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Offener Brief

Keine Demokratie ohne Informationen: SPD muss Informationsfreiheitsgesetz schützen

Anlässlich der Ankündigung der Unionsparteien in den Koalitionsverhandlungen, das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) abschaffen zu wollen, fordert ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis von den SPD-Vorsitzenden, die Informationsfreiheit zu schützen. 41 Organisationen, Vereine und Projekte aus Bereichen wie Menschenrechte, Transparenz und Journalismus wenden sich in einem öffentlichen Brief an Saskia Esken und Lars Klingbeil. Sie appellieren an die SPD-Vorsitzenden, Informationsfreiheit nicht zur Verhandlungsmasse zu machen.

Stattdessen sollte die nächste Bundesregierung die Auskunftsrechte der Öffentlichkeit mit einem Transparenzgesetz stärken. Angesichts einer erstarkenden autoritären Rechten und der wachsenden Präsenz der AfD im Bundestag brauche es eine resiliente Demokratie, einen transparenten Staat und eine Bundesregierung, die das Vertrauen seiner Bürger*innen nicht nur einfordert, sondern auch die notwendigen Bedingungen dafür schafft.


Sehr geehrte Saskia Esken, sehr geehrter Lars Klingbeil,
sehr geehrte Mitglieder des SPD-Parteivorstandes,

am vergangenen Mittwoch wurde öffentlich, dass die Unionsparteien fordern, das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) in der bisherigen Form abzuschaffen. Dies geht aus dem Verhandlungspapier der Arbeitsgruppe 9 „Bürokratierückbau, Staatsmodernisierung, moderne Justiz” unter dem Punkt der „Stärkung der repräsentativen Demokratie” hervor. Auch das Umweltinformationsgesetz möchte die Union laut der Arbeitsgruppe 11 „Ländliche Räume, Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt” verschlanken.

Diese Forderungen der CDU und CSU haben wir mit Entsetzen aufgenommen. Wir als breites zivilgesellschaftliches Bündnis aus 41 Organisationen, Vereinen und Projekten fordern Sie auf, Informationsfreiheit nicht zur Verhandlungsmasse zu machen und der Forderung der Union auf keinen Fall nachzugeben. Diesem Anliegen haben sich in den vergangenen Tagen auch mehr als 220.000 Menschen in einer Petition angeschlossen.

Seit Jahren setzen auch Sie sich für Informationsfreiheit und Transparenz ein und wissen um die Bedeutung des Informationsfreiheitsgesetzes. Das IFG sichert uns allen seit fast zwanzig Jahren das Recht auf Zugang zu amtlichen Informationen und ist zu einem wichtigen Grundpfeiler unserer Demokratie geworden. Der freie Informationsfluss durch den Staat stärkt und belebt die Demokratie, weil er informierte und selbstbestimmte Partizipation ermöglicht. Nur wer Einblick in das Zustandekommen verbindlicher Entscheidungen hat, kann diese auch beeinflussen, vorausgesetzt, dass dazu passende demokratische Mittel – wie das Informationsfreiheitsgesetz – bereitstehen.

Das Informationsfreiheitsgesetz ermöglicht uns allen, staatliche Entscheidungen nachzuvollziehen und zu überprüfen, wodurch das Vertrauen in die Demokratie gestärkt wird. Wichtige politische Skandale wie die Plagiatsaffären um Karl-Theodor zu Guttenberg und um Franziska Giffey, Interessenkonflikte um die Klimastiftung MV und Nord Stream 2 und die Fördermittelaffäre im Bildungsministerium konnten aufgedeckt werden, sogar weitere Transparenzregelungen wie etwa der Beschluss des Bundeskabinetts, sämtliche Gesetzentwürfe und Lobby-Stellungnahmen zu veröffentlichen, folgten auf den Druck durch Informationsfreiheitsanfragen.

Ein Staat, der seine eigene Transparenz und Überprüfbarkeit durch die Öffentlichkeit abschafft, suggeriert, dass er etwas vor seinen Bürger*innen zu verbergen hat. Parlamentarische Kontrolle und Öffentlichkeitskontrolle sind kein Gegensatz – sie tragen gemeinschaftlich zum Vertrauen in die Demokratie bei. Eine Abschaffung des derzeitigen Informationsfreiheitsgesetzes, wie die Union sie fordert, ist darum auch eine Gefahr für die Demokratie und ein fatales Signal an alle Bürger*innen.

Als Teil der Ampel-Koalition haben Sie als SPD den Wähler*innen versprochen, sich für einen Ausbau der Auskunftspflicht von Behörden und ein Transparenzgesetz einzusetzen – also für eine stärkende Reform der gesetzlichen Informationsfreiheit. Eine Kehrtwende der SPD zur faktischen Abschaffung der Informationsfreiheit ist nicht hinnehmbar. Stattdessen brauchen wir mehr Transparenz. Einen entsprechenden Vorschlag für ein Transparenzgesetz hat die Zivilgesellschaft bereits 2022 vorgelegt.

Sie als SPD fordern im selben Papier der Arbeitsgruppe 9 die Fortsetzung von Dialogformaten wie Bürgerräten, eine Maßnahme, die Partizipation und Vertrauen in den Staat stärken soll. Eine starke Informationsfreiheit zahlt auf das gleiche Ziel ein. Mehr noch: Der Zugang zu verlässlichen faktenbasierten Informationen ist überhaupt erst die Voraussetzung, um sich beteiligen zu können.

Auch angesichts einer erstarkenden autoritären Rechten und der wachsenden Präsenz der AfD im Bundestag brauchen wir eine resiliente Demokratie, einen transparenten Staat und einen Bundestag, der das Vertrauen seiner Bürger*innen nicht nur einfordert, sondern auch die notwendigen Bedingungen dafür schafft. Transparenz und Informationsfreiheit sind Pfeiler der Resilienz gegen die autoritäre Rechte und müssen deshalb gestärkt statt weiter beschränkt werden. Offene Kommunikation verhindert Desinformation und Misstrauen.

Im weltweiten Vergleich steht das deutsche Informationsfreiheitsgesetz schlecht da. Von der GRECO, der Staatengruppe gegen Korruption des Europarates, wird es als mangelhaft beurteilt, im Right to Information Ranking der UNESCO liegt Deutschland auf Platz 127 von 140. Das IFG ist somit keineswegs – wie von den Unionsparteien behauptet – eine Zumutung für die deutsche Bürokratie, sondern müsste eher in Hinsicht eines Transparenzgesetzes gestärkt werden. Tiefgreifende Informationsrechte schaffen Transparenz – gerade auch unter Behörden – und Raum für Innovation.

Laut Medienberichten spricht Philipp Amthor nun davon, dass es nicht um eine Abschaffung, sondern eine „Neujustierung” des Gesetzes gehe. Dies „böte […] eine Chance auf Harmonisierung und auf ein neues Austarieren in Form von spezifischen Anwendungsbereichen”. Die hier genannte Harmonisierung bedeutet eine Harmonisierung nach unten, mit schwächeren Auskunftsrechten, die vor allem verhindern würde, dass – wie es das IFG garantiert – weiterhin Zugang zu Originaldokumenten besteht. Auch Philipp Amthors angekündigte Reform des IFG käme somit einer faktischen Abschaffung des Informationsfreiheitsgesetzes gleich.

Wir fordern Sie darum auf:
Verteidigen Sie die Informationsfreiheit und akzeptieren Sie nicht, dass das IFG von der Union zur Verhandlungsmasse gemacht wird. Eine starke Demokratie zeichnet sich nicht durch Abschottung, sondern durch Vertrauen gegenüber den Menschen aus. Nur mit einem starken Informationsfreiheitsgesetz können Sie das notwendige Vertrauen in die Demokratie stärken.

Unterzeichnende Organisationen:

  • abgeordnetenwatch.de
  • AlgorithmWatch
  • Amadeu Antonio Stiftung
  • Amnesty International in Deutschland e.V.
  • Bayerischer Flüchtlingsrat e.V.
  • Blueprint for Free Speech e.V.
  • Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)
  • Bürgerbewegung Finanzwende
  • Campact e.V.
  • chaos computer club
  • D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt
  • Dachverband Kritische Aktionärinnen und Aktionäre
  • Deutsche Gesellschaft für Informationsfreiheit e.V.
  • European Center for Constitutional and Human Rights e. V.
  • foodwatch e.V
  • FragDenStaat
  • Freischreiber e.V.
  • Goliathwatch e.V
  • Green Legal Impact Germany e.V.
  • Greenpeace
  • GRÜNE LIGA e.V.
  • Leavenoonebehind
  • LobbyControl e.V.
  • Mehr Demokratie e.V.
  • Netzwerk Klimajournalismus Deutschland e.V.
  • Netzwerk Recherche e.V.
  • Neue deutsche Medienmacher*innen e. V.
  • Open Knowledge Foundation Deutschland e.V.
  • openPetition
  • Oxfam Deutschland e.V.
  • PowerShift e.V.
  • PRO ASYL Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge e.V.
  • Reporter ohne Grenzen e.V.
  • Sanktionsfrei
  • Sea-Watch e.V.
  • Selbstlaut Kollektiv
  • Sozialheld*innen (Sozialhelden e.V.)
  • Transparency International Deutschland e.V.
  • Umweltinstitut München e.V.
  • urgewald e.V.
  • Wikimedia Deutschland e.V.

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