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Todesopfer rechter Gewalt

Sächisches Innenministerium macht homofeindlichen Foltermord nachträglich unsichtbar

Der 27-jährige Christopher W. wird am 17. April 2018 von drei Rechtsextremen aus queerfeindlichen Motiven brutal gefoltert und umgebracht. Illustration: Moritz Stumm

2018 wird in Sachsen ein schwuler Mann von Rechtsextremen gefoltert und ermordet. Doch als Todesopfer rechter Gewalt gilt Christopher W. jetzt nicht mehr. 

Inhaltswarnung: Extreme Gewaltschilderung

Am 17. April 2018 wird der 27-jährige Christopher W. von drei Rechtsextremen aus queerfeindlichen Motiven gefoltert und umgebracht. Die Täter schlagen und treten auf ihn ein. Sie nutzen dafür u.a. eine abgebrochene Leuchtstoffröhre und zertrümmern seinen Schädel mit einer Tür. Das sächsische Innenministerium listet Christopher W. 2019 zunächst als Todesopfer rechter Gewalt in der Statistik politisch motivierter Gewalt-rechts (PMK-rechts). Eine Kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Juliane Nagel enthüllt nun, dass diese Einstufung seit November 2024 nicht mehr gilt.

Bis zur Unkenntlichkeit massakrieren die drei Neonazis ihr Opfer. Die Gerichtsfotos dokumentieren das unvorstellbare Ausmaß des Exzesses: Schädel und Kiefer sind zertrümmert, dort wo die Nase war, ist nur noch ein Loch zu sehen. Die drei Täter, 22, 22 und 26 Jahre alt, halten ihren Gewaltrausch fotografisch fest, teilen die Bilder in Whatsapp-Gruppen und prahlen mit der Tat. Sie kennen ihr Opfer. Christopher W. wohnte mit zwei der Täter, Terenc H. und Jens H., seit mehreren Jahren im selben Haus im sächsischen Aue, sie waren vermeintlich „befreundet“. Der dritte Täter, Stephan H., stieß erst einen Monat vor dem Mord zur Gruppe dazu.

Die „Freundschaft“ der vier jungen Männer beruht jedoch auf der Vorstellung einer grundlegend unterschiedlichen Gleichwertigkeit. Laut einem Bericht der taz behandeln die Täter Christopher W. wie einen Sklaven. Sie schickten ihn zum Klauen, sehen in ihm einen „Opfertypen“ und bezeichnen ihn als „schwach“. Oft kommt es auch zu Misshandlungen, sie brechen ihm die Nase und schneiden seinen Arm mit einem Cuttermesser auf. Wenige Tage vor dem Mord erfährt Stephan H., der Neuling in der Gruppe, von der Sexualität von Christopher W., der offen schwul lebt. H. macht kein Geheimnis aus seiner Homofeindlichkeit und findet „sowas ekelhaft“, heißt es im Urteil. Ein Zeuge sagt aus: „Das Verhältnis von H. zu Christopher war nicht so gut, weil Christopher schwul war. Er hat ,Du Schwuchtel, verpiss dich‘ gesagt. Es war ein Schwulenhass. An dem Tag, wo wir auf dem Postplatz standen, sagte er: ,Die Schwuchtel ist auch noch dran.’“

Christopher W. gilt als aufgeweckt und fröhlich. Er macht eine Ausbildung zum Koch. Ein paar Monate lang lebt er in einer festen Partnerschaft. Viel über sein Leben ist nicht in Erfahrung zu bringen: Seine Eltern sind verstorben, seine Stiefmutter möchte nicht über ihn oder die Ereignisse sprechen.

„Die Tat überschreitet meinen Verstand“

Die Polizei kann die drei Täter schnell ausfindig machen. Die Ermittlungen decken deren rechtsextreme Einstellung auf, die die Tat zu einem Gegenstand der politischen Kriminalstatistik machen. Der Mord wird infolgedessen dem Innenministerium gemeldet, Christopher W. wird 2019 als Todesopfer rechter Gewalt staatlich anerkannt.

„Diese staatliche Anerkennung war eine wichtige Entscheidung. Denn eine Entpolitisierung erschwert die Aufklärung von Straftaten und eine verbesserte Prävention“, erklärt Robert Lüdecke von der Amadeu Antonio Stiftung. „Es geht aber auch um eine würdige Erinnerung, außerdem hat die Einstufung als politisch motivierte Straftat auch ganz konkret materielle Auswirkungen für Opfer und Angehörige.“ Im Rahmen des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) haben sie rechtliche Ansprüche auf finanzielle Hilfe für Verdienstausfall, Schmerzensgeld oder Behandlungskosten. Die Stiftung dokumentiert im Rahmen ihrer Chronik der Todesopfer rechter Gewalt 220 Todesopfer rechter Gewalt seit der Wiedervereinigung 1990, auch um die Abweichung zu den staatlich erfassten Fällen transparent zu machen und für die offizielle Anerkennung zu streiten. Lediglich 116 der 220 Tötungsdelikte wurden bislang seitens Behörden als politisch motiviert eingestuft, nun musste die Stiftung diesen Zähler auf 115 verringern.

Vor Gericht haben Staatsanwalt, Gutachter und die Richterin keine Worte zu Rechtsextremismus. „Die Tat überschreitet meinen Verstand“, sagt Staatsanwalt Stephan Butzkies in seinem Plädoyer. Dass gerade diese Nichterklärbarkeit des grausamen Tatverlaufs und der Tat selbst ein Hinweis auf ein rechtes Tatmotiv sein kann, kommt dem Staatsanwalt nicht in den Sinn. Die Täter sahen ihr Opfer als ungleich, schwach und lebensunwürdig an – Eine Wahrnehmung gefärbt von der sozialdarwinistischen Vorstellung der Ungleichwertigkeit von Menschen, die in brutale Gewalt gegen den „Volksfeind“ mündet.

Die polizeilichen Ermittlungen und Aussagen von Zeug*innen, die das Innenministerium zunächst dazu bewogen haben, die Tat als „rechtsmotiviert“ einzustufen, finden vor Gericht keine Beachtung. Ein psychiatrischer Gutachter wird zwar zu dem Fall hinzugezogen, er soll allerdings lediglich überprüfen, ob bei den Tätern psychiatrische Anomalien vorliegen. Ohne konkreten gerichtlichen Auftrag erklärt er, dass die Täter ein rechtes Motiv in der Befragung nicht angegeben haben. Die Täter kommen mit einem Totschlag-Urteil davon, ein niederes Tatmotiv wird ausgeschlossen.

Rechtsextreme Einstellung der Täter ist offensichtlich

Stephan H. erscheint zur Urteilsverkündung im Thor-Steinar-Shirt – einer Neonazi-Marke. H. ist der Polizei alles andere als unbekannt. Seine Sympathie mit dem Nationalsozialismus trägt er ganz offen zur Schau. Er fällt durch queerfeindliche Äußerungen auf, hört Rechtsrock in der Öffentlichkeit und hat auf seinen beiden Handrücken eine Variante des Hakenkreuzes tätowiert, die auch von der Neonazi-Organisation Blood and Honour genutzt wird. Auf Facebook postet er Reichskriegsflaggen, NS-Symbole und verherrlichende Inhalte zum Zweiten Weltkrieg. Die Wände in seinem Zimmer zieren Bilder von SS-Soldaten und ein Reichsadler mit Hakenkreuz. Seinem Ausbilder in der Werkstatt, in der er arbeitet, schenkt er einen selbst gebastelten Holzschlüsselanhänger in Form eines Hakenkreuzes.

Auch die anderen beiden Täter, Jens H. und Terenc H., haben zum Tatzeitpunkt über zwanzig Einträge in ihrer Polizeiakte, darunter auch rechtsextreme Straftaten. So fiel Terenc H. 2013 auf, weil er oberkörperfrei über einen Platz in Aue läuft, auf seiner Brust prangt ein Hakenkreuz. Ein Jahr später wirft Jens H. Glasflaschen auf einen älteren Mann, der ihn aufgrund seiner Tattoos und „Sieg-Heil“-Rufen zurechtgewiesen hatte. Auch Jens H. hat ein Hakenkreuz und SS-Runen tätowiert. 2017 wird die Polizei erneut auf die beiden Männer aufmerksam, weil sie antisemitische Parolen gegrölt haben sollen. Außerdem sind sie in zahlreiche andere Delikte wie Körperverletzungen, Sachbeschädigungen, Diebstahl, Betrug und Brandstiftung verwickelt.

Abgleich mit dem Gerichtsurteil führt zur Auslistung

Eine Kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Juliane Nagel vom 31. März 2025 deckt nun auf, dass das Innenministerium Christopher W. nach einem Abgleich der eigenen Statistik mit den dazugehörigen Gerichtsurteilen aus der staatlichen Statistik rechts-politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK) wieder entfernt hat. Zwar „sehen die „bundeseinheitlichen Richtlinien des KPMD-PMK (…) keinen Abgleich mit der Justiz vor. Anlässlich von Anfragen hatte das Staatsministerium des Inneren (…) politische motivierte Tötungsdelikte dennoch (…) einem Abgleich bei der Justiz unterzogen.“, so das sächsische Innenministerium in der Antwort auf die Anfrage.

Das Innenministerium entscheidet sich abseits der Öffentlichkeit dazu, die eigene Expertise und Falldokumentation zu revidieren. Die „in den polizeilichen Ermittlungen identifizierten Nebenaspekte (Opfer: homosexuell, Täter: teils homophob und rechtsmotivierte Vorerkenntnisse)“ finden in der Neubewertung des Falls keine Berücksichtigung mehr. Eine Entscheidung, die das Vertrauen in die Objektivität und Verlässlichkeit der Erfassungskriterien der PMK-rechts schmälert.

„Nicht nachvollziehbar“ – Linke und Opferberatung kritisieren die Entscheidung

Juliane Nagel bezeichnet die Entscheidung in einer Pressemitteilung zur Kleinen Anfrage als „irritierend und nicht ansatzweise nachvollziehbar.“ „Vor dem Hintergrund des Falles und des Urteils erscheint mir die Entscheidung, hier weder von einer rechtsmotivierten noch von einer homofeindlichen Tat auszugehen, als komplett willkürliche Erfindung.“

Auch die Opferberatung SUPPORT des RAA Sachsen e.V. kritisiert ein  „völlig falsches Signal“. Hass, Hetze und Gewalt gehören für queere Menschen zum grausamen und feindseligen Alltag. Die wenigsten Betroffenen bringen die Vorfälle zur Anzeige. Die Dunkelziffer queerfeindlicher Gewalt ist nun wieder gewachsen. „Wir haben keine Zweifel an der bisher korrekten Einordnung der Tötung als politisch motivierte Gewalttat durch das LKA im Jahr 2019. Die Ausstufung ist angesichts der bekannten Fakten nicht nachvollziehbar“, meint auch Andrea Hübler, Co-Geschäftsführerin des RAA Sachsen e.V.

Die Ausstufung durch das sächsische Innenministerium ist ein politischer Akt und Ausdruck rechtsextremer Landnahme. Wo Rechtsextreme an Raum gewinnen, wird ihre Gewalt normal und kann entpolitisiert werden. Ein Schlag ins Gesicht für Betroffene und Angehörige.

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