»Reichsbürger« und Souveränisten
Basiswissen und Handlungsstrategien über Reichsbürger
Am Morgen des 7. Dezembers gingen die Sicherheitsbehörden bundesweit gegen die organisierte Reichsbürger-Szene vor: Im Zuge einer großangelegten Razzia kam es zu 25 Festnahmen. Der Vorwurf: Die Vorbereitung „staatsgefährdender Straftaten“. Wir ordnen die Gruppe, deren Mitglieder, Ideologie und Hintergründe ein.
Es ist eine Razzia beispiellosen Ausmaßes und ein wichtiger Schlag gegen die vernetzte rechsextreme Reichsbürger-Szene: Mit einem Großaufgebot von 3.000 Beamt*innen in elf Bundesländern stürmten Spezialkräfte der Polizei am Morgen mehrere Wohnungen und nahmen mindestens 25 Verdächtige fest. Rund 50 Frauen und Männern wird vorgeworfen, eine terroristische Vereinigung gebildet zu haben.
Die Gruppe zeigt: Reichsbürger und Souveränist*innen sind keine “harmlosen Spinner”, sondern gewaltbereite und gut vernetzte Rechtsextreme. In diesem Fall reichen die Verbindungen vom Querdenken- und Esoterik-Milieu über Soldaten und Polizisten bis hin zu einer ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten und Richterin.
Reichsbürger halten die Bundesrepublik Deutschland für einen nicht rechtmäßigen Staat. Im aktuellen Fall planten die Rechtsextremen einen Sturz der Bundesregierung und die Errichtung eines Staats nach Vorbild des Deutschen Reichs von 1871. Legitimiert werden sollte dieser Staat durch die Einsetzung von Heinrich XIII. Prinz Reuss als “Regent”. Der Adelige aus Thüringen verbreitet schon lange Reichsbürger-Thesen, u.a. dass die BRD “von den Alliierten besetzt” sei. Das Fürstenhaus Reuss hat sich von ihm distanziert.
Basiswissen und Handlungsstrategien über Reichsbürger
Polizei, Justiz, Militär und Gesundheitswesen
Die personelle Zusammensetzung des heute hochgenommenen Reichsbürger-Netzwerks zeigt zum einen, wie durchdacht die Pläne der Gruppe waren: Von Polizist, über Jurist bis Richterin und Ärztin – hier wurde gezielt ein Schattenkabinet mit dem nötigen Knowhow und entsprechenden Verbindungen aufgebaut. Dazu kommen ehemalige Bundeswehr- und KSK-Soldaten, die die nötige militärische Schlagkraft mitbringen und als “bewaffneter Arm” die Umsturzfantasien in die Tat umsetzen sollten. Personen, die in den entsprechenden Kreisen verkehren, um militärisch ausgebildete Gleichgesinnte zu gewinnen.
Hier hat sich ein “Kabinett” formiert, das aus Berufsgruppen besteht, die selbst zur kritischen Infrastruktur und einer “intellektuellen Elite” gehören. Das schützt nicht davor, demokratiefeindlichen Ideologien zu folgen. Im Gegenteil: es soll legitimieren, dass gegen den Staat vorgegangen wird, weil man ja “exklusives Wissen“ habe. Es handelt sich um Personen, die das Potenzial haben, als Galionsfiguren zu wirken und so die nötige Überzeugungskraft mitbringen, um weitere Anhänger*innen zu rekrutieren und den Ton anzugeben. Denn man habe ja schließlich Ahnung und wisse deshalb, dass man im Recht sei.
Schon seit mehreren Jahren warnen die Amadeu Antonio Stiftung und andere, dass Reichsideologie mitnichten nur am gesellschaftlichen Rand anschlussfähig ist. Es handelt sich um eine Brückenideologie, die milieuübergreifend wirkt und bei der auch intellektuelle Eliten ein ideologisches Zuhause finden.
Kurz nach der Großrazzia gegen die “Reichsbürger”-Szene sind viele Fragen im Raum: Wie geht es jetzt weiter, was bedeuten die Festnahmen für die Szene selbst, aber auch für die Sicherheitsbehörden? Eines steht zumindest schon mal fest: Alleine kann der Kampf gegen “Reichsbürger” und Verschwörungsgläubige nicht geführt werden, dafür braucht es die gesamte Gesellschaft. Ein Interview mit Benjamin Winkler von der Amadeu Antonio Stiftung in Sachsen.
„Tag X“ – Umsturzfantasien und Widerstands-Erzählungen
Ideen eines bewaffneten Umsturzes, wie sie den heute festgenommenen Reichsbürgern vorgeworfen werden, kursieren schon lange und in vielfältiger Form. Nicht erst seit der Pandemie gibt es u.a. in Telegram-Chats Aufrufe, sich zu organisieren und auf einen “Tag X” vorzubereiten. So malt beispielsweise der neurechte Publizist Manfred Kleine-Hartlage für sein Buch „Systemfrage“ im rechtsextremen Antaios-Verlag einen „neuen 20. Juli 1944“ an die Wand, um solch einen gewaltsamen Umsturz auch noch als grundrechtskonform darzustellen: „Unter der Maßgabe des Grundgesetzes sind Soldaten und Polizisten dabei nicht nur berechtigt, einem verfassungsfeindlichen Regime Widerstand zu leisten (…), sie sind durch ihren Dienst- beziehungsweise Fahneneid dazu verpflichtet“, so Hartlage.
Für ihn steht außer Frage, dass die politische Klasse „die verfassungsgemäße Rechtsordnung der Bundesrepublik aus den Angeln gehoben hat“. Argumentationen wie diese ebnen einer gewaltsamen Radikalisierung bis zu Umsturzfantasien den Weg. Diese Leute nehmen das nicht nur in Kauf, sie zielen darauf ab. Gerade weil sie sich im legitimen Widerstand gegen ein System wähnen, das sie nicht anerkennen und ablehnen. Diese Widerstands-Erzählung, auch in Bezug auf den 20. Juli, ist gerade in militärischen und polizeilichen Milieus besonders anschlussfähig.
Oder warum rechtsextreme Terror-Ereignisse immer öfter nicht allein passieren, sondern sich vielmehr aufeinander beziehen. Nach den Razzien gegen die Reichsbürgerszene nimmt jetzt der Halle-Attentäter Geiseln im Gefängnis bei Magdeburg. Große Telegram-Gruppen des verschwörungsideologischen Spektrums tragen ihn plötzlich im Namen: Tag X.
Reichsbürger – Chronik der Gewalt
Welche immense Gefahr von rechtsextremen und bewaffneten Reichsbürger-Milieus ausgeht, zeigt auch das heutige Vorgehen der Sicherheitsbehörden. Neben dem Sondereinsatzkommando (SEK) wurde auch die Grenzschutzgruppe 9 (GSG9) als Terror-Abwehreinheit herangezogen. Das hat gute Gründe, denn in der Vergangenheit kam es selbst bei routinemäßigen Einsätzen bei Reichsbürgern zu massiver Waffengewalt gegen Verwaltungsbeamt*innen, Polizist*innen und Spezialkräfte, die als Repräsentanten des Staats als besonderes Feindbild der Szene gelten.
Überblick zu den Reichsbürger-Razzien: Was waren die konkreten Terrorpläne? Wie viel Waffen hatten die Reichsbürger*innen? Welche Vernetzung gibt es ins Militär? Wer gehört zum verschwörungsideologischen Netzwerk?
Sie lehnen die Bundesrepublik ab und wollen sie teilweise stürzen, auch mit Waffengewalt: Reichsbürger*innen. Wer sind sie und was zeichnet sie und ihre Ideologie aus? Sind alle Reichsbürger rechtsextrem?
Bei den bundesweiten Razzien am 7. Dezember 2022 gegen eine Reichsbürger-Gruppierung, die in Deutschland einen Umsturz plante, sind auch AfD-Mitglieder verhaftet worden: eine ehemalige Bundestagsabgeordnete und ein ehemaliger Stadtrat aus Sachsen.
Basiswissen und Handlungsstrategien über Reichsbürger