern ohne als Nazi abgestempelt zu werden.“
Im Anschluss formulierten die Senior*innen die Ziele möglicher Interventionen und probten Gesprächssituationen in Kleingruppen. „Es gab sehr viel Diskussions- und Austauschbedarf dazu. Am Ende haben wir festgestellt, dass wir alle mehr üben müssen“, berichtet Christine Euchner. Strategien, die solche Aussagen hinterfragen oder mit Humor entkräften, hätten sich als wirkungsvoll erwiesen: „Wir müssen die Sorgen der Menschen wahrnehmen, die hinter solchen Äußerungen stehen. Es geht nicht darum, zu überzeugen, sondern auf Augenhöhe zu hinterfragen und zu verunsichern. Ich hätte nicht gedacht, dass Humor dabei so hilfreich sein kann“, so Christine Euchner weiter.
Während des Seminars setzten sich die Senior*innen auch mit Manipulationen rechtsextremer Parteien auf WhatsApp auseinander, um Falschbehauptungen erkennen und Kommunikationsstrategien hinter bestimmten Postings verstehen zu können. Weitere Kurzworkshops sollen folgen, um das Argumentieren praktisch zu üben. Der BürgerTreff plant außerdem neue Formate zur politischen Bildung, etwa zu kommunalpolitischen Themen und zur anstehenden Bundestagswahl. „Wir müssen mehr darüber sprechen, was gut läuft“, ist Christine Euchner überzeugt.
Papenburger Omas gegen Rechts werden angefeindet
Auch die Papenburger Omas gegen Rechts sind oft mit Infoständen auf dem niedersächsischen Marktplatz präsent und klären über rechtsextreme Ideologien und Rassismus auf. Und auch sie werden dabei immer wieder mit menschenverachtenden Parolen konfrontiert und angefeindet. „Der Rechtsruck ist hier angekommen, es gibt viele Falschinformationen. Wir stellen fest, dass der Diskurs oft nicht mehr friedlich geführt wird“, berichtet Mechtild Möller, Leiterin der Historisch-Ökologischen Bildungsstätte, die das ganztägige Argumentationstraining auf Anregung der Omas gegen Rechts organisiert hat. Rechtsextreme Parteien seien im Stadtbild präsent. „Wir wollen dem ordentlich was entgegen setzen“, sagt Gundi, die gemeinsam mit ihrem Mann und elf weiteren Rentner*innen zwischen 60 und 70 Jahren teilgenommen hat.
Das Argumentationstraining begann mit einem Austausch zu gemeinsamen Werten und Zielen. „Unsere Kinder und Enkel sollen eine gute Zukunft haben. Ein vereintes Miteinander ist ganz wichtig, denn wir brauchen hier alle. Wir wollen bunt bleiben, uns gegenseitig helfen und in einer großen solidarischen Gemeinschaft leben“, so Gundi. In ihrer Familie gebe es auch Menschen mit Behinderungen. Deren Teilhabe an der Gesellschaft sicherzustellen, sei ebenfalls eine große Motivation, sich zu engagieren. Die Grenzen des Sagbaren hätten sich spürbar verschoben.
Im Workshop wurden gemeinsame Gesprächsstrategien entwickelt und die eigenen Grenzen reflektiert. „Wichtig ist die Körpersprache und die körperliche Wirkung am Infostand“, erklärt Mechtild Möller. Auch die richtigen Fragetechniken seien entscheidend, um Pauschalisierungen und Parolen zu entkräften und Perspektiven zu verunsichern. Um praktische Beispiele und mehr Informationen zu den Themen Flucht, Migration, Rassismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu finden, nutzten die Teilnehmenden die App „Konterbunt“ der niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Viele Omas gegen Rechts sehen sich bei ihrer Arbeit neben solchen Äußerungen auch mit sexistischen Aussagen wie „Ihr solltet besser zu Hause Essen kochen anstatt hier rumzustehen“ konfrontiert.
Mut und Selbstvertrauen gewinnen
Alle Teilnehmenden seien gestärkt aus dem Training gegangen. „Es ist gelungen, die eigene Haltung zu festigen und innere Sicherheit zu gewinnen. Die Omas können sich nun abgrenzen und haben eine souveräne Körpersprache gewonnen“, freut sich Mechtild Möller. Auch in Papenburg wird es weitere Kurzworkshops gegeben, um das Argumentieren zu üben. Viele Teilnehmende hätten den Wunsch nach kollegialen Beratungen zu Sicherheitsstrategien am Infostand geäußert. Generell seien Motivation und Interesse der Senior*innen sehr hoch, da viele mit den Erinnerungen an die Zeit des Nationalsozialismus aufgewachsen seien.
Gundi will sich mit neuer Kraft weiter engagieren: „Jetzt traue ich es mir zu, den Mund aufzumachen und mich gegen rechtsextreme Parolen zu stemmen! Wir haben sehr viel Input und neue Erfahrungen mitgenommen. Jetzt werden wir sicher nicht mehr mundtot gemacht. Wir wollen noch viel mehr werden“, sagt sie entschlossen.