Stimmen der Amadeu Antonio Stiftung zur Debatte um die taz-Kolumne von Hengameh Yaghoobifarah
Stimmen aus der Amadeu Antonio Stiftung zur Debatte um Hengameh Yaghoobifarahs Kolumne "All cops are berufsunfähig"
Unsere Kolleg*innen Arnon Hampe, Catarina, Duha, Golschan Ahmad Haschemi, Leon und Rosa Fava teilen ihre Perspektive zur Debatte um Hengameh Yaghoobifarahs Kolumne "All cops are berufsunfähig".
„Heimat ist dort, wo man kritisieren darf” schreibt die Sozialanthropologin Joanna Pfaff-Czarnecka in ihrem Essay über Zugehörigkeit in der mobilen Welt.
In der Debatte um den Artikel „All cops are berufsunfähig“ wird ein weiteres Mal deutlich, wem dieses Recht zugesprochen wird und wem nicht. Ja, wem abgesprochen wird, sich überhaupt zu bestimmten, z.B. deutsch-deutschen Themen zu äußern. Und was ist deutsch-deutscher als Polizeigewalt? Das lässt sich allein historisch belegen – nicht ohne Grund feierten am 08. Mai in Deutschland Jüdische Menschen, Schwarze Menschen, Menschen of Color die 75-jährige Befreiung vom NS-Regime. Wir wissen, was wir feiern – und was nicht. Und wir wissen, was auch nach 75 Jahren jeden verdammten Tag auf dem Spiel steht. Diese Demokratie, in der wir leben, scheint auf dünnem und extrem fragilem Eis zu stehen, wenn der Innenminister sich seiner Position so sicher fühlt, dass er bereit ist, öffentlich einen solchen Amtsmissbrauch anzukündigen, eine solche Drohgebärde zu präsentieren.
Dass die Gesellschaft nicht berechtigt zu sein scheint, mit Polizei und Polizeigewalt kritisch und hart ins Gericht zu gehen, wissen wir nicht erst seit der wiederholten und andauernden Verschleierung der Verantwortung und der Täter_innenschaft der staatlichen Polizeiorgane im Kontext des NSU.
Erst recht also steht solch eine Kritik Positionen und Autor_innen nicht zu, welche gar nicht erst als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft von dieser gesehen werden. Vielmehr bekommen wir Plätze zugewiesen, von denen wir uns aber nicht zu weit entfernen dürfen: „Bloß nicht zu frech werden! Know your place und sei dankbar für das, was wir (sprich die Mehrheitsgesellschaft) dir für einen Platz zugewiesen haben.“
Hengameh Yaghoobifarahs Texte stießen schon lange Leser_innen auf, die es nicht gewohnt sind, dass ihre Norm, ihr Status Quo herausgefordert wird. Ob nun aus weißer oder aus heterosexistischer Mehrheitsposition. Der taz bescherte Hengameh mit den Texten Mal um Mal hohe Klick-Zahlen. Dass sich Teile der taz nun gegen eine_n eigene_n Autor_in wenden, weil es ihnen zu heikel geworden ist, kennen viele BIPOC aus eigener Profession und Berufserfahrung: solange wir brav die Erwartung und den Bedarf erfüllen, der an uns gestellt wird, sind wir geduldet oder sogar willkommen. Jedoch: Sobald es zu heikel wird, werden wir fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. Und genau hierin liegt die zusätzliche Gefahr, der sich öffentliche und laute Stimmen aus marginalisierten Positionen ausgesetzt sehen: Wenn es drauf ankommt, wenn es hart auf hart kommt, wirst du von denjenigen, die dich zuvor im Auftrag von „Diversity“ vor sich hergeschoben haben, fallen gelassen. Zu heiß. Ob das nun die künstlerische Leitung eines deutschen Stadttheaters, die Chefredaktion einer bundesweiten Tageszeitung oder der Präsident einer deutschen Stiftungsuni ist. Mit ihrem Urteil steht und fällt unsere Credibility, unsere Professionalität, unsere Daseinsberechtigung im Berufsfeld. Mit ihrem Rückzieher, nachdem Artikel abgesegnet und veröffentlicht wurden, mit ihrer hinterhergeschobenen Distanzierung, ziehen sie sich selbst aus der Verantwortung und lassen uns zurück, allein auf weißer Flur. Und dass sie das können, dass sie sich selbst retten können, obwohl sie offensichtlich als Verantwortliche wissen und auch wissen müssen, was unter ihrer Leitung veröffentlicht wird, verweist auf das eingangs verwendete Zitat: Sie dürfen kritisieren, weil ihre Daseinsberechtigung, ihr Anspruch auf die sogenannte Heimat, nicht in Frage steht. Ja, vielleicht bekommen sie mal eins auf die Finger, aber zugleich ist der Weg zur Rehabilitierung nicht weit: Sie müssen dafür nur die richtige – nämlich aus gesellschaftlicher Perspektive nichtige – Person aufgeben. Als BIPOC, die in (bildungs-)politischen Berufen stecken, stehen wir also permanent im Zwiespalt: vertrauen wir weißen Vorgesetzten, die uns versichern, dass sie die Sache mit der Diskriminierung und der Notwendigkeit für Diversity sehen und verstehen? Gehen wir das Risiko ein, uns auf ihre (Lippen-)Bekenntnisse einzulassen? Rechnen wir damit, was passiert, wenn wir kurz vergessen haben, welcher Platz uns zugewiesen wurde und wir unerlaubter Weise zu viel Raum eingenommen haben? Verzichten wir darauf und somit aber auch auf die Werkzeuge unserer Leidenschaft, mit denen wir uns ausdrücken wollen und können?
Ich habe keine eindeutige Antwort auf diese Fragen - aber ich weiß, dass meine Geschwister und ich tagtäglich einen Spagat auf dem Seil zwischen Risiko und Chance schaffen müssen – und das ganz ohne Sicherheitsnetz.

Muss ich Hengameh Yaghoobifarahs häufig satirische, aber oft auch ziemlich selbstreferentielle, und manchmal schmerzhaft simplifizierende Texte mögen? Nein, muss ich nicht! Muss ich mich Hengameh Yaghoobifarah gegenüber solidarisch zeigen, wenn wegen einer solchen im Ton etwas schrillen satirischen Kolumne über Polizeigewalt Beleidigungen und Bedrohungen ausgesprochen werden? Unbedingt!
Die Kausalität, die der Bundesinnenminister und andere zu ziehen versuchen zwischen Yaghoobifarahs Text und den Krawallen in Stuttgart, ist absurd. Dort waren ja mit hoher Wahrscheinlichkeit keine taz-Leser*innen am Werk, die, angestachelt durch einen satirischen Text, Polizist*innen angegriffen haben. Umgekehrt ist zu fragen, ob die riots in Stuttgart und anderswo nicht (auch) ein Resultat der gewaltförmigen Verhältnisse sind, unter denen Menschen tagtäglich leben und leiden. Diese Debatte muss geführt werden, ohne, dass dabei Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung gutgeheißen werden muss.
Der Vorwurf, Hengameh Yaghoobifarah habe Polizist*innen, also Menschen, mit Müll gleichgesetzt, entspricht bei genauer Lektüre des Textes nicht der Wahrheit. Erstens, spricht Yaghoobifarah über Polizist*innen als Funktionsträger*innen der staatlichen Exekutive, nicht als Privatpersonen. Zweitens, setzt Yaghoobifarah sie nicht mit Müll gleich, sondern sagt, die Müllhalde wäre der richtige Arbeitsplatz für sie, an dem sie keinen Schaden anrichten können.
Wie gesagt, diese Tonalität muss man nicht mögen, aber was aus diesem Text jetzt alles abgeleitet wird, ist eine Überreaktion sondergleichen. So wie auf jede Anzeige gegen Polizeibeamt*innen unweigerlich die Gegenanzeige folgt.

"Wenn man sich an den Fall Jan Böhmermann 2016 erinnert, als dieser ein satirisches Gedicht über den türkischen Präsidenten Erdoğan präsentierte, erkennt man wichtige Unterschiede: Böhmermann hat Erdoğan als jemanden bezeichnet, der Ziegen f****, von seinem Dönergestank und dem schöneren Geruch eines Schweinefurzes geredet. Dass solche Bilder zutiefst rassistisch sind oder auch mit dem Bezug auf Schweine ein antiislamisches und antisemitisches Ressentiment bedienen, hat quasi niemanden interessiert. Damals sahen sich alle als Literaturkritiker*innen und wussten: Das ist Satire und Satire darf das. Jetzt ist es umgekehrt: Die wenigsten sehen in dem Artikel Satire und bemerken, dass Yaghoobifarah über eine Berufsgruppe und deren Funktionen spricht. Beim Schmähgedicht Böhmermanns gegen Erdoğan wurde nicht die 'Berufsgruppe' der Staatspräsident*innen wegen ihrer negativen Eigenschaften angegriffen, und es galt als politische Kritik. Yaghoobifarah schreibt über Missstände in der Polizeiarbeit, ein innenpolitisches Problem der Institution Polizei, und trennt Mensch und Beruf. Der Vergleich hat natürlich viele Grenzen, macht aber deutlich, das vollkommen unterschiedliche Maßstäbe angesetzt werden."

„Dass Horst Seehofer als Innenminister Journalist*innen angreift ist sehr gefährlich. Wo sind diejenigen Personen, die immer auf Meinungsfreiheit pochen, wenn es um das n-Wort oder Witze gegenüber Minderheiten geht? Warum sind viele plötzlich still, jetzt wo es tatsächlich um Meinungs-und Pressefreiheit geht? Wo bleibt die Solidarität in Zeiten, wo cis-Männer wie Jan Böhmermann oder Oliver Pocher sexistische, rassistische und antisemitische Witze machen dürfen? Wo eine Satire aber mit einer Anzeige geahndet werden soll. Ist es nicht auch ziemlich grotesk, dass Horst Seehofer sein Vorhaben, Hengameh anzuzeigen, über die Bild am Sonntag verlauten ließ – eine sogenannte „Zeitung“, die für ihre (rassistische und diskriminierende) Hetze bekannt ist.“

Horst Seehofer sagte im Bundesausschuss für Inneres und „Heimat“ zur Causa Hengameh Yaghoobifarah: „Solche Artikel lösen bei verwirrten Geistern möglicherweise auch Taten aus. Deshalb ist es für mich keine Bagatelle“. Verwirrte Geister? Lösen Taten aus? Wer im Glashaus sitzt… aber sei es drum. Und trotzdem: Wenn er nicht mit zweierlei Maß messen würde, warum schreitet der „Heimat“-Minister dann nicht ein, wenn ein Stuttgarter Ordnungshüter Samstagnacht die „Verantwortlichen" für die Ausschreitungen als „K*******“ bezeichnet?
Warum erstattet er nicht Anzeigen gegen Björn Höcke, der in seinem Buch schreibt, dass ein „Remigrationsprojekt nur mit Gewalt zu schaffen“ sei?
Warum nicht gegen Alexander Gauland, als er sagte, "Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“?
Und apropos Abfall und zweierlei Maß - hier ein paar Zitate von AFD-Funktionären, die auch gerne in diesen Metaphern sprechen. Wo war der Schützer von Taten verwirrter Geister hier?
Alexander Gauland: „Das sagt eine Deutsch-Türkin. Ladet sie mal ins Eichsfeld ein und sagt ihr dann, was spezifisch deutsche Kultur ist. Danach kommt sie hier nie wieder her und wir werden sie dann auch, Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen können."
Petr Bystron: „Und da hat mein Freund Dr. Gauland 100-prozentig Recht – solche Menschen müssen wir selbstverständlich entsorgen."
Jörg Meuthen: „Bescheidenheit bei der Entsorgung von Personen ist unangebracht."

Wir müssen uns mindestens bei Hengameh für das Engagement für die progressive Entwicklung dieser Gesellschaft bedanken. Stattdessen wird in den sozialen Netzwerken geschrieben, dass Hengameh diese Hetzkampagne nur provoziert habe, um sich selbst ins Gespräch zu bringen und davon zu profitieren. Ein Totschlagargument mit dem schon immer kultureller Wandel verhindert wurde. Es geht in Hengamehs Engagement um nichts weniger, als die Lebensrealität derer zu vermitteln, die durch die Polizei nicht genauso behandelt werden, wie die Mehrheit der Deutschen.
Wenn Hengameh einfach mal die Vorzeichen verdreht und ein Szenario beschreibt in dem Polizist_innen so behandelt werden, wie es andere Menschen in diesem Land jeden Tag über sich ergehen lassen müssen - ohne dabei durch Verbeamtung und Uniform gepolstert zu sein - dann werden nicht nur alle Regeln der Rechtsstaatlichkeit über Bord geworfen, sondern die Kulturnation zeigt, wie kultiviert ihr autoritärer Charakter ist.
Was hier als Menschenverachtung gegenüber der Polizei (ganz so als wären sie schon eine eigene Minderheit) dargestellt wird, ist in Wirklichkeit ein Dienst an der Gesellschaft. Schließlich reißen die Nachrichten über rechtsextreme Gruppierungen in Polizei und Bundeswehr nicht ab und die Reaktionen aus offiziellen Kreisen hinterlassen den Eindruck, dass man sich mit diesem Zustand schon seit Jahrzehnten gemütlich eingerichtet hat.
Wer in Hengamehs Text eine Gefahr für die Gesellschaft sieht, dürfte angesichts der akuten Gefahr für die Zivilgesellschaft, die von schwerst bewaffneten Rechtsterroristen innerhalb der Polizei und der Bundeswehr ausgeht, nachts kein Auge mehr zu bekommen.
Nein, diese Debatte zeigt, dass die Arbeit von Hengameh eine Bereicherung für die gesamte Gesellschaft ist, die - entgegen der kleingeistigen Behauptungen - in keinem auch nur annähernd angemessenen Verhältnis geschätzt und entlohnt wird. Auch das muss sich ändern.
