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Nach den Landtagswahlen: Wie geht’s der Zivilgesellschaft im Erzgebirge?

Es ist was los im Erzgebirge! Hier beim Stains in the Sun Festival 2018. Bildrechte: Philipp Lindenau
Es ist was los im Erzgebirge! Hier beim Stains in the Sun Festival 2018. Bildrechte: Philipp Lindenau

Von Charlotte Sauerland und Franziska Schindler

Der Wahlkampf ist vorbei, die letzten Stimmen ausgezählt, die Medienvertreter*innen kehren in die Großstädte zurück, der Sommer neigt sich dem Ende zu. Die schlimmsten Befürchtungen haben sich nicht bewahrheitet: Mit 27,5 % liegt die AfD knapp hinter der CDU – zumindest im Landesdurchschnitt. Anders im Erzgebirge: In Annaberg-Buchholz und Schwarzenberg wurde sie stärkste Kraft. Wie ist die Stimmung bei denen, die vor Ort für ein demokratisches Miteinander gekämpft haben?

Stopp 1 auf den Höhen des Erzgebirges: Schwarzenberg. Eric ist dort seit seiner Jugend aktiv. Seitdem ist der gebürtige Johanngeorgenstädter mit rechtsextremen Strukturen konfrontiert. Auch Ressentiments gegen ihn und seine Freund*innen, eine Clique aus Alternativen, Punks und HipHoppern, sind ihm aus Schulzeiten allzu bekannt. „Mit unserer Einstellung gegen Rechts sind wir regelmäßig auf Ablehnung gestoßen“, berichtet er, „Wenn wir von rechten Jugendlichen verprügelt wurden, wurde das gerne als Streitigkeit zwischen Heranwachsenden abgetan“. Die Selbstenttarnung des NSU belegte für die Freund*innen ein weiteres Mal die Existenz von Nazistrukturen: „Dass Unterstützerinnen und Unterstützer des NSU-Trios auch aus unserer Region kamen, hat uns leider nicht überrascht“, erzählt Eric.

Sie könnten nach Leipzig oder Berlin ziehen, um sich nicht weiter mit Übergriffen, Ressentiments und rechtsextremen Positionen konfrontieren zu müssen. Aber Eric und seine Freund*innen geben ihr Zuhause nicht auf und gründen den Verein Agenda Alternativ – mit dem Ziel, Strukturen zu schaffen, die eine Gegenkultur zum rechten Mainstream ermöglichen: „Wir wollten jungen Menschen eine andere Perspektive geben, als in der Garage zu sitzen und Landser zu hören“.

Heute organisiert der von der Amadeu Antonio Stiftung unterstützte Verein mit „Stains in the Sun“ das größte Festival im Erzgebirge – dieses Jahr zum siebten Mal. Und wie Eric findet, erfolgreicher denn je: „Wir konnten seit 2013 viele junge Menschen dafür gewinnen, sich im Verein zu engagieren“. Neben Konzerten gehören auch Workshops zu rechtsextremen Strukturen im Erzgebirge oder Antiziganismus im benachbarten Tschechien zum Programm. Aus anfänglicher Skepsis – „Funktioniert das denn auch auf dem Dorf?“ – ist Enthusiasmus geworden: „Dann kommen zum Festival 500 Menschen oder bei einer Abendveranstaltung sitzen plötzlich 60-70 Leute!“

Stopp 2: Lugau. Von hier aus hat der Kreisjugendring Erzgebirge die U18-Wahlen für Jugendliche in der Region koordiniert. „Die hohen Zustimmungswerte für die AfD hätten wir nicht erwartet, denn die Jugendlichen arbeiteten interessiert bei unseren Veranstaltungen mit. Aber dieses allgemeine Murren setzt sich bis in die Jugend fort“, erklärt Vorstand Dietmar Franze, „Viele der Meinungen der Jugendlichen sind von den Erfahrungen der Elterngeneration in der Nachwendezeit geprägt. Dabei hat sich die Situation für Jugendliche heute gebessert.“ Der Kreisjugendring will deshalb ein neues Projekt auf die Beine stellen, bei dem Jugendliche darüber diskutieren, wie sie sich Teilhabe an der Gesellschaft vorstellen. Vom Kreisjugendring werden sie dabei unterstützt, sich anschließend in die Lokalpolitik einzubringen.

Auch wenn die AfD nicht zur Regierungspartei wird, sind die Folgen rechtsradikaler Stimmengewinne seit einiger Zeit deutlich spürbar. „Bei Verwaltungen und Kommunalpolitik ist viel Angst, sich auf dünnem Eis zu bewegen und wenig Mut, Haltung zu zeigen“, beobachtet Eric. Dietmar Franze sieht das ähnlich: „Wir als größerer Verband der Jugendarbeit im Erzgebirge erleben keine direkten Anfeindungen. Allerdings ist es schon vorgekommen, dass unser Bildungsangebot Demokatieparcours von einer Schule abgelehnt wurde mit der Begründung, sie wollten keine politischen Diskussionen in der Schule. Dabei geht es bei unserem Angebot um die Vermittlung von Grundwerten“, und resümiert: „Wenn Schulen als zweite Erziehungsträger nach den Eltern kneifen, dann ist das schon ein Zeichen, was nachdenklich stimmt.“

Wie sie in die Zukunft blicken? „Natürlich haben wir Sorgen, wie es jetzt weitergeht, aber wir wollen uns keine Angst machen lassen!“, davon ist Eric überzeugt. „Wenn man es kurz zusammenfassen will: Jetzt erst recht!“

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