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Hintergründe

Rechtsextremer Terror 2.0: Massive Radikalisierung im digitalen Raum

Mitte März ermordete ein rechtsextremer Australier in Christchurch 50 Muslim*innen. Der Täter sah sie als Feinde in einem Krieg um die „weiße Identität“. Wie er darauf kam? Er radikalisierte sich durch rechtsextreme Ideologie im Internet – dieses wurde schließlich auch zur Bühne seiner Tat.

In den sozialen Medien hat sich eine unkorrigierbare Parallelwelt gebildet – unkorrigierbar, da ihre Anhänger*innen an ihrer Version der Welt festhalten, auch wenn fundierte Informationen sie widerlegen. Für die Anhänger dieses Weltbilds ist klar: Derzeit findet ein “großer Austausch” statt, die deutsche Bevölkerung wird durch Fremde ersetzt. Manche sprechen in diesem Zusammenhang sogar von einem “Genozid an Weißen”. Den Anhänger*innen steht es dabei frei, ob dieser Austausch nur die Folge des demographischen Wandels, einer muslimischen Invasion oder Teil der jüdischen Weltverschwörung ist. Auch der Attentäter von Christchurch war Anhänger dieser rechtsextremen Verschwörungsideologie: sein sogenanntes Manifest trug den Titel “The Great Replacement” (“Der große Austausch“).

Über die Idee einer vermeintlichen “weißen Identität”, die bedroht werde, lassen sich rechtsextreme Konzepte inzwischen weltweit verwenden. Im Internet sind Ideologieschriften für Rassist*innen und Rechtsextreme in der ganzen Welt zugänglich. Beim Attentäter von Christchurch allerdings dient das Internet nicht nur der Inspiration, sondern auch als Teil der Tat selbst.

Zwar nannte der Attentäter in Christchurch als Vorbild für seine Tat den Massenmörder Anders Breivik. Dieser hatte im Jahr 2011 in Norwegen 77 Menschen getötet. Dennoch gibt es einige deutliche Unterschiede im Vorgehen der beiden rechtsextremen Gewalttäter. In Christchurch übertrug der Täter seine Morde live im Internet – eine neue Dimension der Unmittelbarkeit. Das Manifest lässt Rückschlüsse darauf zu, wie sich der Attentäter radikalisierte: Während beispielsweise Breiviks 1516 Seiten langer Text eine gefestigte, durchgehende Ideologie erkennen ließ, bestanden die 74 Seiten des Australiers aus altbekannten, zusammen kopierten Versatzstücken verschiedener rechtsextremer Ideologien aus unterschiedlichen im Internet zugänglicher Quellen.

Neben vorbereiteten Antworten auf mögliche Fragen von Journalist*innen finden sich in dem Text viele Verweise auf eine internationale Internet-Meme- und Troll-Kultur – ein beliebtes Propaganda- und Radikalisierungswerkzeug. Memes bedienen sich oft grenzwertigen Humors mit sexistischen, rassistischen und antisemitischen Mustern. Rechtsextreme geben in diesem Rahmen gerne vor, etwas “ja nur als Witz” gemeint zu haben. Unter dem Deckmantel des Humors können sie somit ihre offene Menschenverachtung stets abstreiten. So rief der Attentäter vor seiner Tat “subscribe to Pewdiepie”, ein momentan sehr beliebtes Meme im Internet. Pewdiepie ist der derzeit erfolgreichste Youtuber (90 Millionen Menschen haben ihn abonniert). Er ist in der Vergangenheit öfter durch grenzwertigen Humor aufgefallen. Seit dem Terroranschlag wird diese Phrase oft unter problematisch wahrgenommen Bildern von vermeintlichen Migrant*innen als dog-whistle (wörtl. “Hundepfeife”, eine Pfeife deren Töne nur von Hunden gehört werden kann) verwendet: Es verstehen also nur Eingeweihte die eigentliche Bedeutung und eine klare Positionierung lässt sich öffentlich abstreiten.

Durch die gleichzeitige Verbreitung im Internet fällt der Hass direkt und unmittelbar auf weiteren, fruchtbaren Boden. Dem Täter ist damit geglückt, was er anstrebte: Teil der Hasskultur im Internet zu werden, ein Vorbild für Memes und bedrohliche Anspielungen. Seine Ideologie und sein Vorbild werden so Teil der demokratiefeindlichen Agitation, die rechtsextreme Kreise betreiben, um das herbeizuführen, was ihnen als einzige “Lösung” zur Rettung der “weißen Identität” erscheint: ein Bürgerkrieg. Ihm diesen Erfolg so weit wie möglich zu nehmen erfordert nun die konzertierte, gemeinsame Aktion von Plattformbetreibern und Zivilgesellschaft zur Verteidigung von Gleichwertigkeit und Demokratie, die zeigt, wo die Grenzen des Tolerablen überschritten sind.

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