Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

„Die Texte sind kaum sprechbar“

Die Wortwahl rechtspopulistischer bis rechtsextremer Sprachrohre ist menschenverachtend und tabulos. Mit seinem aktuellen Stück ‚Aufspüren Jagen Entsorgen – Die Sprache der Neuen Rechten‘ zeigt Arne Retzlaff im ‚projekttheater dresden‘ anhand von Originalzitaten, wie sich durch diese Sprache die Kommunikation, der Umgang miteinander und das Klima im öffentlichen Diskurs wandeln.

Von Vincent Weiler

Arne Retzlaff ist Sachse durch und durch. Aufgewachsen in Freital, Studium in Leipzig und Dresden, berufliche Engagements in Bautzen und Zwickau, seit Jahrzehnten wohnt er in Dresden. Auf Kuba lernte er vor über 20 Jahren seine Frau kennen. Zusammen mit ihr und ihrem gemeinsamen Sohn lebte er zwei Jahre im Karibikstaat. Der Abstand zur sächsischen Heimat habe ihm einen Blick von außen ermöglicht. Einen Blick auf seine sächsische Heimat, deren massiver Rechtsruck ihm zunehmend Bauchschmerzen bereitet. Ein Rechtsruck, der dazu führt, dass sich befreundete und verwandte People of Color in Sachsen nicht mehr sicher fühlen und deswegen teilweise fortziehen. Für Retzlaff ein unhaltbarer Zustand. Ihm wird bewusst, dass das rechtsextreme Klima im Freistaat maßgeblich durch verbale Äußerungen erzeugt wird. „Mich hat insbesondere die Sprache der Neuen Rechten aufgeregt“, so der Kunstschaffende. Die AfD verwende eine entmenschlichende Sprache „und die etablierten Parteien nutzen diese Sprache inzwischen gleichermaßen.“ Nicht nur in politischen Debatten, sondern auch in privaten Gesprächen drifte die Sprache zunehmend nach rechts ab.

Diskriminierungserfahrungen im familiären Umfeld führten dazu, dass sich Retzlaff Anfang 2018 dazu entschloss, dem Rechtsruck etwas entgegenzusetzen. Das Theaterstück „Aufspüren Jagen Entsorgen“ ist seine Antwort auf den verbalen Hass. Die Besonderheit hierbei: das gesamte Textmaterial – mit Ausnahme eines Heinrich Heine-Zitates – ist ein Sammelsurium an Aussagen der Neuen Rechten.

AfD-Sprech als Textvorlage
Als Quellen nutzt der 58-Jährige Äußerungen von AfD-Politiker*innen und Pegida-Vertreter*innen, die Wahlprogramme der Partei sowie Ausschnitte aus der rechtsextremen Zeitschrift COMPACT und Textpassagen des selbst ernannten Instituts für Staatspolitik. So setzt sich etwa der Titel aus zwei Zitaten Alexander Gaulands zusammen: „Wir werden Frau Merkel jagen“ und Aydan Özoğuz „in Anatolien entsorgen“, ließ der AfD-Fraktionsvorsitzende im Jahr 2017 verlauten.

Sprache beeinflusst das Denken
Linguist*innen, Hirnforscher*innen und Psycholog*innen sind sich einig, dass Worte unsere Wahrnehmung sowie unser Denken und Handeln entscheidend prägen. Die Neue Rechte betreibt mit der bewussten Sprachnutzung aktive Politik. Ihre Rhetorik ist hasserfüllt, ihr Umgangston rau und bösartig. Und der Ton wird kontinuierlich schärfer. Es ist eine Sprache der Diskriminierung. Der veränderte Stil ist Ausdruck einer vermeintlich salonfähigen Haltung. Beispielsweise wird nun wieder der Begriff „Volk“ anstatt „Bevölkerung“ verwendet. Die Sprachstrategie erinnert an den Nationalsozialismus: sie zielt auf die verbale Entwertung bestimmter Gesellschaftsgruppen ab. Gegner*innen werden namentlich genannt und gebrandmarkt. Oft ist ihre Sprache zudem geschichtsrevisionistisch: Hier versuchen die Neuen Rechten, die Zeit der Nazi-Diktatur zu bagatellisieren. Die Grenze des vermeintlich Sagbaren wird immer weiter nach rechts gerückt, und mit der Zeit geht diese Sprache in unser Denken über. Sie führt zu einer Enthemmung; im schlimmsten Fall zur körperlichen Gewaltausübung.

Originalzitate entfalten eine abscheuliche Wirkung
„Die Sprache ist Ausgangspunkt für Manipulation, Einschüchterung, Hass und Aufruf zur Gewalt“, analysiert Retzlaff die Äußerungen der Neuen Rechten und wob daraus den Text für sein Theaterstück. Es kommt komplett ohne selbstgeschriebene Texte aus. Die Originalzitate sind schockierend, teilweise sind „die Texte kaum sprechbar“, so der Regisseur. Alle vier professionellen Schauspieler*innen waren direkt Feuer und Flamme für Retzlaffs Projekt. Sofort haben sie zugesagt.

Am 21. September 2018 fand die gut besuchte Premiere im projekttheater dresden in der Dresdner Neustadt statt. Das Stück wurde „sehr gut angenommen und wir haben super Kritik bekommen“, freut sich der Kreative. Auch Anke Siefke, Büroleiterin des projekttheaters dresden, ist sehr zufrieden mit dem Auftakt: Es gäbe „en masse Vorbestellungen für den November.“ Das Publikum wurde durchaus an seine Grenzen gebracht. Unmittelbar nach Ende des Stücks war „erst einmal langes Schweigen. Das ist sehr ungewöhnlich für Theater.“ Genau das war Retzlaffs Absicht: „Ich wollte, dass die Leute die Gefahr in den Texten sinnlich begreifen, nicht nur intellektuell.“ Sein Plan ging auf. „Irgendwie hat es einen Nerv getroffen“, resümiert der Dresdner Künstler.

Dresdner Auftakt als Start bundesweiter Aufführungen
Noch in diesem Jahr finden – mindestens – vier weitere Aufführungen in der sächsischen Landeshauptstadt statt: am 10., 11., 29. und 30. November im projekttheater dresden. Karten können im Vorverkauf bestellt werden. Darüber hinaus wollen die Schauspieler*innen der Theatergruppe theater MERIDIAN dresden durch sächsische Schulen touren. Weitere Gigs sind in Berlin, Kleinmachnow, Leipzig, Nürnberg und Stendal geplant. Retzlaff hat noch viel vor. Insbesondere, weil im kommenden Jahr die Landtagswahlen im Freistaat anstehen. „Bis dahin müssen wir in Sachsen spielen, spielen, spielen.“

Weiterlesen

505388207-1280x720
Kommentar

Strategie: Warum die Demokratie ein Projekt2029 braucht

Die Erfolge von Donald Trump und der AfD erfordern eine strategische, resiliente und breite Antwort der demokratischen Zivilgesellschaft. Ein „Projekt 2029“ kann Vision, Plattform und Koordination dafür liefern – als Gegenentwurf zum „Project 2025“ der Heritage Foundation – ein Plädoyer von unserem Vorstand Timo Reinfrank.

markus-spiske-Cf5kL7vcF6U-unsplash

551 Fragen zu NGOs: Eine Antwort wie ein Faktencheck

Mit ihrer Bundestagsanfrage „Politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen“ hat die Unionsfraktion eine Misstrauenskampagne gegen die demokratische Zivilgesellschaft lanciert. 551 Fragen zu 14 NGOs zielten darauf ab, deren Gemeinnützigkeit infrage zu stellen. Die Bundesregierung hat geantwortet – und klargestellt: Zivilgesellschaftliches Engagement ist rechtlich abgesichert und demokratiepolitisch erwünscht!

2019-06-01-Chemnitz-TddZ-2-370-Kopie

Perspektive Ost: Utopien mit Leben füllen

Perspektive Ost zeigt solidarische Perspektiven für Ostdeutschland. „Es spielt keine Rolle, ob Engagement im Kleinen oder im Großen stattfindet. Was zählt, ist die Haltung: der Mut, Verantwortung zu übernehmen und aktiv mitzugestalten.“

Mitmachen stärkt Demokratie

Engagieren Sie sich mit einer Spende oder Zustiftung!

Neben einer Menge Mut und langem Atem brauchen die Aktiven eine verlässliche Finanzierung ihrer Projekte. Mit Ihrer Spende unterstützen Sie die Arbeit der Stiftung für Demokratie und Gleichwertigkeit.