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“There is no secret handshake” – Rap gegen Verschwörungsmythen

Vorhang auf für Entschwörung! Wie etwa, im Video zum ironischen WACHT AUF!!!!!!! von Edgar Wasser, in dem der Rapper geschickt und voller bitterbösen Humor, die Logiken maskulinitischer Verschwörergläubiger wie Kollegah und Xavier Naidoos aufdeckt (© Screenshot YouTube, Edgar Wasser - WACHT AUF!!!!!!!!)

Deutschrap ist verschwört oder wenigstens verstrahlt. Zumindest wenn man dem Tagesspiegel glauben schenkt. Und ja, die Deutsche Rapszene scheint sich in den letzten Wochen viel Mühe zu geben, gängige Klischees zu bestätigen. Covid-19 lässt die Verschwörungserzählungen nur so aus dem Boden sprießen. Dass Kollegah, wenn er nicht gerade als neokolonialer Retter Fernseher in Palästina verteilt, ein Problem mit “geheimen Mächten” im Dunkeln hat, eine Belohnung auf die “Aufklärung” von “Pizzagate” aussetzt und grundsätzlich gerne auf antisemitische Codes zurückgreift, ist da beinahe schon kalter Kaffee.

Von Nikolas Lelle und Lorenz Blumenthaler

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Mittlerweile geben ganz andere den raunenden Ton an. Xavier Naidoo zum Beispiel. Der ist zwar kein Rapper, sondern wahrscheinlich eher Soul-Sänger, doch durch seine ehemals antirassistische Vergangenheit bei den Brothers Keepers (Adriano Letzte Warnung) und zahlreiche andere Features prägte er auch den politischen Kosmos des Deutschrap. Just dieser Xavier ist nun in einem anderen Business tätig: dem Verbreiten von oftmals antisemitischen Verschwörungserzählungen. Gut, dass zuvor niemand vor Xaviers Antisemitismus und Reichsbürgerideologie gewarnt hatte…

Dabei fällt es schwer, überhaupt noch den Überblick zu behalten, denn viele dieser Verschwörungserzählungen werden nicht erst seit der COVID-19-Pandemie verbreitet. Ein Beispiel ist etwa die Erzählung von Ali Bumaye, der über geheime Verschwörer*innen rappt, die mit US-Präsidenten paktieren. Auch Fler darf dabei natürlich nicht fehlen. Bei ihm dreht sich alles ums Business: Corona als großangelegter Mafia-Betrug. Privater Telegram-Channel, über den munter Verschwörungserzählungen verbreitet werden inklusive. Die Mythen sind nicht neu, aber sie werden offensiver und prominenter verbreitet.

Doch auch andere Rap-Urgesteine, die in der bürgerlichen Mitte, irgendwo neben Mark Forster und Max Giesinger angekommen sind, wie Sido, raunen nun von “sehr reichen, sehr mächtigen Leuten”, die Kinder verschwinden ließen. In einem Interview mit Sido, geführt von Ali Bumaye, ging es schnell um die Rothschilds und die “unterwanderten Medien”. Da hat wohl einer zu viel Zeit in der Telegram-Gruppe von Xavier Naidoo verbracht?

“Keiner regiert die Welt / Wirklich keiner / Keiner regiert die Welt”  Grim104 – Cro Hafti Herzl

Fakt ist: Verschwörungserzählungen waren im Deutschrap, wie auch in der Mitte der Gesellschaft, immer da. “Rap war schon immer ein Musikmedium”, in dem die “Kritik an sozialen Verhältnissen und politischen Eliten in Verschwörungsfantasien eingebunden wurde”, so der Politikwissenschaftler Jakob Baier, der zum Zusammenhang von Rap und Antisemitismus forscht. Das gelte seit etwa zehn Jahren zunehmend auch für den Deutschrap. Auffällig ist aber, dass es sich dabei um ein “genrespezifisches Phänomen” handelt, ”das am häufigsten und deutlichsten im deutschsprachigen Gangsta-Rap auftaucht”.

Hier zeigt sich laut Baier, “dass gesellschaftliche Phänomene häufig als globale Verschwörung oder als sinistre Machenschaften einer im dunklen verborgenen Elite gedeutet werden.” Der Politikwissenschaftler führt das auch darauf zurück, dass der Gangsta-Rap so männlich geprägt ist: “Bei der genrespezifischen Inszenierung von männlicher Macht und männlicher Stärke spielen Verschwörungsideologien häufig eine zentrale Rolle.” Verschwörungsmythen im Rap gehen mit einer Krise der Männlichkeit einher, die wir auch bei führenden Verschwörungsideologen wie Attila Hildmann, Xavier Naidoo und Ken Jebsen beobachten können. Es geht um das Überhöhen der eigenen Person in Zeiten großer Verunsicherungen und das wehrhafte Nach-Außen-Schlagen bei Verunsicherungen, die eine Pandemie nun mal darstellt – klassisch hegemonial-männliche Bewältigungsstrategien.

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Zur Zeit der Coronavirus-Pandemie tauchen die Verschwörungsmythen also nicht zum ersten Mal auf. Vielmehr werden sie jetzt lauter, prominenter und offensiver vertreten. Denn auch Rapper*innen haben nun weniger zu tun. Und das genreübergreifend. Wenn selbst ein Sido, der wohl mit zu den kommerziell erfolgreichsten Popstars in Deutschland gehört und im Laufe seiner Karriere zahlreiche Wandlungen durchlief, sich auf gängige Verschwörungsmythen aus den USA bezieht,  dann sind die Verschwörungserzählungen dort angekommen wo sie niemals weg waren – in der sogenannten Mitte der Gesellschaft.

Es ist aber falsch aus alledem ein allgemeines Urteil abzuleiten. Deutschrap an sich ist nicht verstrahlt, auch wenn es so scheint. Es gibt auch ganz andere Stimmen, die seit Langem gegen dieses Verschwörungsgeraune angehen. Es sind Stimmen, die die Entschwörung auf die Tagesordnung des Deutschrap setzen, die versuchen, den Verschwörungsmythen positive Utopien entgegenzusetzen, die sie enttarnen und lächerlich machen. Es ist zu einfach ein ganzes Musikgenre, das zur Zeit Deutschlands einflussreichste Jugendkultur darstellt, zu verteufeln. Vielmehr sollte es darum gehen, dort zu intervenieren und zu kritisieren wo Kritik angebracht ist und gleichzeitig die Stimmen sichtbarer zu machen, die sich klar gegen Verschwörungsmythen, Antisemitismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeitim Rap positionieren. Es ist Zeit,  diesen Stimmen besser zuzuhören.

Die Kritik an Verschwörungserzählungen, die dieser Teil des Deutschrap liefert, bedient sich einer ganzen Palette verschiedener Stilmittel: der Satire, der sozialen Ächtung, der Frage, als Mittel des gut gestreuten Zweifels sowie des Debunkings, das im Grunde das tut, was Journalist*innen immer häufiger tun müssen: Unwahrheiten mit Fakten zu widerlegen. Es handelt sich um Stilmittel, die sich von den Empfehlungen unserer Handreichungen gar nicht so sehr unterscheiden. Gegen Verschwörungsmythen muss man mit all diesen Mitteln vorgehen, im Freund*innenkreis, in der Familie, in der Öffentlichkeit, der sogenannten Mitte der Gesellschaft – und eben auch im Deutschrap. Es gibt auch im Rap jetzt schon viele, die das tun. Zeit, dass es noch mehr werden!

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