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Interview

Die Folgen der Razzien gegen “Reichsbürger”

2020 durchbrachen mehrere hundert Menschen eine Polizeiabsperrung und stürmten auf die Treppe des Bundestags. Mit dabei waren viele Reichsbürger (Quelle: RechercheNetzwerk.Berlin)
2020 durchbrachen mehrere hundert Menschen eine Polizeiabsperrung und stürmten auf die Treppe des Bundestags. Mit dabei waren viele Reichsbürger (Quelle: RechercheNetzwerk.Berlin)

Kurz nach der Großrazzia gegen die “Reichsbürger”-Szene sind viele Fragen im Raum: Wie geht es jetzt weiter, was bedeuten die Festnahmen für die Szene selbst, aber auch für die Sicherheitsbehörden? Eines steht zumindest schon mal fest: Alleine kann der Kampf gegen “Reichsbürger” und Verschwörungsgläubige nicht geführt werden, dafür braucht es die gesamte Gesellschaft. Ein Interview mit Benjamin Winkler von der Amadeu Antonio Stiftung in Sachsen.

Was bedeuten die Razzien gegen “Reichsbürger” für die Szene selbst?

Der Repressionsdruck nimmt seit Jahren zu. Der Staat geht beispielsweise gegen jene “Reichsbürger” vor, die legal Waffen besitzen. Außerdem fanden in den letzten Jahren immer wieder Razzien in den Misch-Szenen statt, zu denen neben Rechtsextremen oder Preppern auch “Reichsbürger” gehören. Damit macht es der Staat dem Milieu nicht nur schwerer, sondern auch teurer, sich zu bewaffnen und milieuzugehörige Taten zu begehen. Die Erhöhung der Kosten kann durchaus den Effekt haben, dass sich Menschen von der Szene entfernen.

Zugleich besteht aber auch die Gefahr, dass das Milieu noch mehr bestrebt ist, kommunikative Wege zu finden, die keiner Öffentlichkeit zugänglich sind. Eine endgültige Abschottung des Milieus ist aber aus zwei Gründen unwahrscheinlich:

Erstens: Das Milieu besteht aus sendungsbewussten Persönlichkeiten, die den Kontakt zu einem Umfeld oder zu einem Publikum suchen. Viele “Reichsbürger” betreiben Telegramkanäle, produzieren Videos oder veröffentlichen selbstgemachte Zeitungen.

Zweitens: Das Milieu glaubt, dass es keine Minderheit darstellt, sondern eine Art Avantgarde, welche die Massen hinter sich weiß. Auch wenn dies nicht stimmt, führt diese Fehleinschätzung dazu, dass es immer wieder Aktionen geben wird, die zwar von wenigen Personen ausgehen, die aber auf eine ominöse Masse als Unterstützer*innen setzen. Das war auch bei dem von der Großrazzia betroffenen “Reichsbürger”-Netzwerk der Fall. Schlussendlich ist das Zerschlagen von “Reichsbürger”-Gruppen aber immer auch ein Schutz für potenzielle Opfer, wie beispielsweise Menschen, die in der öffentlichen Verwaltung arbeiten oder Menschen in der lokalen Zivilgesellschaft, die sich gegen Verschwörungsideologien richten.

Was bedeuten die Razzien gegen “Reichsbürger” für die Sicherheitsbehörden?

Dass sich unter den Festgenommenen auch Personen befinden, die früher der Bundeswehr, der Polizei oder der Justiz angehörten, dürfte eine erneute Bestätigung des eklatanten Problems innerhalb der Sicherheitsbehörden sein. Die Behörden wären nun gut beraten, nicht von „Einzeltätern“ zu sprechen, sondern sich einer systematischen Untersuchung zu öffnen. Wichtig ist hier vor allem, dass das Dunkelfeld erhellt wird, indem beispielsweise wissenschaftliche Studien umgesetzt werden, die von unabhängigen Forscher*innen verantwortet werden. Zugleich sind die Aktionen am Mittwoch (07.12.) natürlich auch ein Ermittlungserfolg und wahrscheinlich auch ein Ergebnis der verbesserten Koordination der Behörden. Beteiligt waren neben Bundeskriminalamt und Landeskriminalämtern auch Verfassungsschutz und der Militärische Abschirmdienst. Das zeigt, dass die Instrumente der wehrhaften Demokratie durchaus in der Lage sind, sich den aktuellen Bedrohungen aus dem Rechtsextremismus beziehungsweise aus der verschwörungsideologischen Szene zu stellen.

Zugleich sollte den Sicherheitsbehörden bewusst sein, dass sie allein weder den Kampf gegen die “Reichsbürger”, noch gegen Verschwörungsideologien führen können. Hier ist vielmehr die gesamte Gesellschaft gefragt. Es radikalisieren sich immer mehr Menschen der so genannten Mitte und Erwachsene, die älter sind als 40. Wir brauchen hier dringend auch verbesserte Instrumente der Prävention und der Politischen Bildung. Auch braucht es eine Übertragung der Ansätze aus der Jugendarbeit, die seit Jahren gute Arbeit gegen Rechtsextremismus leisten. Gruppen wie „Omas gegen Rechts“ müssen unterstützt werden, da sie ein Korrektiv gegen Rechtsextremismus und Verschwörungsideologien in der Erwachsenenwelt darstellen.

Welche direkten und indirekten Folgen haben diese Razzien?

Die Razzien werden zunächst zu einer weiteren Erhellung des radikalen “Reichsbürger”-Milieus führen. Wahrscheinlich werden in den nächsten Tagen und Wochen mehr Hintermänner und -frauen aufgedeckt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die 25 Festgenommenen nur die Spitze des Eisbergs darstellen. Zudem verschaffen die Razzien dem Thema mehr Aufmerksamkeit, was dazu führt, dass aktuelle Strategien gegen Reichs- und Verschwörungsdenken diskutiert werden. Es bleibt zu hoffen, dass dies kein alleiniges Sicherheitsthema sein wird. Wie bereits erwähnt, müssen wir vor allem Wege finden, die Radikalisierung im Erwachsenenalter zu unterbrechen.

Mit Blick auf die hoch sensiblen Berufe, die manche der Festgenommenen haben, wird es hoffentlich neue Diskussionen um die Bereiche Militär, Polizei und Justiz geben. Diese Bereiche müssen zwingend stabile Säulen unserer Demokratie sein. Wir Bürger*innen haben ein Recht auf die Sicherheitsgarantie, dass in diesen Bereichen keine Demokratiefeinde am Werk sind. Zu hoffen ist, dass sich die Institutionen öffnen, einerseits für Forschung, andererseits für mehr und bessere Politische Bildung zu Themen wie Rassismus, Antisemitismus oder Verschwörungsideologien.

Spannend sind auch die Reaktionen der übrigen rechten Milieus. Viele haben auf die Razzien abwehrend reagiert, indem sie diese als Intrigen oder Inszenierungen betitelt haben. Hier zeigte sich auch die breite Klammer des verschwörungsideologischen Denkens der gesamten Rechten. Eventuell wird sich aber der Konflikt innerhalb der AfD verschärfen, welchen politischen Weg man gehen will.

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