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Was können wir von hier aus tun? Hamburger*innen bauen solidarische Brücken zwischen (Nord-)West und Ost

Aus Café Nova wird das Ost-Café: In einer entweihten Kirche in Hamburg-Veddel kommen Menschen zusammen, die ostdeutsche Initiativen unterstützen und gegen rechtsextreme Verhältnisse ankämpfen. Foto: Amadeu Antonio Stiftung

In vielen ostdeutschen Regionen ist eine rechtsextreme Normalisierung in den Parlamenten, Institutionen und im Alltag Realität. Mit dem Ost-Café haben Hamburger*innen eine Veranstaltungsreihe gestartet, die auf Solidarität und Vernetzung gegen diese Verhältnisse setzt.

Von Vera Ohlendorf

Über 40 Menschen sind an einem Sonntagnachmittag im März im Café Nova in Hamburg-Veddel zusammengekommen. Bei Kaffee, Kaltem Hund und Kuchen lauschen sie einem Vortrag von DaMOst e.V., dem Dachverband der über 400 ostdeutschen Migrant*innenorganisationen. Anhand einer Studie geht die Referentin zunächst auf die Komplexität ostdeutscher Identitäten ein und überrascht dann mit der Tatsache, dass 94,3% der Menschen mit Migrationsgeschichte in den westdeutschen Bundesländern und in Berlin leben. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung lag 2023 in den ostdeutschen Bundesländern bei ca. 11,4%, in den westdeutschen Bundesländern bei ca. 32,9%. In Ostdeutschland sind viele migrantisierte Menschen akuten Bedrohungen durch Rassismus im Alltag und bei Behörden ausgesetzt. Seit dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt im Dezember 2024 haben Diskriminierungen und Übergriffe nicht nur dort, sondern auch insgesamt, zugenommen und erhöhen den Bedarf nach Schutzkonzepten und Sicherheitsmaßnahmen. Deshalb seien Kooperationen zwischen Communities und Organisationen in Ostdeutschland besonders wichtig. Die Anwesenden hören konzentriert zu und setzen sich anschließend anhand von Texten mit unterschiedlichen Lebensrealitäten ostdeutscher Migrant*innen verschiedener Generationen und Herkunftsländer auseinander.

Austausch, Vernetzung und praktische Unterstützung

Die Veranstaltung ist Teil der Reihe Ost-Café, zu der die Hamburger „Initiative Solidaritätszuschlag“ eingeladen hat und die von der Amadeu Antonio Stiftung unterstützt wird. „Viele von uns sind in Ostdeutschland aufgewachsen oder haben einen biografischen Bezug dazu“, sagt Henri als Teil des Organisationsteams. „Uns haben ganz verschiedene Bedürfnisse als Gruppe zusammengebracht. Zum einen gibt es den Wunsch nach Austausch hier vor Ort mit Menschen, denen es ähnlich geht. Zum anderen geht es um Vernetzung nach Ostdeutschland und darum, sich über zivilgesellschaftliche Strukturen dort zu informieren. Gleichzeitig wollen wir mit Ressourcen unterstützen“, fasst Henri die Ziele der Arbeit zusammen, die seit sechs Monaten ehrenamtlich geleistet wird. Das Ost-Café öffnet an wechselnden Orten in Hamburg Räume, um Lobbyarbeit für zivilgesellschaftliche Projekte und Initiativen zu machen, die sich gegen Rechtsextremismus und Rassismus in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen engagieren. Dabei ist es den Organisator*innen wichtig, verschiedenen Themen und Ansätzen eine Bühne zu bieten. Schon die ersten Veranstaltungen mit Queerpride Dresden und dem Netzwerk Polylux sind auf großes Interesse gestoßen.

„Wenn man aus dem Osten kommt oder länger dort gewohnt hat, beschäftigt es einen natürlich, was dort gerade abgeht und wie Menschen und Initiativen dort von rechtsextremer Gewalt betroffen sind. Viele Hamburger*innen aus unserem Umfeld fragen sich, wie sie von hier aus aktiv werden können“, sagt Thea, die ebenfalls zum Team gehört. Um Antworten auf diese Frage zu finden, sei es hilfreich, in den persönlichen Kontakt zu gehen und Bedarfe aus erster Hand zu hören. Häufig würden dann Vernetzung und finanzielle Unterstützung genannt.

Ganz praktischen Support organisiert die Initiative gemeinsam mit dem Bündnis „Demminer Bürger e.V.“ in Mecklenburg-Vorpommern. In der Kleinstadt rufen Rechtsextreme jedes Jahr am Tag der Befreiung am 8. Mai zu einem „Trauermarsch“ auf, der geschichtliche Tatsachen leugnet. Die Hamburger Aktiven unterstützen das Bürgerbündnis bei der Organisation von Gegenveranstaltungen vor Ort und vermitteln Kontakte.

Rechtsextremismus ist kein allein ostdeutsches Problem

„In den nächsten Jahren wird die politische Situation auch in Hamburg schwieriger werden“, ist sich Thea sicher. „Noch leben wir hier in einer Wohlfühlbubble, aber der wachsende Rechtsextremismus wird früher oder später auch uns härter treffen. Es ist wichtig, dass wir schauen, was andere Menschen an Strategien entwickeln und überlegen, wie man vorbeugen kann. Wir wollen jetzt Verbündete und Netzwerke suchen. Das Ost-Café ist keine One-Way-Geschichte“. Und Henri ergänzt: „Uns beschäftigt auch, was aus Menschen wird, die jetzt nicht mehr in Ostdeutschland wohnen können. Im Freundeskreis höre ich häufiger, dass engagierte Menschen, die sich seit Jahren gegen die Verhältnisse engagieren und immer mehr angefeindet werden, einfach ausgebrannt sind, nicht mehr können und nach Hamburg ziehen. Unsere Arbeit kann auch einen Raum bieten, die Leute ein bisschen aufzufangen.“

Nach dem Vortrag von DaMOst stellen die Teilnehmenden viele Nachfragen, diskutieren und formulieren Ideen, um auch in Hamburg Menschen mit Migrationsgeschichte besser in Demokratieprojekte einzubinden.

Henri und Thea freuen sich über die positive Resonanz. Das Ost-Café ist nach drei Veranstaltungen zum Selbstläufer geworden: „Wir müssen kaum jemanden anfragen, viele Menschen kommen mit Ideen auf uns zu, um ostdeutsche Initiativen hier bekannter zu machen“, sagt Henri zum Abschluss.


Die Amadeu Antonio Stiftung fördert u.a. Projekte, die solidarische Allianzen bilden oder Kooperationen zwischen ostdeutschen und westdeutschen oder zwischen großstädtischen und ländlichen Initiativen zum Ziel haben. Wir freuen uns über Anträge! Alle Infos dazu sind hier zu finden.

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