Am 23. Februar 1992 wurde die 68-jährige Jüdin und Shoa-Überlebende Blanka Zmigrod in Frankfurt am Main von dem schwedischen Rechtsterroristen John Ausonius aus nächster Nähe mit einer Pistole erschossen.
Einige Tage vor der schrecklichen Tat war Ausonius zu Gast in einem Restaurant im Frankfurter Westend, in dem Zmigrod an der Garderobe arbeitete. Er beschuldigte das spätere Opfer, seinen Casio-Taschencomputer gestohlen zu haben und führte hierüber eine verbale Auseinandersetzung mit Zmigrod. Er war ihr gegenüber aggressiv, drohte ihr und machte rassistische Äußerungen bezüglich ihres osteuropäischen Namens. Der Casio-Rechner enthielt Daten zu verschiedenen Bankkonten und falschen Identitäten, wie die Staatsanwaltschaft später herausfand. Am besagten Abend suchte der Täter Zmigrod mit einem Fahrrad in unmittelbarer Nähe zu ihrem Wohnhaus in Frankfurt am Main auf. Er tötete Blanka Zmigrod mit einem Kopfschuss, nahm ihre Handtasche und flüchtete.
Wer war Blanka Zmigrod?
Blanka Zmigrod wurde am 22. Januar 1924 in Chorzów (Polen) geboren. Bis zur Machtergreifung der Nazis lebte sie mit ihrer Familie in Oberschlesien. Ab 1937 war es ihr als Jüdin nicht mehr möglich, das deutsche Gymnasium zu besuchen. Als die Wehrmacht 1939 in Chorzów (damals Königshütte) einmarschierte und unweit von Zmigrods Zuhause die Synagoge in Brand steckte, gelang es der Familie, nach Bedzin zu fliehen. Kurz darauf wurde Zmigrod im Alter von 16 Jahren verhaftet, ins Ghetto Bedzin gebracht und musste dort Zwangsarbeit leisten. Es folgten weitere Konzentrationslager. In Auschwitz wurde Blanka Zmigrod die Nummer A8275 auf den Arm tätowiert. Nachdem sie einen 60 Kilometer langen Todesmarsch bei -20 Grad überlebte, wurde sie in dem Konzentrationslager Mauthausen 1945 von US-Soldaten befreit.
1950 wanderte Zmigrod nach Israelaus, wo ihr Leben endlich eine positive Wendung nahm. Sie fand einen Job in einem kleinen Eiscafé in Tel Aviv und lernte ihre Lebensliebe Sascha Feldmann kennen. Verwandte von Zmigrod erzählen, dass das Leben in Israel für Zmigrod wie eine “Wiedergeburt” gewesen sein. Bereits 1960 folgte Zmigrod Sascha Feldmann nach Deutschland zurück, wo sie fortan in Frankfurt lebte. 1991 fand sie eine neue Arbeitsstelle an der Garderobe in dem Restaurant Mövenpick. Ihre Kolleg*innen beschreiben sie als zuverlässige Person und beliebte Kollegin.
In Schweden gesuchter Rechtsterrorist
Vor dem Mord in Frankfurt hatte der Täter John Ausonius eine rassistisch motivierte Anschlagsserie in Schweden verübt: Zwischen August 1991 und Januar 1992 schoss er auf insgesamt elf Migrant*innen und ermordete einen von ihnen. Da er bei seinen Taten ein Laserobjektiv verwendete, nannten schwedische Medien ihn „Lasermann“. Ausonius war flüchtig, bis er nach dem Mord an Zmigrod in Schweden verhaftet und im Januar 1994 wegen der Anschlagsserie und einer Reihe von Banküberfällen zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.
Ausonius war bereits bei den ersten Ermittlungen im Mordfall Blanka Zmigrod im Visier der deutschen Behörden. Seine Auslieferung nach Deutschland erfolgte jedoch erst im Jahr 2016, eine Anklage wegen Mordes durch die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main wurde erst im Mai 2017 erhoben. Warum es nicht bereits früher intensivere Bemühungen gegeben hatte, Ausonius wegen Mordes anzuklagen, bleibt ungeklärt und wurde auch in der Urteilsbegründung kritisiert.
Verurteilung 26 Jahre nach der Tat
Im deutschen Prozess wurde das Tatmotiv seitens der Richterin und Staatsanwaltschaft im verschwundenen Casio-Rechner vermutet, einen rassistischen oder antisemitischen Hintergrund hielten sie für weniger wahrscheinlich. Ob der Täter die jüdische Identität des Opfers erkannt haben könnte, bspw. an Zmigrods KZ-Tätowierung, die offensichtlich zu sehen war, oder an der Herkunft ihres Namens, konnte nie geklärt werden. Eine politische Bewertung wurde im Prozess kaum vorgenommen, auch die Wirkung der Tat kam nicht zur Sprache. Das Schicksal Blanka Zmigrods blieb auch deshalb lange unbekannt, es gab weder einen Gedenkort noch einen öffentlichen Hinweis auf ihre Ermordung.
Am 21. Februar 2018 wurde John Ausonius schließlich zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt – fast auf den Tag genau 26 Jahre nach der Tat.
Dank des jüdischen Aktivisten und Autoren Ruben Gerczikow wurde im Jahr 2022 in Frankfurt an der Ecke Kettenhofweg und Niedenau – dem Ort, an dem Blanka Zmigrod erschossen wurde – eine Gedenktafel errichtet. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass diese Gedenktafel zu klein geraten ist und im Alltag untergehen dürfte.
Vorbild für die militante Neonaziszene
Für seine grausamen Taten wurde Ausonius nach seiner Verhaftung in Schweden von der extremen Rechten verehrt. In den 1990er Jahre kursierten in rechtsextremen Kreisen T-Shirts mit der Aufschrift „Lasermann – ein Lichtblick im Dasein“. Der Rechtsterrorist Anders Breivik nannte Ausonius vor Gericht als Vorbild und in einem Manual des neonazistischen Netzwerks Blood & Honour wurden seine Taten als Beispiel für den sogenannten Führerlosen Widerstand genannt. Darüber hinaus ähneln Ausonius’ Taten denen des rechtsterroristischen Nationalsozialistischen Untergrund (NSU), weshalb es als möglich erscheint, dass sein Vorgehen als Vorlage für das deutsche Terrornetzwerk diente.
Ob Blanka Zmigrod ermordet wurde, weil sie Jüdin war, oder ob tatsächlich der verlorene Casio-Rechner Auslöser für die Tat war, kann nicht abschließend geklärt werden. Die Tat geschah jedoch im Zusammenhang einer rechtsterroristischen Anschlagsserie und es erscheint durchaus möglich, dass der Täter Zmigrod aus rechtsextremen Motiven ermordet hat. Der Fall wird deshalb als Verdachtsfall geführt.