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„Offener Prozess“: Die Wahrheit ist wichtig, damit sich Geschehenes nicht wiederholt

© Projekt "Offener Prozess" / ASA-FF e.V.

Im kommenden Jahr jährt sich die Selbstenttarnung des NSU zum zehnten Mal. Der Gerichtsprozess der Terrorserie ist mittlerweile abgeschlossen. Überlebende Opfer, Familien und Angehörige wurden in der mündlichen Urteilsverkündung im Juli 2018 jedoch nicht adressiert. Die Marginalisierung und Ausblendung ihrer Perspektiven zieht sich durch die Ermittlungsarbeit, die Berichterstattung und auch durch den Gerichtsprozess des NSU-Komplex. Aber ihre Erlebnisse und Erfahrungen sollen in Erinnerung bleiben, wahrgenommen, gewürdigt werden. Hierfür engagiert sich das Projekt „Offener Prozess“ aus Chemnitz, das durch die Amadeu Antonio Stiftung gefördert wird.

Von Carlotta Voß

In einer lebhaften und interaktiven Ausstellung möchte das Projekt im nächsten Jahr sowohl in Chemnitz als auch in Zwickau an das gefährlichste rechtsextreme Terrornetzwerk seit 1945 erinnern. Denn hier ist nach wie vor ein breites Netzwerk von Unterstützer*innen des NSU zu Hause, das ungestraft aus dem Prozess hervorging. Die daraus resultierende Botschaft: „Ihr könnt so weitermachen“ akzeptiert das Projekt „Offener Prozess“ nicht und setzt mit seinem Vorhaben eine klare und starke Gegenbotschaft.

Jahrelang nicht gehört, sondern verdächtigt worden

Im Mittelpunkt steht deswegen migrantisches Leben in Ostdeutschland. „Für uns sind die Betroffenen Expert*innen, ihre Erlebnisse sollen im Zentrum von „Offener Prozess“ stehen“, sagt Jörg Buschmann, der gemeinsam mit Hannah Zimmermann das Projekt leitet. In Kurzfilmen, Stadtrundgängen, Forschungsarbeiten und der Vernetzung verschiedener Projekte, die sich deutschlandweit mit dem Themenkomplex NSU beschäftigen, sollen diese Erfahrungen festgehalten und gewürdigt werden.

Schon im Jahr 2016 wurden bei dem Theatertreffen „Unentdeckte Nachbarn“ zahlreiche Ideen für eine Ausstellung gesammelt. Einige von ihnen wollen die Engagierten nun umsetzen, um bestehende Narrative neu zu beleuchten und auch strukturelle Veränderungen anzuregen. Die Vielzahl an Perspektiven, die in die finale Ausstellung einfließen, sollen dazu führen, dass die Verantwortlichen zur Verantwortung gezogen werden und die Würde der Betroffenen wiederhergestellt wird.

So berichten für die Ausstellung Zeitzeug*innen in kurzen Filmsequenzen von ihren Erlebnissen und Erfahrungen. Denn viele der hier lebenden Menschen mit Migrationsbiographie sind von den rechtsextremen Strukturen in Zwickau und Chemnitz betroffen. Sie wollen sich äußern, ihre Geschichten erzählen und vor allem: gehört werden. Auch und gerade weil sie Jahre lang nicht gehört, sondern verdächtigt wurden. Dabei sind ihre Geschichten, ist die Wahrheit wichtig, damit sich Geschehenes nicht wiederholt.

Sie sprechen zum ersten Mal über ihre schmerzhaften Erinnerungen

In einer der Filmsequenzen berichtet ein Zeuge vom ersten Überfall des NSU-Trios auf einen Supermarkt in Chemnitz. Er erzählt, wie das NSU-Trio nach dem Überfall auf ihn schoss. Er versuchte das Trio zu stellen, es wurden Schüsse auf Höhe seines Kopfes abgegeben, die glücklicherweise daneben trafen. Als ein versuchtes Tötungsdelikt wurden diese Schüsse jedoch nie geahndet. Auch eine Familie aus Werder bei Zwickau erzählt, wie sie als ehemalige Vertragsarbeiter*innen Angriffe auf ihr Wohnhaus und ihre Geschäfte erleben mussten. Die Familie spricht für das Projekt das erste Mal über ihre schmerzhaften aber so wichtigen Erinnerungen, die mit der Zeit immer weiter aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwinden.

Um das Vergessen zu verhindern, will das Projekt „Offener Prozess“ auch Erinnerungsorte schaffen. In Stadtrundgängen durch Chemnitz werden Menschen erreicht, die sich vorher noch nicht mit dem NSU-Komplex auseinandergesetzt haben. „Man spricht natürlich auch Probleme an, die die Leute nicht hören wollen, da gibt’s dann auch Abwehrreaktionen“, bemerkt Jörg Buschmann. Diese halten sich jedoch bisher in Grenzen. Überwiegend positive Rückmeldungen habe er bisher erhalten und viele wertvolle Perspektiven gesammelt, die in die finale von Ayşe Güleç und Fritz Laszlo Weber kuratierte Ausstellung einfließen können.

Mehr Informationen zum Projekt: https://offener-prozess.de/

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