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Empfehlung

Demokratiearbeit in Gefahr: Der Schutz der Zivilgesellschaft muss jetzt politische Priorität haben

Nach den AfD-Wahlerfolgen im Osten muss die neue Bundesregierung jetzt dringend handeln, um die demokratische Zivilgesellschaft vor Ort zu erhalten und engagierte Demokrat*innen zu schützen. In Ostdeutschland ist die AfD bei der Bundestagswahl in allen fünf Bundesländern und in 43 von 48 Wahlkreisen zur stärksten Kraft geworden. Bundesweit hat die gesichert rechtsextreme Partei ihr Wahlergebnis verdoppelt. Dies stellt eine ernsthafte Bedrohung für die demokratische Kultur dar.

Von Vera Ohlendorf

Wer sich engagiert, lebt gefährlich: Angriffe auf Demokratiearbeit

Wer sich öffentlich gegen Rechtsextremismus und Rassismus positioniert, ist zunehmend Anfeindungen und Bedrohungen ausgesetzt. In Bautzen wurde eine Kindereinrichtung attackiert, nachdem sie eine Spende von Rechtsextremen abgelehnt hatte. In Halberstadt griffen Neonazis ein soziokulturelles Zentrum mehrfach an und beschmierten es mit Hakenkreuzen. In Wolfratshausen und Umgebung gab es eine Serie rechtsextremer, queerfeindlicher und antisemitischer Drohungen. Im brandenburgischen Strausberg wurden Teilnehmer*innen einer Gedenkveranstaltung an die Opfer des Nationalsozialismus mit einem Messer bedroht. Diese und viele weitere Übergriffe sind keine Einzelfälle. Die Zahl rechtsextremer Angriffe steigt laut Kriminalstatistiken und dezentralen Meldestellen stetig an, besonders in Regionen mit hohen Zustimmungswerten für rechtsextreme Parteien.

Zivilgesellschaft unter Druck: Strategien der Rechtsextremen zur Schwächung demokratischen Engagements

Zivilgesellschaftliche Akteur*innen sind entscheidend für die Aufklärungs-, Bildungs- und Kampagnenarbeit gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Sie schützen Minderheiten vor Gewalt und setzen sich für eine demokratische Gesellschaft ein. Doch rechtsextreme Gruppen haben Strategien entwickelt, um diese Arbeit zu erschweren: Diffamierung, juristische Schikane, das Verhindern von Raumvermietungen, digitale Hetzkampagnen, Doxxing und sogar physische Angriffe auf Vereinsräume oder engagierte Einzelpersonen. Zudem führt die politische Polarisierung dazu, dass Kommunen oder öffentliche Einrichtungen aus Angst vor Kontroversen Veranstaltungen absagen oder Fördermittel streichen. Diese Strategien sind nicht auf Ostdeutschland beschränkt, sondern finden zunehmend auch in Westdeutschland Anwendung.

Staatliche Unterstützung für Demokratieförderung notwendig

Das von der Ampel-Regierung geplante Demokratiefördergesetz ist am Widerstand der FDP gescheitert. Es wäre eine Chance gewesen, Demokratiearbeit seitens des Bundes unabhängig von Ländern und Kommunen vor Ort nachhaltiger und verlässlicher zu unterstützen. Die jüngsten Wahlergebnisse zeigen jedoch, dass Bund und Länder dringend handeln müssen, um die Arbeit der demokratischen Zivilgesellschaft besonders in strukturschwachen Regionen zu sichern. Es geht nicht darum, einen gesamtgesellschaftlichen Wandel allein durch ehrenamtliche Initiativen zu bewirken, sondern um den Schutz demokratischer Räume, den Erhalt demokratischer Strukturen und den Schutz von Betroffenen rechtsextremer Gewalt. Wo Demokratie in Gefahr ist, braucht es handlungsfähige Netzwerke, die zeigen, dass eine vielfältige und solidarische Gesellschaft möglich ist.

Politik in der Verantwortung: Notwendige Maßnahmen

Um Rechtsextremismus und Demokratiefeindlichkeit wirksam zu bekämpfen, müssen folgende Maßnahmen ergriffen werden:

  •       Die öffentliche Demokratieförderung auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene muss langfristig gesichert und eng an den Bedarfen der Zivilgesellschaft ausgerichtet werden. Lokale Partnerschaften für Demokratie müssen unabhängig von rechtsextremen Hegemonien in der Kommune arbeiten können und benötigen dafür dringend ausreichende finanzielle Mittel.
  •       Investitionen in Prävention, soziale Absicherung, innere und auswärtige Sicherheit dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Eine menschenrechtsorientierte Demokratie braucht sowohl den Schutz nach außen als auch den Schutz nach innen. Es müssen ausreichende Mittel bereitgestellt werden, um langfristige Programme gegen Rechtsextremismus und für gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern, ohne dabei soziale Sicherungssysteme oder sicherheitspolitische Maßnahmen zu vernachlässigen.
  •       Es braucht tragfähige juristische und politische Konzepte zum Schutz demokratischer Institutionen vor rechtsextremen Zerstörungsstrategien, wie sie aktuell in autoritären Staaten erprobt werden.
  •       Sicherheitsmaßnahmen für zivilgesellschaftliches Engagement müssen ausgebaut werden. Dazu gehören digitale Schutzmaßnahmen, juristische Beratung und überregionale Netzwerke zur Unterstützung von bedrohten Initiativen.
  •       Gesellschaftliche und politische Akteur*innen müssen sich deutlicher gegen rechtsextreme Gewalt positionieren und den Wert der Zivilgesellschaft als Bollwerk gegen Demokratiefeindlichkeit anerkennen.
  •   Der Osten darf nicht sich selbst überlassen werden. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, den weiteren Wegzug von als migrantisch gelesenen Menschen, queeren Personen und Demokrat*innen aus Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zu verhindern. „National befreite“, überalterte und wirtschaftlich schwache Regionen dürfen keine Hochburgen des Rechtsextremismus bleiben.

Demokratie braucht Schutz: Jetzt ist Handeln gefragt

Die aktuelle Situation zeigt, dass Demokratiearbeit gefährlich und staatliche Unterstützung eine notwendige Verpflichtung ist. Zivilgesellschaftliche Organisationen und engagierte Demokrat*innen brauchen politische Rückendeckung, langfristige Finanzierung und strukturellen Schutz vor rechtsextremen Angriffen. Sie brauchen Ressourcen, um ihre Strategien und Methoden gegen Rechtsextremismus und Rassismus an die Erfordernisse der Verhältnisse anzupassen und neue Wege zu beschreiten. Die kommenden vier Jahre sind für den Erhalt der Demokratie entscheidend. Ihre Verteidigung darf nicht aufgeschoben werden – es ist Zeit zu handeln!

Die Amadeu Antonio Stiftung hat eine Petition unter dem Titel „Regierung in der Pflicht: Demokratie verteidigen!“ gestartet, die sich an eine mögliche neue Koalition richtet und mitgezeichnet werden kann.

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