Die Initiator*innen der Spendenkampagne „Wie viel Macht 1 Euro“ und die Amadeu Antonio Stiftung geben knapp 80 % der Spendengelder* an den neu eingerichteten Fonds Tilda zur Unterstützung von Betroffenen geschlechtsspezifischer Gewalt. Wir beantworten Fragen rund um die Spendenaktion und die Verwendung der Gelder.
1. Wie viel Geld bekommt die Amadeu Antonio Stiftung von der Spendenplattform betterplace.org überwiesen?
Die Spendensumme auf der Spendenplattform betterplace.org betrug 826.037 Euro. Von dieser Summe bekam die Amadeu Antonio Stiftung abzüglich der 2,5 Prozent Transaktionskosten von betterplace.org 805.144,67 EUR Euro überwiesen.
2. Wofür wird das Geld konkret ausgegeben?
Seit Beginn der Spendenaktion konnte die Amadeu Antonio Stiftung eine Summe von insgesamt 98.400,95 Euro für Anwält*innenkosten und Therapiekosten an Frauen zusichern, die sich im Zuge der Vorwürfe gegen den Sänger der Band Rammstein, Till Lindemann, als Betroffene meldeten. Angesichts der überwältigenden Spendenbereitschaft, und nach beratenden Gesprächen mit dem bff: Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe hinsichtlich der Bedarfe für Betroffene geschlechtsspezifischer Gewalt, haben sich die Amadeu Antonio Stiftung und die Initiator*innen der Kampagne “Wie Viel Macht 1€” dazu entschieden, 622.743,72 Euro und damit einen Großteil der Spendengelder nachhaltig zur Unterstützung von Betroffenen geschlechtsspezifischer Gewalt einzusetzen. Hierfür ist der Fonds Tilda bei der #STATTBLUMEN gUG (haftungsbeschränkt) gegründet worden. #STATTBLUMEN ist eine Initiative von Feministinnen, die sich mit Beginn der Corona-Pandemie durch verschiedene Aktionen Gehör verschafft hat, um für mehr Geschlechtergerechtigkeit zu kämpfen. Mehr über #STATTBLUMEN und den Fonds Tilda erfahren Sie hier im Interview. Sollten sich in den nächsten 12 Monaten noch weitere mögliche Betroffene im Fall Rammstein melden, wird dieser Betroffenengruppe innerhalb des Fonds 100.000 Euro zur Verfügung gestellt. Damit soll allen mutmaßlich Betroffenen im Fall Rammstein noch einmal das Signal gegeben werden, dass sie nicht alleine sind und sich weiterhin melden können, um Hilfe zu bekommen.
Wie bereits im Spendenaufruf angekündigt, wird auch der Sheroes Fund unter Verwaltung der Amadeu Antonio Stiftung einen Teil der Spendensumme in Höhe von 50.000 Euro verwenden, um auch weiterhin Frauen, trans*, inter* und non-binäre Personen zu unterstützen, die aufgrund ihres Einsatzes gegen Diskriminierung und menschenverachtende Einstellungen angefeindet und bedroht werden. 34.000 Euro decken die entstandenen Kosten für die intensive Beratungsarbeit für Betroffene sowie für juristische Konsultation zur Umsetzung der Kampagne.
3. Wie werden die Gelder also genau verteilt?
Ab dem Zeitpunkt der Information der Spender*innen über die aktuellen Entwicklungen am 16. April 2024 räumte betterplace.org allen Spender*innen eine vierwöchige Kulanz zur Rückerstattung der Spende ein, sollten sie nicht mit der Verwendung der Gelder einverstanden sein. Während dieses Zeitraums wurden Spenden in einer Höhe von insgesamt 126,75 EUR (zzgl. 2,5% Betterplace.org-Gebühr) zurückgefordert und dementsprechend zurückerstattet. Von der Spendenplattform betterplace.org haben wir schließlich 805.144,67 EUR überwiesen bekommen.
Prozentuale Verteilung der Spendengelder „Wie Viel Macht 1€“
- Fonds Tilda #STATTBLUMEN (inklusive 100.000 € für mögliche weitere Rammstein-Betroffene): 78,6 % – 633.029,47 €
- Bereits zugesicherte Unterstützung für Rammstein-Betroffene: 11,0 % – 98.400,95 €
- Sheroes Fund: 6,2 % – 50.000 €
- Kosten zur Umsetzung der Kampagne: 4,2 % – 34.000 €
4. Wenn Tilda 622.743,72 Euro € erhält, was passiert mit dem restlichen Geld der Spendenkampagne?
Wie bereits oben dargelegt, werden die Frauen, denen bereits eine finanzielle Unterstützung zugesichert wurde, 98.400,95 Euro erhalten.
Von den 622.743,72 Euro Euro an Tilda werden 100.000 Euro für mögliche Betroffene zurücklegt, die sich im Zuge der Vorwürfe gegen den Sänger der Band Rammstein, Till Lindemann, eventuell noch melden werden, um diese bei Bedarf unterstützen zu können.
Die Amadeu Antonio Stiftung wird 50.000 Euro an den Sheroes Fund geben, um damit Frauen, trans*, inter* und non-binären Personen zu helfen, die aufgrund ihres Einsatzes gegen Rassismus, Antisemitismus und andere menschenverachtende Einstellungen angefeindet und bedroht werden.
34.000 Euro decken die entstandenen Kosten für die intensive Beratungsarbeit für Betroffene sowie für juristische Konsultation zur Umsetzung der Kampagne.
Gleichzeitig muss betont werden, dass die Initiator*innen der Kampagne keinerlei Spendengelder erhalten werden, da sie die „Wie Viel Macht 1 €“-Kampagne ausschließlich ehrenamtlich geführt haben. Der Sheroes Fund entstand im April 2021 durch Jasmina Kuhnke, ihre Unterstützer*innen und die Amadeu Antonio Stiftung im Nachgang zu der Kampagne „Deine Spende für Shero Jasmina Kuhnke“.
5. Die Spendenkampagne startete im Sommer 2023. Warum geht ihr erst jetzt an die Öffentlichkeit, um über den Stand der Kampagne zu berichten?
Zunächst wurde priorisiert, mit Betroffenen über ihre Erfahrungen im Kontext der Vorwürfe gegen den Sänger der Band Rammstein, Till Lindemann, zu sprechen und diese zu beraten, welche Möglichkeiten der Unterstützung es gibt. Währenddessen mussten die Initiator*innen der Kampagne „Wie Viel Macht 1€“ und die Amadeu Antonio Stiftung angesichts der überwältigenden Spendensumme auch ausloten, wie das Geld neben der Unterstützung von mutmaßlichen Rammstein-Betroffenen am nachhaltigsten wirken kann. Dazu gab es intensive Gespräche, auch im Hinblick auf mögliche Kooperationspartner*innen für den geplanten Fonds sowie juristische Beratung. Wir wären selber lieber früher an die Öffentlichkeit gegangen, wollten aber unbedingt gewährleisten, dass alle Voraussetzungen für den Fonds gegeben sind. Dies hat nun mehr Zeit in Anspruch genommen als erwartet. Mit #STATTBLUMEN wurde schließlich eine gemeinnützige Organisation gefunden, die sich bereits seit Jahren für Geschlechtergerechtigkeit einsetzt und seit dem Winter 2021 am Konzept des Fonds für Betroffene geschlechtsspezifischer Gewalt arbeitet. Allerdings fehlte dafür bislang das ausreichende Startkapital. Mehr Infos zur Gründung von Tilda findest du hier im Interview.
6. Warum gebt ihr das Geld weiter?
Wir geben das Geld weiter, da die Amadeu Antonio Stiftung seit ihrer Gründung darauf setzt, bestehende Strukturen zu stärken, die eine spezialisierte Fachkenntnis und praktische Erfahrung mitbringen. Dafür unterstützt die Stiftung Initiativen finanziell, damit sie selbstständig handeln können und so das Bestmögliche erreichen können. Für diesen Grundsatz haben wir uns auch bei Verwendung der Spendengelder der “Wie Viel Macht 1€”-Kampagne entschieden: Deutschlandweit gibt es ein bestehendes großes Netzwerk an Fachberatungsstellen, die Betroffene geschlechtsspezifischer Gewalt unterstützen unter dem Dach des bff: Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe. Dabei wurde eine Leerstelle immer wieder sichtbar: Die Anfragen nach finanzieller Unterstützung von Frauen, die von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen waren, mussten in vielen Fällen aufgrund mangelnder Gelder abgelehnt werden. Dank der erfolgreichen Spendenkampagne und der Einrichtung dieses Fonds erhalten Beratungsstellen zukünftig ein Stück mehr Sicherheit, um Betroffene geschlechtsspezifischer Gewalt bei anfallenden Kosten finanziell zu unterstützen, die von staatlichen Leistungen oft nicht gedeckt sind oder für deren Erstattung in vielen Fällen die Hürden zu hoch sind. Die Mittelauszahlung über Tilda startet regulär im Januar 2025.
7. Ich bin selbst eine Betroffene im Fall Rammstein. Gibt es weiterhin die Möglichkeit, dass ich Unterstützung erhalte? Und wenn ja, wohin muss ich mich wenden?
Wenn du selbst betroffen bist, kannst du dich an tilda@stattblumen.org wenden. Tilda kann dir einen Kontakt zu einer Beratungsstelle innerhalb des bff: Bundesverbands Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe vermitteln. Unter folgendem Link des bff findest du auch direkt Hilfsangebote in deiner Nähe: https://www.frauen-gegen-gewalt.de/de/hilfe-vor-ort.html
8. Was ist geschlechtsspezifische Gewalt?
Geschlechtsspezifische Gewalt ist jede Form von Gewalt, die Menschen aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit erfahren. Dazu gehören alle Gewalthandlungen, durch die Frauen und Mädchen körperlich oder psychisch verletzt werden, eben, weil sie Frauen oder Mädchen sind. Auch trans*, inter und nicht-binäre Personen sind sehr häufig von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen. Geschlechtsspezifische Gewalt ist Ausdruck eines Macht-Ungleichgewichtes. Es gibt viele Erscheinungsformen von geschlechtsspezifischer Gewalt: körperliche Gewalt, sexualisierte Gewalt und sexuelle Belästigung, psychische Gewalt und strukturelle Gewalt, die persönliche Freiheiten und Lebenschancen einschränkt. Geschlechtsspezifische Gewalt ist in Deutschland weit verbreitet. Etwa jede dritte Frau ist oder war von körperlicher und/oder sexualisierter Gewalt betroffen, jede zweite hat sexuelle Belästigungen erlebt.
9. Wie viele Frauen haben sich gemeldet?
Aus strategisch-juristischen Gründen kann die genaue Zahl nicht genannt werden. Durch die Spendenaktion konnte die Stiftung in mehreren Fällen eine Summe von insgesamt 98.400,95 Euro zusichern. Zu weiteren Betroffenen bestand Kontakt, die zwar keine finanzielle Unterstützung, aber fachliche oder anwaltliche Vorberatung erhalten haben.
10. Was hat die Unterstützung von Betroffenen geschlechtsspezifischer Gewalt mit dem Stiftungszweck der Amadeu Antonio Stiftung zu tun?
Sowohl Rechtsextremismus als auch sexualisierte Gewalt sind Ausdruck einer tief verwurzelten Ideologie des Hasses und Machtmissbrauchs. Seit Jahren unterstützen wir Betroffene verschiedenster menschenfeindlicher Ideologien und stehen solidarisch an ihrer Seit, ganz egal, ob es sich dabei um Antifeminismus, Sexismus/Misogynie oder Rassismus handelt. Wir haben uns dafür entschieden, die Kampagne zu unterstützen, weil es wichtig ist, den mutmaßlichen Betroffenen den Rücken freizuhalten, ihre Stimmen zu stärken und dazu beizutragen, dass sie endlich gehört werden. Denn der strukturell sexistische Umgang mit Frauen, nicht nur in der Musikbranche, ist ein offenes Geheimnis. Wenn Betroffene sexualisierter Gewalt sich mit ihren Erlebnissen an die Öffentlichkeit wenden, dann brauchen sie unsere Unterstützung. Stattdessen werden und wurden sie mit Hass in den sozialen Medien überzogen oder sollen mit juristischen Interventionen zum Schweigen gebracht werden. Dieses gewalttätige Muster zeigte sich schon bei #metoo in der Filmbranche, #aufschrei und Erfahrungen zu Alltagssexismus und wiederholten sich bei den Vorwürfen gegen ein System Rammstein. Gleichzeitig wird sexualisierte Gewalt gegen Frauen nach wie vor systematisch verharmlost und ihnen ihre Erfahrungen abgesprochen. Ganz egal, was an den Vorwürfen dran ist und was eine juristische Aufarbeitung der Vorwürfe ergibt, darf das niemals der Grund sein, irgendeine Form von sexualisierter Gewalt gegen Frauen zu relativieren. Mit dem Fonds Tilda bei der #STATTBLUMEN haben wir die Möglichkeit, nachhaltig Frauen gegen sexualisierte Gewalt unterstützen.