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In eigener Sache

“Es reicht, es muss sich gehörig was ändern!” Die Bildungs- und Aktionswochen gegen Antisemitismus 2021 starten

Mit 150 Veranstaltungen in allen Bundesländern und digital sowie einer bundesweiten Plakat- und Online-Kampagne machen die Aktionswochen in den kommenden Wochen auf den alltäglichen Antisemitismus aufmerksam und machen deutlich: Es reicht! Es muss sich gehörig was ändern! 

Seit 2003 und auch in diesem Jahr machen die Bildungs- und Aktionswochen gegen Antisemitismus mit einer bundesweiten Kampagne und zahlreichen Veranstaltungen den antisemitischen Alltag in Deutschland sichtbar, zeigen Möglichkeiten auf, was dagegen zu tun ist und unterstützen die Zivilgesellschaft in ihrem tagtäglichen Kampf gegen Antisemitismus.

Aber nach den Anschlägen in Halle und Hanau, nach den massiven antisemitischen Ausschreitungen der letzten Jahre im Mai 2021 unter dem Deckmantel der “Israelkritik” und auch nach zahlreichen Versuchen, die Errungenschaften der Anti-Antisemitismusbekämpfung rückgängig zu machen und einen Schlussstrich zu ziehen, lautet die Botschaft in diesem Jahr: machen und einen Schlussstrich zu ziehen, lautet die Botschaft in diesem Jahr: Ja, wir machen endlich Schluss. Schluss mit Antisemitismus und Schluss mit Shalom Deutschland: mit den Phrasendrescher:innen, die große Sonntagsreden schwingen und sich bei konkreten Handlungen zurückhalten, Schluss mit Goysplainer:innen, die Jüdinnen:Juden erklären, was Antisemitismus ist und auch Schluss mit den Israelkritiker:innen, die angeblich nichts gegen Juden haben, aber Israel von der Landkarte tilgen wollen.

Und das alles im Jahr 2021, eigentlich einem Festjahr: Gefeiert werden 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Die Stimmung wird aber getrübt. 2021 ist ein Festjahr mit Beigeschmack. Gleichzeitig waren aber auch die 1699 Jahre jüdisches Leben in Deutschland vor der Corona-Pandemie – gelinde gesagt – nicht einfach. Denn Antisemitismus hat eine lange Geschichte, Verfolgungen, Vertreibungen, Morde prägen die deutsch-jüdische Geschichte.

Vielleicht ist das Festjahr aber auch gerade durch die aktuelle Gleichzeitigkeit von alltäglichem Antisemitismus und resilientem jüdischem Leben repräsentativ für die letzten 1700 Jahre: Ja, es gibt jüdisches Leben in Deutschland, es gibt jüdische Perspektiven und es gibt auch Verbündete, die sich gegen Antisemitismus engagieren, trotz alledem. Deshalb senden die Aktionswochen gleichzeitig ein <3 Shalom Deutschland <3 an diejenigen, die tagtäglich gegen diesen Antisemitismus kämpfen. Wir brauchen Standhafte und Verbündete, – wie euch – mit denen wir Schulter an Schulter gegen Antisemitismus stehen und ohne die wir unsere Arbeit nicht machen könnten.

Aus Gesprächen mit v.a. jüdischen Netzwerk- und Kooperationspartner:innen wurde diese Stimmung deutlich und floss in die Kampagnengestaltung mit ein. “Es reicht, es muss sich gehörig was ändern!“, erläutert der Projektleiter der Aktionswochen Nikolas Lelle. “Nach Hanau, nach Halle, nach antisemitischen Ausschreitungen darf sich niemand ausruhen und denken, wir hätten Antisemitismus im Griff. Es muss mehr passieren. Die jüdische Community findet sich zwischen Lobhudelei und Ignoranz wieder.” Das Ziel der Aktionswochen ist es also weiterhin den jüdischen Perspektiven Sichtbarkeit zu verschaffen. “Wo Anschläge wie Halle erst Monate her sind, kann Harmonie auf Knopfdruck keine Realität sein. Stattdessen blicken wir auf die Praktiken jüdischer Widerständigkeit, die jüdisches Leben in diesem Land überhaupt erst ermöglicht haben”, erläutert Lelle.

Diese Haltung spiegelt sich nicht nur in der Plakat- und Online-Kampagne, sondern auch in zahlreichen Kooperationsveranstaltungen, die im Rahmen der diesjährigen Aktionswochen stattfinden:

Eine Übersicht der weiteren Veranstaltungen, Hintergrundtexte zu den Plakaten, und erschienenen Publikationen im Rahmen der diesjährigen Aktionswochen finden Sie hier: www.shalom-deutschland.de

Bei Fragen wenden Sie sich an: aktionswochen@amadeu-antonio-stiftung.de

Stellungnahme

Die Bedrohungen gegen Jasmina Kuhnke sind Angriffe auf die Zivilgesellschaft

Die Schwarze Aktivistin und vierfache Mutter Jasmina Kuhnke setzt sich unter dem Social Media Synonym Quattromilf seit Jahren unentwegt und entschlossen gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit ein. Nun wurde ihre Adresse mit den Worten „Massakriert Jasmina Kuhnke“ veröffentlicht. Dies zwang sie und Ihre Familie aus der eigenen Wohnung zu fliehen und unterzutauchen.

Aktivist*innen, Politiker*innen und Organisationen, die offen die Zivilgesellschaft und demokratische Werte verteidigen, waren schon immer Ziel und Opfer von rechten Hetzkampagnen. Doch seit einigen Jahren müssen wir beobachten, wie sich menschenfeindliche Sprache im Netz derart etabliert, dass Menschen von Rassist*innen und der extremen Rechten offen bedroht und sogar körperlich angegriffen werden.

Die Verteidigung von Menschenrechten und Aktionen, sind schon Anlass für Hass und Hetze. Dabei werden Menschen, nach dem Geist des Grundgesetzes, die für die Demokratie und das Gleichwertigkeitsprinzip einstehen, zum Feindbild gemacht.

Insbesondere Frauen werden besonders häufig attackiert und gelten den Angreifer*innen als Dorn im Auge: Das Frauenbild der extremen Rechten reagiert besonders hasserfüllt auf Frauen, die sich für emanzipatorische Werte engagieren.

Ein aktuelles und besonders brutales Beispiel ist die Markierung der Frau und Mutter Jasmina Kuhnke als Zielscheibe. Nach dem jahre langem Engagement der Schwarzen Aktivistin, wurde sie nicht nur rassistisch und antifeminitsich attackiert, ihre Adresse wurde veröffentlicht und schließlich erhielt sie Morddrohungen mit dem Aufruf „Massakriert Jasmina Kuhnke“. Daraufhin musste sie mit ihrer sechsköpfigen Familie fluchtartig ihre Wohnung verlassen und schließlich umziehen. Dabei musste sie nicht nur die gesamten Kosten des Unttertauchens zahlen, sondern ebenso die Anwält*innen zur Verfolgung der Straftaten und zur Durchsetzung des Polizeischutzes.

Als seien die Anfeindungen der extremen Rechten nicht genug, kamen im Falle von Jasmina Kuhnke auch noch rechtskonservative Medien hinzu, die durch Behauptungen wie „der Kampf gegen Rassismus sei für Betroffene und Unterstützer*innen zum lukrativen ‚Geschäftsmodell‘ geworden“, die Wut und Gewaltphantasien jener Personen befeuerten, die nur allzu bereit waren Worten auch Taten folgen zu lassen.

Besonders skandalös ist, dass die Polizei die Bedrohung nicht ernst genommen und Hilfe abgelehnt hat. Es kann nicht sein, dass engagierte Personen wie Jasmina Kuhnke vom Staat nicht beschützt werden. Es sollte nach den Fällen von Hanau, Halle und dem Mord an Walter Lübcke auch der Polizei bekannt sein, dass Rechtsextremist*innen durchaus dazu in der Lage sind, Menschen zu töten. Diese unterlassene Hilfeleistung ist sowohl ein Skandal gegenüber Jasmina, aber auch gegenüber allen, die sich gegen Rechtsextremismus exponieren.

Doch Aktivist*innen wie Jasmina Kuhnke sind keine Opfer, sie sind Held*innen. Auch weil sie und viele andere aktivistische Mütter nicht nur sich selbst schützen müssen, sondern ebenso die Sicherheit ihrer Familien verantworten, ist der Schutz dieser tapferen Frauen auch unsere Verantwortung.

Deshalb unterstützen wir den Spendenaufruf unter dem Motto „SHEROES Fund“, die Aktivist*innen wie Jasmina Kuhnke unterstützen soll, die durch das fluchtartige Untertauchen, die Finanzierung von Anwält*innen und den zeitgleichen Umzug Kosten von 50.000€ tragen musste. Nachdem das Fundraising-Ziel von 50.000 € für die Unterstützung von Jasmina Kuhnke erreicht ist, soll der “Sheroes Fund” ebenso andere Sheroes unterstützen.

Sie und viele andere Sheroes werden nicht die Letzten sein, die im Kampf gegen Menschenfeindlichkeit Bedrohungen erfahren werden und keine von ihnen sollte allein gelassen werden. Deshalb rufen wir jede Person dazu auf, den Aufruf mitzutragen und zu spenden!

Unter dem Link finden Sie den Spendenaufruf und die Beschreibung zu Jasmina Kuhnkes Situation.

https://www.betterplace.org/de/projects/93203-deine-spende-fuer-shero-jasmina-kuhnke

Illustrationscredits: Beno Meli

Stellungnahme

Zum Safer Internet Day 2021: Für ein Internet, in dem sich alle sicher fühlen!

Verschwörungsideologien in Sozialen Netzwerken mobilisieren Menschen. Der “Sturm auf das Kapitol” in den USA und ein halbes Jahr davor der „Sturm auf den Reichstag“ hier in Berlin haben das gezeigt. Online-Hetze, Desinformation und Radikalisierung kann sehr reale und tödliche Folgen haben. In Christchurch, Neuseeland, tötete im Januar 2019 ein online radikalisierter Täter 51 Menschen und streamte die Tat live in Sozialen Netzwerken. Und es gab Folgetaten: die Attentate von Halle im Oktober 2019 und Hanau im Februar 2020 sind Beispiele dafür.

Neben Facebook, Youtube und Co. ist besonders Telegram ein Hotspot für die Verbreitung von Verschwörungsmythen und die Markierung von politischen Feind*innen. Was dieses hybride Medium besonders macht: Es gibt so gut wie kein Handeln der Betreiber*innen – keine Moderation, keine Sperrungen, keine Löschungen. In Kanälen mit zum Teil mehr als 100.000 Abonnent*innen, verbreiten Akteur*innen der extremen Rechten und Verschwörungsideolog*innen die Adressen von politischen Gegner*innen oder ihre Dienstanschriften. Wir wissen, dass sich Berliner Jüdinnen und Juden von den Inhalten in Atilla Hildmanns Telegram-Kanal mit rund 114.000 Abonnent*innen bedroht fühlen.

Was macht digitale Gewalt mit den betroffenen Organisationen und Einzelpersonen?

Menschen, die von solchen Anfeindungen betroffen sind, ziehen sich zurück, äußern sich weniger in Sozialen Netzwerken. So sind engagierte Frauen besonders häufig von misogynen Attacken betroffen. Die Täter veröffentlichen Telefonnummern, Mailadressen und private Anschriften – wir sprechen hier von „Doxing“. Viele Betroffene lassen sich dazu drängen, ihre Social Media-Profile zu schließen oder geben beispielsweise ihren Beruf auf. So ein Rückzug bedeutet: Den Betroffenen wird ein Teil ihres Lebens- und Informationsraums genommen. Die Folgen können wie bei anderen Gewalterfahrungen traumatisch sein. Sie reichen von Stress, Angst, Unruhe bis hin zu Depressionen und Suizidgedanken. Doch auch erzwungene Umzüge oder Arbeitsplatzverluste sind sehr konkrete, schwerwiegende Lebensveränderungen – selbst wenn es nicht zu offline-Gewalt kommt.

Was sind die Auswirkungen für unsere Gesellschaft als Ganze?

In einer Studie des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft von 2019 haben 44% der Berliner Befragten angegeben, dass sie wegen drohender und tatsächlicher Hasskommentare seltener ihre politische Meinung bei Diskussionen im Internet einbringen. Auf Organisationsebene ist es übrigens so, dass zum Beispiel ganze Medienhäuser ihre Kommentarfunktion auf Plattformen oder ihrer Website abschalten. Hassrede ist somit eine Einschränkung der Meinungsvielfalt: Denn die Stimmen von marginalisierten und diskriminierten Gruppen fehlen zunehmend. So verschieben sich auch gefühlte Mehrheiten im Land.  Denn wenn sich ganze Gruppen von besonders häufig angefeindeten Menschen aus Angst von Diskussionen zurückziehen, fehlt ihre Perspektive. Das ist für die Meinungsvielfalt besonders deshalb problematisch, weil die Stimmen marginalisierter Gruppen schon per Definition im Diskurs unterrepräsentiert sind. Wir müssen daher gegensteuern.

Was können Zivilgesellschaft, Politik und Strafverfolgung tun?

Aus Sicht der Betroffenen ist bei strafbaren Inhalten ein schneller zuverlässiger Schutz und effiziente Strafverfolgung am Wichtigsten. Wir empfehlen deshalb, Ansprechpersonen zum Thema Digitale Gewalt bei Polizei und Staatsanwaltschaft zu benennen. An sie könnten sich Betroffene und Zivilgesellschaft wenden. Sinnvoll ist ebenso, wenn das Land Berlin eine Ansprechperson zu digitaler Gewalt benennt. Diese könnte eine Brückenfunktion zwischen Politik, Verwaltung, Strafverfolgung, Zivilgesellschaft und Wissenschaft bilden.

Wir empfehlen, dass die Polizei proaktiv entsprechenden Kanäle, z.B. bei Telegram in Form von Online-Streifen in den Blick nimmt, auch um mögliche zukünftige Anschläge zu verhindern. Das wird aber nicht reichen: Online-Communities mit radikalisierenden Dynamiken gibt es im Internet überall. Es gibt aber auch überall Menschen, denen solche Aktivitäten auffallen. Bitte nehmen sie deren Warnungen ernst. Dafür ist aus unserer Sicht wichtig, dass Mitarbeitende aller Polizeidienststellen für das Thema digitale Gewalt sensibilisiert werden.

Transparenz und Wirksamkeit von Meldewegen verbessern: Viele Menschen wissen nicht, dass sie Online Anzeigen erstatten oder hetzerische Kommentare melden können. Hier benötigt es weitere Aufklärung. Zur Verbesserung der Prozesse empfehlen wir eine wissenschaftliche Evaluation.

Gegen Diskriminierung in digitalen Räumen hilft am Effektivsten zivilgesellschaftliche Präventionsarbeit und Bildung. Deshalb bietet unser Projekt Workshops zu Gegenrede und Moderation an. Darüber hinaus braucht es aus unserer Sicht Digital Streetwork, also die 1-zu-1-Ansprache von radikalisierungsgefährdeten Personen.

Digitale Räume dürfen nicht als etwas betrachtet werden, das getrennt von der Offline-Welt funktioniert. Für Täter*innen wie Betroffene sind digitale Räume ein ganz normaler Lebensraum, der sich mit dem Offline-Bereich verschränkt. Menschenfeindlichkeit im digitalen Raum hat Auswirkungen auf die offline-Welt und andersherum. Betroffene von digitaler Gewalt verdienen die gleiche Anerkennung, Schutz und Unterstützung wie andere Gewaltopfer.

Das Internet muss endlich ein Ort werden, an dem sich alle Menschen sicher fühlen!

Unser Mitarbeiter Oliver Saal vom Projekt „Civic.net – Aktiv gegen Hass im Netz“ war am 20. Januar 2021 als Sachverständiger zur öffentlichen Sitzung des Ausschusses für Verfassungsschutz beim Berliner Abgeordnetenhaus eingeladen. Dies ist die gekürzte und redigierte Version seiner Rede.

Seit 2004 findet jährlich im Februar der internationale Safer Internet Day (SID) statt. Über die Jahre hat sich der Aktionstag als wichtiger Bestandteil im Kalender all derjenigen etabliert, die sich für Online-Sicherheit und ein besseres Internet engagieren.

Gefördertes Projekt

25 Jahre nach dem Mord an Alberto Adriano: Warum Erinnern politisch ist

25 Jahre nach dem rassistischen Mord erinnern Freund*innen, Angehörige und zivilgesellschaftlich Engagierte in Dessau an Alberto Adriano – mit Trauer, politischen Forderungen und einem Blick auf die Kontinuitäten von Rassismus und rechter Gewalt. Das Multikulturelle Zentrum Dessau organisierte die Gedenkveranstaltung, unterstützt durch eine Förderung der Amadeu Antonio Stiftung.

Von Luisa Gerdsmeyer

Alberto Adriano lebte mit seiner Familie über zwölf Jahre in Dessau. 1988 war er als sogenannter Vertragsarbeiter aus Mosambik in die DDR gekommen. Auch nach der Wende blieb er in Dessau und arbeitete hier als Fleischermeister. 1990 lernte er seine Partnerin kennen, die er zwei Jahre später heiratete. Gemeinsam bekamen sie drei Kinder.

Am Abend des 10. Juni 2000 traf Adriano sich mit einigen Freunden, um mit ihnen ein Spiel der Fußball-Europameisterschaft zu schauen. Gleichzeitig feierte die Gruppe eine kleine Abschiedsfeier für Adriano, da dieser im Juli seine Eltern in Mosambik besuchen wollte. Die Flugtickets waren bereits gebucht. Nach dem Spiel machte sich Adriano zu Fuß auf den Heimweg, der auch durch den Dessauer Stadtpark führte. Hier begegnete er drei jugendliche Neonazis. Diese hatten sich zuvor zufällig am Dessauer Bahnhof getroffen und anhand ihrer Kleidung gegenseitig als Naziskinheads erkannt. Im Park grölten sie neonazistische, und gewaltverherrlichende Parolen und Lieder. Als sie Alberto Adriano sahen, beschimpften sie ihn rassistisch und griffen ihn mit extremer Brutalität gewaltsam an. Sie quälten und erniedrigten ihn – so lange, bis schließlich die Polizei eintraf, die Nachbar*innen aufgrund der Schreie alarmiert hatten. Drei Tage später, am 14. Juni 2000 starb Alberto Adriano an seinen schweren Verletzungen im Krankenhaus.

„Warum Alberto Adriano?“ – Eine Frage, die zum Handeln aufruft

Teile der Stadtgesellschaft reagierten auf den brutalen rassistischen Mord mit Schweigen, Relativierung und Entpolisierung. Aber es entstand auch ein – vor allem von der migrantischen Community getragener – Protest. Bereits am Abend von Adrianos Todestag versammelten sich zahlreiche Freund*innen, Familienangehörige und antirassistisch und antifaschistisch Engagierte im Multikulturellen Zentrum Dessau. Gemeinsam trauerten sie – und organisierten eine Demonstration, die zwei Tage später, am 16. Juni 2000 unter dem Motto „Warum Alberto Adriano?“ stattfand. Die Frage richtete sich an die gesamte Gesellschaft und war gleichzeitig ein Aufruf zum Handeln: Die Gesellschaft hatte versagt, Alberto Adriano zu schützen. Umso dringlicher war die Forderung: Es muss alles dafür getan werden, solche grausamen rassistischen Morde in Zukunft zu verhindern.

Zwischen 3.000 und 4.000 Menschen kamen zusammen, um zu trauern, auf die Kontinuitäten rassistischer Gewalt in Dessau aufmerksam zu machen, gegen ihre Verharmlosung zu protestieren und Konsequenzen einzufordern. Für die Schwarze Community in Dessau war die Angst vor rassistischer Gewalt in den 1990er und 2000er Jahren ein ständiger Begleiter. Ihr Alltag war geprägt von Bedrohung durch Neonazis und Straßengewalt, von Alltagsrassismus, rassistischen politischen Diskursen, Verschärfungen von Asyl- und Aufenthaltsrecht und von Kriminalisierung und Schikanen durch die Polizei.

Der Gerichtsprozess gegen die Täter

Im November 2000 begann der Prozess gegen die drei Täter am Landgericht Dessau. Die rassistische Tatmotivation wurde dabei eindeutig benannt. Einer der Täter wurde zu lebenslanger Haft verurteilt – es war das erste Mal seit der Wiedervereinigung, dass in Deutschland nach einem rassistisch motivierten Mord die Höchststrafe verhängt wurde. Der Prozess offenbarte auch die Brutalität und Kälte der Täter. Keiner von ihnen zeigte Reue. Stattdessen äußerten sie sich weiterhin rassistisch – und verhöhnten Alberto Adriano selbst im Gerichtssaal.

Der jährliche Tag der Erinnerung an Alberto Adriano

Seit dem Jahr 2000 organisiert das Multikulturelle Zentrum Dessau immer am 11. Juni den Tag der Erinnerung zum Gedenken an Alberto Adriano. Das Multikulturelle Zentrum wurde 1993 als erste Migant*innenorganisation in Sachsen-Anhalt gegründet, es ist ein Ort des Austauschs sowie des interkulturellen- und interreligiösen Dialogs, eine starke Stimme gegen Rassismus und wichtiger Akteur in der lokalen Erinnerungsarbeit. Zum diesjährigen 25. Jahrestag des Mordes an Alberto Adriano wurde, gefördert durch die Amadeu Antonio Stiftung, ein mehrteiliges Programm organisiert.

Den Auftakt bildete eine Podiumsdiskussion im Bauhaus Museum Dessau. Dabei standen strukturelle Dimensionen von Rassismus und rechter Gewalt im Mittelpunkt. Die Teilnehmenden sprachen über das Erstarken von Rassismus und Rechtsextremismus in den letzten Jahren und die bedrohlichen Auswirkungen für Betroffene. Deutlich wurde: Rassismus ist tief in der Gesellschaft verankert, in Sachsen-Anhalt und darüber hinaus. Seine Bekämpfung fordert nicht nur entschlossenes staatliches Handeln, sondern eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung und die Stärkung zivilgesellschaftlicher Initiativen gegen Rassismus.

Besonders betont wurde die Rolle migrantischer Selbstorganisationen, die nicht nur Schutzräume schaffen, sondern auch zentrale Akteurinnen im Kampf gegen Rassismus und für demokratische Teilhabe sind. Auf dem Podium sprachen Nathalie Schlenzka, Referatsleiterin bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Günter Piening, ehemaliger Integrationsbeauftragter in Sachsen-Anhalt und Berlin, Rimma Fil, Geschäftsführerin des Landesverbandes Jüdischer Gemeinden in Sachsen-Anhalt, und Abdoul Coulibaly, Integrations- und Migrationsbeauftragter der Stadt Magdeburg.

Gemeinsames Erinnern am Tatort im Dessauer Stadtpark

Im Anschluss fand die Kranz- und Blumenniederlegung an der Gedenkstele im Dessauer Stadtpark statt. Aus Stein gefertigt trägt sie die schlichte Inschrift:

„Alberto Adriano

Opfer rechter Gewalt

11. Juni 2000“.

Das gemeinsame Erinnern und Innehalten stand im Mittelpunkt – begleitet von Musik und zwei Redebeiträgen. Es sprachen der ehemalige Bundestagsabgeordnete Dr. Karamba Diaby aus Halle und die Kreisoberpfarrerin von Dessau-Roßlau Annegret-Friedrich Berenbruch. Diaby machte in seiner Rede auf die aktuelle Bedrohung durch Rassismus und den Anstieg rechtsextremer Gewalttaten der letzten Jahre aufmerksam und betonte:

„Gerade deshalb ist unser Gedenken heute kein Ritual. Es ist eine politische Notwendigkeit. Denn wo das Erinnern endet, beginnt das Verdrängen. Und wo verdrängt wird, wiederholt sich Geschichte. Wenn wir heute an Alberto Adriano erinnern, dann dürfen wir nicht nur an das Opfer denken. Wir müssen auch an die vielen denken, die heute wieder in Angst leben. An die, die sich einsetzen, die ihre Stimme erheben, die Gesicht zeigen.“

Den Abschluss des Gedenktages bildete eine Filmvorführung am Abend, die die rassistischen Pogrome in Rostock Lichtenhagen 1992 thematisierte. Auch dadurch wurde deutlich gemacht: Der Mord an Alberto Adriano war kein Einzelfall, sondern Teil einer Kontinuität rassistischer und rechter Gewalt, die bis in die Gegenwart reicht.

Gedenken als Mahnung – gemeinsam gegen Rechtsextremismus und Rassismus

Mit seiner Ermordung verloren Alberto Adrianos Familie und Freund*innen einen geliebten Menschen – ihr Schmerz und ihre Trauer sind bis heute präsent. Ihm zu gedenken heißt, diesen Gefühlen Raum zu geben und die Erinnerung an ihn wachzuhalten. Zugleich ist es ein politischer Auftrag: „Gerade heute – wo rassistische Hetze und Rechtsextremismus erstarken, auch hier in Dessau – ist es umso wichtiger, der Opfer zu gedenken und aufzuzeigen, wohin Hass und Menschenverachtung führen können“, so Jean-Luc Ahlgrimm vom Multikulturellen Zentrum Dessau.

In eigener Sache

Chronik Todesopfer rechter Gewalt: Heinz Mädel (58) – ermordet von Neonazis

Der Maurer Heinz Mädel wurde am 25. Juni 1990 in Erfurt von zwei jungen Frauen beschimpft und geschlagen. Die Täterinnen schlugen ihn zu Boden und traten auf den älteren Mann auf dem Boden gegen Kopf und Oberkörper. Am 1. Juli erlag er seinen Verletzungen.

Von Max Zarnojanczyk (Blinde Flecken Erfurt)

Der Maurer Heinz Mädel wurde am 25. Juni 1990 in Erfurt von zwei jungen Frauen beschimpft und geschlagen. Die Täterinnen schlugen ihn zu Boden und traten auf den älteren Mann auf dem Boden gegen Kopf und Oberkörper. Am 1. Juli erlag er seinen Verletzungen.

Wir wissen kaum etwas über sein Leben

Viel ist über das Leben von Heinz Mädel nicht bekannt. In den Presseberichten finden sich lediglich Informationen zu seinem Alter (58-Jahre), seinem ausgeübten Beruf (Maurer) und seiner Arbeitslosigkeit zur Zeit des Überfalls. In einem Zeitungsartikel des STERN von Peter Pragal und Dieter Krause wird Heinz Mädel als unverheirateter und scheuer Einzelgänger beschrieben. In diesem Artikel wird Mädel zusätzlich als „abgerissen wirkend“, also als „sozialrandständig“, beschrieben. Die bisherigen Recherchen zum Fall ergaben jedoch viele lose Enden, deren Bearbeitung es ermöglichen würden, Heinz Mädel als Person und nicht nur als Betroffenen von rechter Gewalt zu porträtieren. Wir wissen kaum etwas über sein Leben.

Heinz Mädel traf auf seinem allabendlichen Spaziergang am  25. Juni 1990 um 23 Uhr in der Erfurter Altstadt vom Erfurter Anger auf der damaligen Leninstraße (heute Johannesstraße) auf der Höhe der Futterstraße auf zwei junge Frauen, die ihn aus einer Gruppe junger Personen, darunter auch Skinheads, heraus beobachteten. Von hinten griffen die 17-Jährigen den älteren Mann unvermittelt an. Ihre Namen: Carina S. und Corinna K..

Heinz Mädel wurde von der Polizei vernommen, die Täterinnen flüchteten.

Zuerst stieß Corinna K. Heinz Mädel von hinten in den Rücken, schlägt ihm die Mütze vom Kopf und zieht ihn an den Haaren. Ob dieser Attacke ein Wortwechsel vorausgegangen war, ist heute unklar. Heinz Mädel wehrte sich, indem er sich an der Kleidung von Corinna K. festhielt. Daraufhin reißt Carina S. Heinz Mädel zu Boden, mit den Worten: „Lasse meine Freundin in Ruhe!“. Die zwei Frauen traten auf den am Boden Liegenden ein. Dabei fokussierten sie den Oberkörper und den Kopf. Sie traten insgesamt 13-mal auf Mädel ein.

  1. und K. ließen Heinz Mädel auf dem Boden liegend zurück und zogen die Futterstraße entlang weiter. Heinz Mädel stand auf, fiel jedoch sofort gegen ein geparktes Auto. Eine Person aus der umstehenden Jugendgruppe versucht Heinz Mädel zu helfen. Da eine der Täterinnen ihre Tasche beim Angriff zurückließ, kehrten beide wieder um. Als sie den Helfenden vor Heinz Mädel sahen, sagte Carina S.: „Seit wann bist du gegen uns? Seit wann hilfst du Schwulen?“ Danach gingen sie zum Erfurter Anger, einem belebten Platz, und nahmen die Straßenbahn nach Hause.

Die beiden Angreiferinnen brachen Heinz Mädel neun Rippen. Heinz Mädel erlitt Prellungsblutungen in beiden Lungenflügeln, sowie ein Hämatom um das Auge herum. Die Lunge wurde punktiert, sodass sich Blut darin sammelte. Aus diesen Verletzungen heraus und organischen Vorschäden entwickelte sich in den Folgetagen für Heinz Mädel eine tödliche Lungenentzündung. An dieser Entzündung verstarb Heinz Mädel am 1. Juli 1990 um 14.10 Uhr.

„Er habe sich nicht gewehrt, um die Skinheads nicht weiter zu provozieren […].“

Die zwei Täterinnen waren in die Erfurter Altstadt gefahren, um „etwas zu erleben“, wie es im Gerichtsurteil hieß. Sie trafen sich gegen 18:30 Uhr und gingen in die Gaststätte „Stadt Berlin“ im Rieth, um vor der kurz bevorstehenden Währungsunion ihr verbliebenes DDR-Bargeld auszugeben. Sie tranken viel Alkohol (2,5 Promille Blutalkohol laut Gerichtsurteil) und verließen gegen 21:45 Uhr die Disko in Richtung Innenstadt: „Damit verband sich gedanklich die Möglichkeit, noch etwas zu erleben. Sie waren in der Vergangenheit wiederholt dabei, wie in der Leninstraße Leute angepöbelt wurden, von denen man meinte, es seien Homosexuelle, danach geschlagen, ins Gebüsch gezerrt oder übers Geländer geschubst worden sind. Sie empfanden das als Jux und Spaß. Beide Angeklagten haben keine ablehnende Haltung Homosexuellen gegenüber. Sie haben sich bisher keine tiefgründigeren Gedanken über diese Art der sexuellen Veranlagung gemacht.“ (131-274-90 KLs Jug.). Für die Tat brauchte es jedoch keine „tiefgründigeren Gedanken“. Es reichte der spontane Anlass, ihre schwulenfeindliche Einstellung in die Tat umzusetzen. S. und K. wollten als sozialrandständige, „fremde“, homosexuelle markierte Personen aus der Innenstadt mit Gewalt vertreiben.

In der Innenstadt angelangt trafen sie sich mit einer Gruppe Jugendlicher an einem üblichen Treffpunkt, einem Bratwurststand in der Leninstraße. Dieser Imbiss war auch anderen Menschen in dieser Zeit als Treffpunkt von rechten Skinheads und Neonazis bekannt. Aus dieser Gruppe heraus beobachteten sie Heinz Mädel und gingen auf ihn zu. Die Gruppe aus Jugendlichen, Skinheads und Neonazis schaute der Tat zu. Kreiskriminalrat Eckhardt sagte in der Thüringer Allgemeine und im STERN damals, dass K. und S. diese Gruppe beeindrucken wollten.

Anwohner*innen aus der Futterstraße und Leninstraße riefen die Polizei, die auch am Tatort ankam. Heinz Mädel war zu diesem Zeitpunkt noch ansprechbar und wurde vernommen. So beschrieb er den Polizist*innen: „Er habe sich nicht weiter gewehrt, um die Skinheads nicht zu provozieren, die sich selbst nicht beteiligt hätten, sondern nur zugesehen hätten“ (TA 1990, 143, 06.07.1990, S. 2), fasst die Thüringer Allgemeine Heinz Mädels Aussage zusammen. Es blieb die einzige direkte Aussage Heinz Mädels.

Persönlichkeitsfremd – Das Gerichtsurteil

  1. und S. wurden am 03. Juli 1990 festgenommen und blieben bis zum 22. November1990 in Untersuchungshaft. Zum Zeitpunkt des Urteils am 23. Mai1991 waren beide auf freiem Fuß und sollten es auch danach bleiben. Im Gerichtsprozess wurden S. und K. wegen vorsätzlicher Körperverletzung, mit Todesfolge, bei alkoholbedingter Schuldunzurechnungsfähigkeit unter Anwendung des DDR-Jugendstrafrechts zu jeweils 1 Jahr und 10 Monaten (K.) und 1 Jahr und 6 Monaten (S.) auf Bewährung verurteilt.

Im Gerichtsprozess wurde in weiten Teilen den Ausführungen der Täterinnen gefolgt.

Weitere Zeugenaussagen, die beispielsweise die Verbindung von K. und S. zur umstehenden Gruppe betrafen, wurden verworfen. Die Entschuldungs-Narrative bezogen sich auch auf die Sozialprognose der zwei Täterinnen. Sie seien durch ihre Eltern entweder vernachlässigt oder „verwöhnt“ worden und hätten zum Zeitpunkt der Tat durch die Wirrnisse des systemischen Umbruches und ihrer Arbeitslosigkeit keinen Ausweg für ihre Frustration gefunden. Der zu sich genommene Alkohol wurde als weitere Entschuldigung angeführt: „Ihr Hemmungsvermögen war so herabgesetzt, dass sie der Tat erheblich weniger Widerstand zu leisten vermochten.“ Mittlerweile hätten aber beide Täterinnen eine Ausbildung in Aussicht und es wäre für einen guten Lebensweg alles vorbereitet. So konstatierte das Gericht, dass den beiden Frauen die Tat „persönlichkeitsfremd“ sei, dass es eine „Ausnahme- oder Exzess-Handlung“ gewesen sei.

In der Gesamtschau des Gerichtsprozesses zeigte sich die aktive Verneinung von gruppenbezogenen menschenfeindlichen Einstellungen als Tatmotiv für den Angriff auf Heinz Mädel. Ebenso wurde die Gruppendynamikdekonstruiert und die Tat zu einer Einzeltat ohne Vorläufer umgedeutet.

Post mortem. Was nach dem Tod übrig bleibt

Nach der Tat berichtete die Lokalzeitung in insgesamt drei Artikeln zu Heinz Mädel. Im ersten Artikel, der noch auf der Titelseite erschien, wurde der Überfall als „Höhepunkt der Gewalt“ in der Stadt durch Kriminalrat Klaus Eckardt bezeichnet. Im zweiten Artikel gab es etwas ausführlichere Details zum Vorfall und die umstehende Gruppe Skinheads wurde in einen eindeutigen Zusammenhang mit der Tat gebracht. In dem dritten Artikel verschwand Heinz Mädel aus der Berichterstattung, da sich der Artikel um den Verbleib der Täterinnen in Untersuchungshaft drehte. Über den Gerichtsprozess wurde nicht berichtet.

Überregionale erschien ein Artikel im STERN zu diesem Fall, die beiden Journalisten sprachen hier mit den Eltern der Täterinnen und mit Augenzeug*innen.

In der Literatur findet sich Heinz Mädel nur in drei Erwähnungen wieder: bei Andreas Borchers „Neue Nazis im Osten“ von 1992 als Auftakt einer Auflistung von rechter Gewalt in Ostdeutschland; bei Matthias Quent „Die Entwicklung der Neonazi–Szene in Thüringen“ (2011, hier) in Rückbezug auf Borchert, sowie bei Jörg Hafkemeyer „Brauner Sumpf in Thüringen“ (2011, hier). In den letzten Jahren kamen jedoch verschiedene Onlinepublikationen hinzu, die die Geschichte von Heinz Mädel aufgriffen und kontextualisiert haben  (hier, hier und hier).

Die Erinnerung an die Geschichte von Heinz Mädel verlief in mehreren Schritten: Zuerst verlor er seinen Namen, danach wurde er nicht mehr erwähnt, sondern die Täterinnen in den Blick genommen. Bis zu dem Punkt, dass über den Gerichtsprozess nicht mehr gesprochen wurde und diese Tat nur noch zu kurzen Sätzen machte.

Heute erinnert kaum etwas an Heinz Mädel. Darum:

Sagt seinen Namen: Heinz Mädel

Anmerkung:

Heinz Mädel wird in der Liste der Todesopfer rechter Gewalt genannt, weil er aufgrund einer schwulenfeindlichen und sozialdarwinistischen Motivation der Täterinnen getötet wurde. Er hat in der Liste jedoch die Ziffer „0“, weil eine Anerkennung von offizieller Seite durch die Bundesregierung ausgeschlossen werden kann. Die Bundesregierung führt eine Statistik über Todesopfer rechter Gewalt nämlich erst ab dem 3. Oktober 1990. Infolgedessen wird Heinz Mädel von der offiziellen Statistik nicht erfasst.

Hintergründe

Sieg für Compact – die rechtsextreme Normalisierung schreitet voran

Jürgen und Stephanie Elsässer nach der Urteilsverkündung (Quelle: Thomas Witzgall)

Am 24. Juni hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über das Verbot des rechtsextremen Magazins Compact entschieden – und zugunsten der rechtsextremen Propaganda-Plattform geurteilt. Diese fatale Entscheidung könnte weit über das Schicksal des rechtsextremen Mediums hinausreichen – insbesondere mit Blick auf die AfD und weitere Organisationen der Neuen Rechten, die sich nun bestärkt fühlen dürften.

Auslagerung an die Zivilgesellschaft

Der vorsitzende Richter Ingo Kraft entschied, die Inhalte von Compact seien als „überspitzte, aber zulässige Migrationskritik“ zu deuten. Ein Urteil, das bestätigt, wie weit die Grenzen des Sagbaren bereits zugunsten rechtsextremer Ideologien der Ungleichwertigkeit von Menschenleben, verschoben wurden. Das Gericht begründete seine Entscheidung am Dienstag mit dem „Vertrauen auf die Kraft der freien gesellschaftlichen Auseinandersetzung“, selbst im Umgang mit „den Feinden der Freiheit, der Meinungs- und Pressefreiheit“. Es vertraue „mit der Vereinigungsfreiheit grundsätzlich auf die freie gesellschaftliche Gruppenbildung und die Kraft des bürgerschaftlichen Engagements im freien und offenen politischen Diskurs“. Damit ist es jetzt wieder – an der eh schon ausgelaugten – Zivilgesellschaft, den rechtsextremen Hass von Compact weiter zurückzudrängen und gesellschaftlich zu sanktionieren. Es ist einfach fatal, dass der Kampf gegen Demokratiefeinde und Rechtsextreme immer stärker auf die Zivilgesellschaft ausgelagert wird.

Der Verfassungsschutz stuft Compact seit 2021 als gesichert rechtsextrem ein. Im November 2023 hatte das Bundesinnenministerium unter Nancy Faeser die Compact-Magazin GmbH verboten – ein bislang einmaliger Vorgang gegen ein Unternehmen, das sich selbst als Presseorgan bezeichnet.

Wo hört die Meinungsfreiheit auf?

Compact verbreitet in Print- und Online-Ausgaben, auf Social Media und in Videos Inhalte, die antisemitisch, rassistisch, geschichtsrevisionistisch und verschwörungsideologisch sind – aber scheinbar durch das Vereins- und Presserecht gedeckt sind. Hass und Hetze gegen Andersdenkende und ausgemachte Feinde sind hier an der Tagesordnung. Diese Agitation richtet sich aktiv gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Das sieht auch das Bundesinnenministerium so. Laut dem Ministerium habe sich das Magazin also nicht auf journalistische Arbeit beschränkt. Das Gericht sieht dennoch keinen Grund, das Medium zu verbieten.

„Wir wollen das Regime stürzen“

Compact schreibt über Migrantinnen etwa von „kulturfremden Barbaren“ und impliziert damit, Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichten, insbesondere Musliminnen, seien unzivilisiert und eine Gefahr für „die deutsche Kultur“. 2018 schrieb Compact-Chef Jürgen Elsässer: „Aufgabe der oppositionellen Medien ist es, zum Sturz des Regimes beizutragen, und dabei gehen wir Schulter an Schulter.“ Die Rhetorik bei Compact lässt kaum Zweifel an der politischen Stoßrichtung: „Wir wollen dieses Regime stürzen“, sagte Elsässer abermals 2023 bei einer Spendengala.

Für die Compact-Anwälte Ulrich Vosgerau (Teilnehmer des Potsdamer Remigrations-Treffen), Laurens Nothdurft (einst in der HDJ) und Fabian Walser sind solche Aussagen, die Menschen aufgrund bestimmter äußerer Merkmale kategorisch abwerten und sie entwürdigen, „bloße Meinungsäußerungen“ – und damit „unproblematisch“.

Gericht prüfte Grundsatzfragen

Nun musste das Bundesverwaltungsgericht – derselbe Senat, der auch über die Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz urteilt – klären, ob das Verbot rechtlich Bestand hat. Konkret ging es hier um die Frage, ob das Vereinsgesetz auf eine GmbH angewandt werden kann.

Compact als rechtsextreme Kampagnenorganisation

Längst ist Compact nicht mehr nur ein Printprodukt, sondern ein medialer Knotenpunkt der extremen Rechten: Auf YouTube zählte Compact TV rund 515.000 Abonnentinnen, auf Telegram über 81.000. Inhaltlich werden dort rassistische, antisemitische und demokratiefeindliche Erzählungen verbreitet. Rassistische Narrative von einer angeblichen „Migrationswaffe“ und einem „kalten Genozid am deutschen Volk“ transportieren die rechtsextreme Verschwörungserzählung eines sogenannten „Bevölkerungsaustauschs“. Dabei soll eine geheime Elite (meist antisemitisch konnotiert, etwa in der Person George Soros) ein vermeintlich weiß-christliches Stammvolk durch Migrantinnen ersetzen, da diese sich besser beherrschen ließen. Es ist die Erzählung, auf der der moderne Rechtsextremismus fußt. Mit der Aktion „Blaue Welle“ unterstützte das Magazin offen den Wahlkampf der AfD, auch das rechte Netzwerk „Ein Prozent“ wurde beworben.

Das Compact-Magazin verfolgt seit Jahren eine eigene politische Agenda, die sich gegen das demokratische System richtet. Elsässer versucht mit seinen verschiedenen Medienkanälen seit Jahren, eine Art Querfront zu schaffen. Mit dieser Strategie verfolgt er das Ziel, unterschiedliche politische Lager jenseits der etablierten Parteienlandschaft gegen das demokratische System zu vereinen – und sucht dabei gezielt Anschluss an Figuren wie Sahra Wagenknecht. Die frühere Linken-Politikerin bedient mit ihrer national-sozialpatriotischen Rhetorik ähnliche Narrative wie Compact: Kritik an Globalisierung, NATO, „Eliten“ und Migrationspolitik.

Der AfD-Faschist Björn Höcke wird bei Compact bereits als „Friedens-Kanzler“ gelabelt. In der Darstellung von Compact verschwimmen so vermeintlich rechte und linke Positionen gezielt zugunsten eines gemeinsamen Feindbilds: der liberalen Demokratie. Das Querfront-Konzept wird dadurch zu einem gefährlichen ideologischen Katalysator, der legitime Systemkritik in autoritäre Sehnsüchte überführt.

Ein Urteil mit Signalwirkung

Dass das Compact-Verbot nun aufgehoben wurde, dürfte Signalwirkung für andere Akteure der extremen Rechten haben – und sie weiter in ihrem rechtsextremen Kulturkampf bestärken. Besonders die AfD dürfte das Verfahren genauestens verfolgen. Die Partei klagt aktuell gegen ihre Einstufung als „gesichert rechtsextrem“ durch den Verfassungsschutz – ebenfalls vor dem 6. Senat. Da das Gericht jetzt zugunsten von Compact geurteilt hat, könnte das der rechtsextremen Partei als Argumentationshilfe dienen.

Rechtsextreme Normalisierung stoppen

Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens gilt Compact vielen als Paradebeispiel für die mediale Normalisierung rechtsextremer Positionen in Deutschland. Lange Zeit war das Magazin bundesweit im Bahnhofsbuchhandel und in Supermärkten erhältlich. Mit professioneller Aufmachung, anschlussfähigen Verschwörungserzählungen zur Corona-Pandemie und klarem rechtsextremen Weltbild hat Compact eine Brückenfunktion in der gesellschaftlichen Radikalisierung übernommen – vom rechtskonservativen Zweifel bis zur demokratiefeindlichen Hetze.

Das aktuelle Urteil sendet ein Signal an jene, die Medienfreiheit missbrauchen, um die Demokratie von innen heraus zu bekämpfen. Und nun wurde die Aufgabe Rechtsextremismus zu bekämpfen wieder auf die Zivilgesellschaft abgewälzt.

Todesopfer rechter Gewalt

Obdachlosenfeindlichkeit: Die vergessenen Todesopfer rechter Gewalt

© Peter Cripps - stock.adobe.com

Immer wieder erfahren Obdachlose Gewalt – die Täter sind oft Rechtsextreme. Begünstigt durch ein gesellschaftliches Leistungsklima, das obdachlose Menschen abwertet, sind die Fälle meist von einer besonderen Grausamkeit und Enthemmtheit gekennzeichnet – und bleiben dennoch weitgehend unsichtbar.

Von Maximilian Honig

Inhaltswarnung: Drastische Gewalt

März 2023: Ein arbeitsloser und von Obdachlosigkeit bedrohter Mann will seine Sorgen loswerden. Er googelt „Gefängnis letzte Rettung“, packt daraufhin ein großes Küchenmesser ein, fährt in das Frankfurter Bahnhofsviertel und verletzt einen obdachlosen Rollstuhlfahrer mit mindestens zehn Stichen in den Rücken so schwer, dass dieser später im Krankenhaus stirbt. Um selbst nicht obdachlos zu werden, tötet der Mann einen Menschen, dessen Leben ihm weniger wert zu sein scheint, als sein eigenes.

Gewalt gegen Obdachlose – eine grausame Realität mit System

Gewalttaten gegen obdachlose Menschen sind keine Einzelfälle, sondern erschreckender Alltag. Das zeigt die aktuelle Polizeiliche Kriminalstatistik 2024: 2.194 Straftaten wurden im Zusammenhang mit Obdachlosigkeit erfasst – so viele wie nie zuvor. Seit Beginn der statistischen Erhebung im Jahr 2011 hat sich die Zahl der Gewalttaten gegen Obdachlose mehr als verdreifacht, wie auch Hinz&Kunzt berichtet. Die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher liegen.

Laut der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. (BAGW) werden viele Fälle gar nicht angezeigt – aus Misstrauen gegenüber den Behörden oder aus Angst vor Rache. Paul Neupert, Fach- und Organisationsreferent der BAGW, beschreibt in der Zeitschrift „Wohnungslos“, dass Gewalt gegen obdachlose Menschen Alltag ist: Bedrohungen, Demütigungen, Erpressung, Schläge, Tritte, Vergewaltigungen, Brandanschläge im Schlaf, Folter und sogar Mord.

Allein im Jahr 2025 wurden bereits mehrere grausame Fälle dokumentiert:

  • Am 4. Januar prügeln drei Jugendliche in Rostock einen obdachlosen Mann krankenhausreif.
  • Im Februar tritt ein Zehntklässler mit massiver Brutalität auf einen am Boden liegenden Obdachlosen ein – mindestens achtmal, teils mit Anlauf.
  • Anfang März wird ein schlafender Obdachloser in Göttingen so schwer attackiert, dass er Knochenbrüche erleidet.
  • Anfang April werfen Unbekannte in Berlin-Friedrichshain einen Obdachlosen in die Spree.

Diskriminierung beginnt lange vor der körperlichen Gewalt

Die Gewalt beginnt nicht erst bei körperlichen Angriffen. Schon die Verdrängung aus dem öffentlichen Raum oder der Ausschluss von öffentlicher Infrastruktur sind laut BAGW Formen der Gewalt gegen Obdachlose. Diese strukturelle Ausgrenzung basiert auf tief verankerter Obdachlosenfeindlichkeit – einer gesellschaftlich akzeptierten Diskriminierung.

Dabei ist „wohnungslos“ ein weiter gefasster Begriff als „obdachlos“. Wohnungslose haben keinen eigenen Wohnraum, leben jedoch mitunter in Notunterkünften. Obdachlose hingegen verbringen ihre Nächte im Freien – oft aus Angst oder Scham, ihre Situation öffentlich zu machen.

Zwar übt ein Teil der Täter*innen selbst Gewalt im Kontext von Wohnungslosigkeit aus – etwa bei Konflikten um Ressourcen (BAGW) –, doch das gesellschaftliche Klima spielt eine zentrale Rolle. In der aktuellen Mitte-Studie 2022/23 der Friedrich-Ebert-Stiftung geben rund 20 % der Befragten an, Obdachlose sollten aus Innenstädten entfernt werden – damit man sie „nicht sehen muss“.

Der Fall Horst Hennersdorf: Ein erschütterndes Beispiel

Wie entmenschlichend sich diese Haltung äußern kann, zeigt der Mord an Horst Hennersdorf in Fürstenwalde/Spree im Jahr 1993. Zwei jugendliche Skinheads quälten den Obdachlosen stundenlang, traten und schlugen ihn, warfen Möbel auf ihn, urinierten auf ihn und übergossen ihn mit Fäkalien. Zwei Frauen beobachteten die Tat, griffen jedoch nicht ein. Einer der Täter erklärte später, das Opfer habe für ihn „wie ein dreckiger Penner“ gewirkt – eine Aussage, die tief ins rechtsextreme und sozialdarwinistische Denken blicken lässt.

Obdachlosenfeindlichkeit – eng verknüpft mit Rechtsextremismus

Die Bundeszentrale für politische Bildung beschreibt typische Merkmale der Gewalt gegen Obdachlose: Häufig von jungen Männern verübt, situativ eskalierend, enthemmt brutal – und häufig mit rechtsextremen Tatmotiven. Dennoch wird genau dieses Motiv bei Obdachlosen besonders oft ignoriert.

Eine Langzeitstudie der Universität Bielefeld von 2002 bis 2012 ordnet Obdachlosenfeindlichkeit dem Syndrom „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ zu. Menschen, die Obdachlose abwerten, tendieren dazu, auch anderen Gruppen wie Geflüchteten oder Menschen mit Behinderung Gleichwertigkeit abzusprechen. Die Ursache liegt oft in sozialdarwinistischen Weltbildern: Wer nicht leistungsfähig ist, gilt als „weniger wert“.

Gewalt gegen Obdachlose hat historische Wurzeln

Diese Denkweise hat eine lange Geschichte. Schon im Mittelalter wurde zwischen „wahren“ und „unwahren“ Armen unterschieden – je nachdem, ob jemand „arbeitswillig“ war. Seit dem 17. Jahrhundert dienten Wohnsitz und Arbeit als Ordnungskriterien. In der Kaiserzeit galten obdachlose Männer als „Vagabunden“ oder „Landstreicher“, obdachlose Frauen als „gefallene Mädchen“ – oft gleichgesetzt mit Prostituierten (Quelle zur Geschichte).

Auch heute noch ist das Stigma groß. Laut der Langzeitstudie der Uni Bielefeld glaubten im Jahr 2010 rund 28 Prozent der Befragten, Obdachlose seien „arbeitsscheu“. Diese Sichtweise geht einher mit einem sozialdarwinistischen Weltbild, das Armut als persönliches Versagen betrachtet – ein Bild, das auch in der Leistungsgesellschaft tief verankert ist.

Gewalt gegen Obdachlose bleibt unsichtbar

In den 1990er-Jahren, den sogenannten Baseballschlägerjahren nach der Wiedervereinigung, kam es immer wieder zu Gewalttaten gegen obdachlose Menschen. Obwohl die Täter häufig rechtsextrem waren, wurden diese Angriffe lange Zeit nicht als politisch motivierte Gewalt eingestuft. So erging es auch Jürgen S., der – wie zuvor Bernd Schmidt – am 9. Juli 2000 in einem Abrisshaus in Wismar zu Tode misshandelt wurde. Trotz rechtsextremer Tätowierungen bei den Tätern erkannte das Gericht kein politisches Motiv an: Aus den Tätowierungen könne nicht zweifelsfrei auf die Gesinnung geschlossen werden, so die Begründung des Richters.

Dass Gewalt gegen Obdachlose auch heute noch weitgehend im Verborgenen bleibt, liegt nicht zuletzt daran, dass Betroffene nach wie vor nur über ein vergleichsweise kleines politisches Unterstützungsnetzwerk verfügen. Lediglich die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. (BAGW) engagiert sich dauerhaft für ihre Belange. Sie fordert von der Politik die Förderung präventiver und nachsorgender Konzepte, eine stärkere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Gewalt gegen wohnungslose Menschen – sowie eine konsequente Strafverfolgung der Täter*innen.

Ein Beispiel für ein solches Strafmaß: Der Täter aus dem Frankfurter Bahnhofsviertel wurde am 25. April 2025 zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Dunkelziffer derartiger Gewalttaten dürfte seitdem jedoch weiter gestiegen sein.

 

Gefördertes Projekt

Über den Tellerrand hinaus: Solidarische Vernetzung gegen Rechtsextremismus von Nürnberg nach Südthüringen

Die Naturfreunde Nürnberg machen sich mit dem Fahrrad auf den Weg zu Engagierten in Südthüringen. Foto: Naturfreunde Nürnberg Mitte, Uli

Die Nürnberger Initiative „Vernetzung gegen Rechts“ knüpft Kontakte zu Initiativen in Südthüringen und zeigt so, wie wichtig Solidarität und Austausch zwischen der Großstadt und ländlichen Räumen sind. Dabei setzen sie auf gemeinsame Aktionen, Begegnungen und gegenseitiges Zuhören, um überregionale Netzwerke im Kampf gegen Rechtsextremismus zu stärken.

Von Luisa Gerdsmeyer

„Es reicht nicht, gegen Rechtsextremismus nur vor der eigenen Haustür aktiv zu sein.“ – Mit dieser Überzeugung macht sich die Nürnberger Initiative „Vernetzung gegen Rechts“ auf den Weg nach Südthüringen, um Kontakte zu knüpfen und solidarische Netzwerke aufzubauen. Die Initiative entstand Anfang 2024 im Zuge der bundesweiten Massenproteste gegen die rechtsextreme AfD. Seitdem trifft sich die „Vernetzung gegen Rechts“ regelmäßig im Nürnberger Naturfreundehaus und bringt unterschiedliche Akteur*innen aus der Stadtgesellschaft zusammen. „Für uns war von Anfang an klar, dass wir auch über die Stadtgrenzen hinausdenken und uns aus unserer Großstadtblase hinausbewegen wollen“, erzählt Lollo von den Naturfreunden Nürnberg, die die Initiative mitgegründet hat.

Gemeinsam organisieren sie nicht nur regelmäßige Diskussionsveranstaltungen, Gegenproteste zu rechtsextremen Aktionen in Nürnberg, sondern bauen auch gezielt Kontakte und Netzwerke in ländlichen Räume auf. Ziel ist es, den Kampf gegen Rechtsextremismus gemeinsam und solidarisch zu führen – mit Anerkennung und Respekt für unterschiedliche Lebensrealitäten.

Politische Radtour von Nürnberg nach Thüringen

„Erste Kontakte nach Thüringen bestanden bei einigen von uns bereits aus beruflichen Gründen. Es war super, dass wir daran anknüpfen konnten“, erzählt Lollo. Die erste konkrete Aktion zur Vernetzung war eine Radtour im Sommer 2024. Beim sogenannten Demo-Graveln, einer politischen Radtour mit Gravelbikes, besuchten die Nürnberger Naturfreunde Engagierte in Thüringen. Beim ersten Mal noch in kleiner Runde, doch bei der zweiten Auflage im Mai 2025, die die Amadeu Antonio Stiftung mit einer Förderung unterstützte, nahmen fast 20 Personen teil. Die Gruppe kam in einem Naturfreundehaus im Thüringer Wald unter und unternahm von dort aus Tagestouren zu befreundeten Initiativen.

Sonneberg – erster Halt der Vernetzungstour

Der erste Halt der diesjährigen Tour war Sonneberg. Dort trafen sie Marcel, der die „Gewölbebar“ betreibt und den Verein “Make Some Noise e.V.” gegründet hat. Nachdem im Juni 2023 der rechtsextreme Robert Sesselmann im Landkreis Sonneberg zum deutschlandweit ersten Landrat der AfD gewählt wurde, wurde Marcel aktiv. Mit seinem Verein setzt er sich seither für ein demokratisches Sonneberg ein – mit Konzerten, Lesungen und anderen Veranstaltungen in seiner Bar.

Damit bietet er eine Anlaufstelle für alle, die sich der rechtsextremen Normalisierung in der Stadt entgegenstellen wollen. „Es war für uns alle sehr beeindruckend zu hören, mit wie viel Mut sich Marcel und seine Mitstreiter*innen in Sonneberg engagieren, trotz aller Anfeindungen und Drohungen, die sie deshalb erhalten“, so Lollo. „Uns ist bewusst, dass der Preis, den man für so eine öffentliche Positionierung gegen Rechtsextremismus zahlt, in Sonneberg ein ganz anderer ist, als bei uns in Nürnberg. Gerade deshalb ist es für uns so wichtig, dieses Engagement sichtbar zu machen, sich kennenzulernen, einander zuzuhören und voneinander zu lernen und konkret vor Ort unsere Solidarität zu zeigen.“

Foto: Naturfreunde Nürnberg Mitte, Uli

Besuch in Kloster Veßra und Almerswind: Widerstand gegen Rechtsextreme und gelebte Demokratie

Der nächste Stopp der Tour war Kloster Veßra bei Themar. Dort trafen sich die Radfahrer*innen mit dem “Bündnis für Demokratie und Weltoffenheit Kloster Veßra”. Das Bündnis gründete sich 2015, als der bekannte Neonazi Tommy Frenck einen Gasthof im Ort eröffnete. In den Jahren danach fanden dort immer wieder rechtsextreme Veranstaltungen statt. 2017 und 2018 reisten Tausende Neonazis aus ganz Europa zu Rechts-Rock-Konzerte an. Das Bündnis hielt dagegen – mit Demos direkt vor dem Konzertgelände, Gedenkaktionen für Todesopfer rechter Gewalt oder Familienfesten, mit denen sie für Demokratie und Weltoffenheit in dem kleinen Ort einstehen. Dabei haben sie einen wichtigen Erfolg erzielt: Frenck musste mit seiner Gaststätte aus den Räumlichkeiten ausziehen, die Gemeinde hatte das Vorkaufsrecht gerichtlich erstritten. „Wir sind nach Kloster Veßra gefahren, um unsere Solidarität zu zeigen, aber auch, weil wir von den Leuten dort unglaublich viel lernen können“, sagt Lollo. „Uns ist es wichtig ins Gespräch zu kommen: was brauchen die Engagierten, die hier im ländlichen Thüringen diese wichtige Arbeit leisten? Und wie können wir aus der Großstadt konkret unterstützen?“

Der dritte und letzte Besuch der Radtour führte ins Flechtwerk Almerswind, ein Bildungs- und Begegnungshaus in der Nähe von Sonneberg. In der ländlichen Gegend schafft das Projekt Gelegenheiten, damit Menschen zusammenkommen – etwa bei Kulturveranstaltungen, Workshops oder Gesprächsrunden. Ziel ist es, dem Gefühl der Vereinzelung und politischen Sprachlosigkeit entgegenzuwirken und Dialog wieder möglich zu machen. Für die Besucher*innen aus Nürnberg war das Flechtwerk ein eindrückliches Beispiel, wie gelebte Demokratie vor Ort aussehen kann.

Abschlussveranstaltung in Nürnberg: „Aktiv ist Muss!“

Den Abschluss des von der Amadeu Antonio Stiftung geförderten Vernetzungsprojekts bildete eine Diskussionsveranstaltung in Nürnberg unter dem Motto „Aktiv ist Muss! – Gemeinsam gegen den Rechtsruck“, zu der die Naturfreunde gemeinsam mit den “Omas gegen Rechts” einluden. Aktive, die sich etwa in Gewerkschaften, migrantischen Selbstorganisationen oder in anderen Kontexten gegen Rechtsextremismus und Rassismus einsetzen, kamen zusammen, um sich über ihre Perspektiven, Erfahrungen und politischen Forderungen auszutauschen. Mit dabei war auch hier Marcel aus Sonneberg. Das Fazit: Nur, wenn wir Stadt und Land, Ost- und Westdeutschland zusammen denken und uns gegenseitig unterstützen, können wir dem erstarkenden Rechtsextremismus wirksam etwas entgegensetzen. „Die Demokratie geht uns alle etwas an – und verteidigen können wir sie nur gemeinsam, wenn wir keine Region damit alleine lassen“, betont Lollo.

Foto: Naturfreunde Nürnberg Mitte, Uli

Die Vernetzung geht weiter – Ideen für die nächsten gemeinsamen Projekte

Die Zusammenarbeit der Naturfreunde Nürnberg mit den Engagierten in Themar, Sonneberg und Almerswind soll weitergehen. Aktuell sind sie im Austausch, um gemeinsame Projektideen und Möglichkeiten der gegenseitigen Unterstützung zu planen, beispielsweise mit dem Bündnis für Demokratie und Weltoffenheit Kloster Veßra. „Das Bündnis plant bald ein Familienfest. Eine Idee ist, dass wir als Naturfreunde Nürnberg zur Unterstützung hinfahren, eine Kletterwand mitbringen und so sportliche Angebote mit politischer Bildung verbinden“, erzählt Lollo. „Gleichzeitig hat das Bündnis in Kloster Veßra bereits viel Erfahrung mit den unterschiedlichsten Aktionsformen. Von diesem Erfahrungswissen können wir sehr profitieren. Vielleicht lässt sich eine ihrer Protestaktionen so ähnlich auch in Nürnberg umsetzen, um gegen die rechtsextremen Demos zu protestieren, die hier jeden Montag in der Innenstadt stattfinden.“

Die Vernetzung zwischen Nürnberg und Südthüringen zeigt, welches Potenzial darin liegt, wenn Menschen aus unterschiedlichen Regionen sich zusammentun. Der Einsatz gegen Rechtsextremismus muss als gemeinsame Aufgabe verstanden werden. Es braucht solidarische Allianzen und die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen, sich zuzuhören und voneinander zu lernen.

Analyse

Zwischen Desinformation und Gewalt: Wie die AfD den Neonazi-Angriff in Bad Freienwalde für ihre Agenda umdeutet

Am vergangenen Sonntag wurde das Fest der Vielfalt in Bad Freienwalde, das als buntes Zeichen für Toleranz, Demokratie und gegen Rechtsextremismus geplant war, von einem brutalen Angriff überschattet. Vermummte Täter, mutmaßlich aus dem Umfeld der neonazistischen Kleinstpartei „Der III. Weg“, stürmten mit Holzlatten und anderen Schlagwaffen die Veranstaltung, verletzten Teilnehmende und verbreiteten Angst unter den Besucher*innen – darunter viele Familien mit Kindern. Der Angriff offenbart einmal mehr die zunehmende Bedrohung durch rechte Gewalt und die gezielten Versuche, zivilgesellschaftliches Engagement zu diskreditieren und einzuschüchtern. Bereits im Februar geriet eine Veranstaltung von „Bad Freienwalde ist bunt“ zur Zielscheibe der rechtsextremen Kleinstpartei. Wenige Tage nach dem Angriff von Neonazis aus dem mutmaßlichen Umfeld des „III. Weg“veröffentlicht die AfD ein gezieltes Desinformationsvideo. Ziel dieses Videos ist es, die Veranstalter*innen zu diffamieren und den rechtsextremen Hintergrund des Angriffs in Zweifel zu ziehen.

Der AfD-Direktkandidat Lars Günther – selbst nicht vor Ort, ebenso wie sein fragwürdiger Gesprächspartner – behauptet darin, „aufzuklären, was wirklich in Bad Freienwalde passiert ist“. Günther ist tief in der rechtsextremen Szene verwurzelt: Er war Mitarbeiter des rechtsextremen Verlags Compact und gilt als enger Vertrauter von Andreas Kalbitz. Das Video ist durchzogen von offener Queer- und Transfeindlichkeit – genau dieses Feindbild wird gezielt bedient, weil es in ihrer Anhängerschaft auf Resonanz stößt. Dabei ging es bei der Veranstaltung „Bad Freienwalde ist bunt“ um weit mehr: ein kleines, lokales Demokratiefest, offen für alle. Ein Fest der demokratischen Zivilgesellschaft, das Menschenrechte feiert, Vielfalt lebt und niemanden ausschließt. Genau deshalb wurde es zum Ziel eines Angriffs. Es war ein Angriff auf all jene, die sich für ein friedliches, solidarisches und demokratisches Miteinander einsetzen – und sich trotz rechtsextremer Einschüchterung nicht zurückziehen.

„Bad Freienwalde ist bunt“: ein Fest für Demokratie und Vielfalt

Aus diesem Grund wird „Bad Freienwalde ist bunt“ nun von Günther und seinem Gesprächspartner als „Fest des Gender-Kults und der Regenbogenfahnen“ diffamiert und diskreditiert. Dabei bedienen sie sich nahezu aller gängigen rechtsextremen Narrative zur sexuellen und geschlechtlichen Selbstbestimmung. Unter dem Deckmantel des vermeintlichen Kinderschutzes und der angeblichen Frühsexualisierung werden trans* Menschen entmenschlicht und kriminalisiert. Queere und trans* Identität werden als „wider der Natur“ und „Fetisch“ bezeichnet – ein perfides und etabliertes Narrativ der extremen Rechten. Diese Hetze geht einher mit systematischer Faktenverdrehung: Presseberichte werden als parteiisch dargestellt, das Bildungssystem wird beschuldigt, Kinder zu ideologisieren.

Verschwörungsmythen und Täter-Opfer-Umkehr

Zusätzlich versucht die AfD, den rechtsextremen Angriff als Inszenierung zu verkaufen. So behauptet Günther, die Presse sei „schon vorher da gewesen“, Teilnehmende seien „angekarrt“ worden, und es wird über angebliche „Lohnlisten“ spekuliert, auf denen die Täter gestanden haben sollen. Solche absurden Verschwörungsmythen treffen jedoch auf offene Ohren in der AfD-Anhängerschaft.

Zwischen den Zeilen – und teils ganz offen – äußert das Video Verständnis für den Angriff. Günther macht keinen Hehl daraus, dass er das Fest ablehnt, und bietet den Angreifern sogar Unterstützung an: „Wir finden Mittel und Wege, wie man seinen Zorn kanalisieren kann!“ Die bewaffnete Gewalt der Neonazis wird verharmlost, während der Selbstschutz der Anwesenden als Selbstjustiz diffamiert wird. In typischer Hufeisenrhetorik ist die Rede von „gewaltbereiten Antifa-Kadern“ – eine klare Täter-Opfer-Umkehr. Besonders fatal ist die verharmlosende Entpolitisierung des Angriffs durch den Bürgermeister der Stadt, der die Tat lediglich als „Störung“ bezeichnet und den Medien vorwirft, die Geschehnisse „aufgebauscht“ zu haben. So entsteht ein gefährlicher Mix aus Relativierung, Desinformation und gezielter Hetze.

Doch es geht noch weiter: Günther behauptet, „Bad Freienwalde ist bunt genug“, und wirft der Initiative vor, sich nicht um die „wahren Probleme“ der Region zu kümmern. Dabei instrumentalisiert er den Neonazi-Angriff am helllichten Tag, um rassistische Stimmung gegen „kriminelle Migranten“ zu schüren.

Arbeitsteilung der extremen Hetze: Hetze, Gewalt und Desinformation

Was wir hier erleben, ist die arbeitsteilige Strategie der extremen Rechten: Die AfD hetzt gegen Queers*, Vielfalt und Demokratie – Neonazis greifen an. Durch Desinformation, Verschwörungsmythen und gezielte Skandalisierung soll die demokratische Zivilgesellschaft diskreditiert und delegitimiert werden.

Das ist brandgefährlich. Es muss immer wieder betont werden: Die AfD ist eine queer- und transfeindliche, antidemokratische und rechtsextreme Partei. Auch in diesem Fall nutzt sie ihre Reichweite und ihre Netzwerke gezielt, um die Gewalt von Neonazis zu relativieren – und demokratisches Engagement zu diskreditieren. Unsere Solidarität und unser Dank gelten allen engagierten Menschen in Bad Freienwalde, die sich trotz solcher Angriffe und Schmutzkampagnen nicht einschüchtern lassen – und mit Veranstaltungen wie dem Vielfaltsfest für eine offene, demokratische Gesellschaft einstehen.

Aktionswochen gegen Antisemitismus

Die Rolle der UNO im Fokus – Neues Zivilgesellschaftliches Lagebild Antisemitismus #14 veröffentlicht

Anlässlich des 80. Geburtstags der Vereinten Nationen blickt die Amadeu Antonio Stiftung auf die Schattenseiten einer Institution, deren einstiger Friedensanspruch heute immer häufiger infrage gestellt wird. Das neue zivilgesellschaftliche Lagebild Antisemitismus #14 beleuchtet, wie UN-Institutionen und ihre Vertreter*innen seit dem 7. Oktober 2023 zur Relativierung von Terror beitragen – und welche Folgen das für die Debatte über Israel und Antisemitismus in Deutschland hat.

Die Bilanz ist ernüchternd: Statt ein Ort für Frieden und Menschenrechte zu sein, wurde die UNO nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 vielfach zur Bühne für Verzerrung, Relativierung und Doppelmoral. UNRWA-Mitarbeiter*innen sollen direkt am Massaker beteiligt gewesen sein. Andere UN-Organisationen reagierten viel zu spät auf die sexualisierte Gewalt, die an diesem Tag dokumentiert wurde. Und israelische Geiseln berichten, in UN-Gebäuden festgehalten worden zu sein. Gleichzeitig scheut sich die Generalversammlung weiterhin davor, die Hamas als das zu benennen, was sie ist: eine Terrororganisation.

Was das mit Deutschland zu tun hat? Sehr viel. Denn UN-Resolutionen und Aussagen ranghoher UN-Vertreterinnen werden in Deutschland von antisemitischen Akteurinnen immer wieder als scheinbar neutrale Belege für israelfeindliche Narrative herangezogen – quer durch alle politischen Milieus. In Demonstrationen, auf Social Media oder im politischen Diskurs: Die Vereinten Nationen werden instrumentalisiert, um Antisemitismus unter dem Deckmantel der Israelkritik zu legitimieren.

Die Amadeu Antonio Stiftung dokumentiert, analysiert und bewertet antisemitische Vorfälle in Deutschland seit vielen Jahren. Mit dem Lagebild Antisemitismus #14 richten wir den Blick auf die internationale Bühne – und ihre Wirkung auf die deutsche Gesellschaft.

Die fünf Kernbeobachtungen im Überblick:

1. Resolution: Israelfeindschaft als Mehrheitsmeinung

Die UNO ist eine Versammlung ihrer Mitgliedstaaten – viele davon autokratisch regiert und demokratiefeindlich. In dieser Konstellation prägt eine israelfeindliche Mehrheit seit Jahrzehnten die Nahostpolitik der Vereinten Nationen. Nach dem 7. Oktober wurde deutlich, wie dysfunktional dieses System ist: Statt Israel zu unterstützen, kippte die Mehrheit Resolutionen, die Terror verurteilen sollten – oder formulierte diese bewusst einseitig.

2. Verkehrte Welt: Verharmlosung der Hamas, Delegitimierung Israels

Während Israel für seine Selbstverteidigung verurteilt wird, bleiben Verurteilungen der Hamas aus. UNO-Vertreter*innen sprechen von „Widerstand“, statt den Terror als solchen zu benennen. Diese Rhetorik verschleiert die Gräueltaten vom 7. Oktober und findet erschreckend viel Resonanz auch in deutschen Diskursen – sei es auf der Straße oder in den sozialen Medien.

3. UNO als Legitimationsinstanz für Antisemitismus

Antisemitische Narrative erhalten durch UN-Statements, Resolutionen und Berichte eine scheinbar moralische und politische Legitimität. Begriffe wie „Genozid“ oder „Menschenrechtsverletzungen“ gegen Israel werden oft unkritisch übernommen – während gleichzeitig sexualisierte Gewalt durch die Hamas kaum benannt wird. Diese Schieflage wirkt weit über die UN hinaus und prägt auch den deutschen Diskurs.

4. Beitrag zur Destabilisierung des Nahen Ostens

Statt Frieden zu fördern, verstärkt die UNO durch ihre einseitige Haltung bestehende Konfliktlinien. Besonders problematisch: das Verhalten des UN-Hilfswerks UNRWA, dessen Schulmaterialien und Personal wiederholt antisemitische Inhalte verbreitet haben. Die institutionelle Praxis der UNO trägt so zur langfristigen Destabilisierung der Region bei – und untergräbt das Vertrauen vieler Jüdinnen*Juden in diese internationale Institution.

5. Zahnlose Staatsräson: Deutschlands doppelte Standards

Trotz der oft zitierten Staatsräson – der besonderen Verantwortung gegenüber Israel – zeigt Deutschlands Verhalten in der UNO ein anderes Bild. Seit dem 7. Oktober hat die Bundesregierung mehreren israelkritischen Resolutionen zugestimmt oder sich enthalten – und gehört weiterhin zu den größten Geldgebern der UNRWA. Eine klare und verlässliche Haltung sieht anders aus.

Das Lagebild Antisemitismus #14 bietet eine tiefgehende Analyse der Rolle der UNO im Kontext des israelbezogenen Antisemitismus – und zeigt auf, wie internationale Politik antisemitische Diskurse in Deutschland beeinflusst.

Das vollständige Lagebild steht ab sofort digital und als Printversion zur Verfügung.

 Hier geht’s zur Publikation

 

In eigener Sache

Bauen wir Zukunft: Mit Infrastruktur Demokratie stärken

Mit dem geplanten Infrastruktursondervermögen von bis zu 500 Milliarden Euro planen die Bundesregierung und Bundesländer eine der größten öffentlichen Investitionsoffensiven der Nachkriegsgeschichte. Das Sondervermögen bietet die einmalige Gelegenheit, Deutschland klimaneutral, wirtschaftlich und infrastrukturell zu modernisieren und dabei die Demokratie zu stärken.

Doch Zukunftsfähigkeit bedeutet mehr als Schienen, Stromtrassen und Serverkapazitäten. Wer die Transformation nachhaltig gestalten will, muss auch die demokratische Substanz des Landes stärken – insbesondere dort, wo das Vertrauen in Staat und Institutionen bereits brüchig ist.

Zum Download: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2025/06/Verbaende-und-Zivilgesellschaft_Bauen-wir-Zukunft.pdf

Demokratie ist Standortfaktor – und Sicherheitsfaktor

In vielen Regionen – insbesondere strukturschwachen – fehlt es nicht nur an technischer Infrastruktur, sondern auch an öffentlicher Sichtbarkeit, Beteiligung und demokratischer Anbindung. Gerade junge Menschen erleben den Staat zunehmend als fern und unzugänglich. In diesen Räumen gedeiht die populistische Erzählung vom Staatsversagen – und Lücken staatlicher Versorgung werden von rechtsextremen Kräften gezielt genutzt.

Diese Leerstelle ist sicherheitspolitisch relevant. Laut Verfassungsschutzbericht 2024 ist die Zahl rechtsextremistisch motivierter Straftaten um 47 % auf über 37.800 Fälle gestiegen. Besonders auffällig ist die Herausbildung einer neuen rechtsextremen Jugendkultur – digital vernetzt, aktionsorientiert, häufig gewaltbereit und sogar terroristisch vereinigt. Wachsende Gewalt gegen Kulturzentren und queere Räume, CSDs und die demokratische Zivilgesellschaft zeigt, dass diese Entwicklungen nicht marginal sind. Rußlands hybrider Krieg gegen die liberalen Demokratien verstärkt gezielt politische Polarisierung und die Verbreitung von Falschinformationen. Stärkung demokratischer Resilienz gegen Bedrohungen von innen und außen muss ein Ziel der umfassenden Investitionen sein.

Demokratieförderung – insbesondere durch soziale Orte, Jugendbeteiligung, politische Bildung, Medienkompetenz und zivilgesellschaftliche Infrastruktur – ist Voraussetzung für gesellschaftlichen Zusammenhalt, Sicherheit sowie Fachkräftegewinnung und wirtschaftliche Wachstumsfähigkeit. Wo Demokratie nicht funktioniert und Menschen Angst haben, gerät auch Transformation ins Stocken.

Investitionen müssen ankommen – und verbinden

Damit das Sondervermögen wirkt, muss es dort ankommen, wo Menschen die Transformation unmittelbar erleben. Es braucht Investitionen, die das Leben spürbar verbessern: durch funktionierenden ÖPNV, moderne Schulgebäude, oder neue Wärmenetze, die Zugang zu erneuerbarer Energie schaffen. Diese Maßnahmen sind mehr als die Summe ihrer Teile: Sie erhöhen nicht nur die Lebensqualität, sondern schaffen Vertrauen.

Doch Infrastruktur allein reicht nicht. Auch Orte der Begegnung, Beteiligung und Demokratie müssen entstehen – vor allem in Regionen, in denen sich viele Menschen abgewendet haben. Hier kann das Sondervermögen zeigen: Der Staat sieht euch, öffnet Räume, hört zu – und lässt mitgestalten.

Beteiligung schützt Demokratie

Die Demokratieforschung ist eindeutig: Beteiligung ist ein wirksamer Schutzfaktor gegen Radikalisierung. Studien des Berlin-Instituts, des WZB, der Bertelsmann Stiftung, des Instituts für Demokratieforschung in Göttingen, des IDZ Jena und der Universität Leipzig zeigen: Wer sich wirksam beteiligen kann, ist weniger anfällig für autoritäre, rechtsextreme und verschwörungsideologische Narrative. Besonders in strukturschwachen Räumen kann Beteiligung verlorenes Vertrauen zurückbringen – und demokratische Resilienz stärken.

Unsere Empfehlungen

Damit das Investitionspaket nicht nur Wachstum, sondern auch demokratische Resilienz stärkt, braucht es klare Leitplanken:

1. Demokratische Kultur als Querschnittsziel

Alle Maßnahmen des Sondervermögens sollten systematisch auf ihre Wirkung für gesellschaftliche Teilhabe, Repräsentanz und Zusammenhalt geprüft werden – analog zu Nachhaltigkeitskriterien.

2. Vorrang für strukturell benachteiligte Regionen und Einrichtungen

Die Mittelvergabe sollte dort ansetzen, wo das Vertrauen in staatliches Handeln besonders fragil ist – etwa über einen demokratiepolitisch sensiblen Sozialindex. Überdies bieten sich entlang der Fördermaßnahmen Chancen, gezielt Kompetenzen zu fördern und den Zugang zu Bildung und Beteiligung zu erweitern, die den Mehrwert eines modernen Deutschland für alle erfahrbar machen.

3. Feste Anteile für soziale Infrastruktur

Mindestens fünf Prozent des Gesamtvolumens sollten verpflichtend in demokratierelevante Räume fließen – darunter Jugendzentren und Orte der Jugendverbandsarbeit, Demokratieläden, Stadtteilforen und Orte der Begegnung.

4. Verbindliche Beteiligungsverfahren

Die Stärkung der Handlungsfähigkeit von Kommunen und Maßnahmen wie kommunale Investitionsbeiräte mit zivilgesellschaftlicher Beteiligung können sicherstellen, dass Maßnahmen vor Ort legitimiert, bedarfsorientiert und wirkungsvoll sind. Diese sollten wissenschaftlich begleitet und ausgewertet werden.

5. Synergien mit Programmen für politische Bildung und Gewaltprävention schaffen

Über das Infrastruktursondervermögen hinaus sollte weiterhin in Programme für politische Bildung, Medienkompetenz und präventive Jugendarbeit investiert werden. Die Förderung für junge Menschen in ländlichen und strukturschwachen Regionen mindert die Anfälligkeit für extremistische Narrative und stärkt Teilhabe- und Zukunftsperspektiven. Die Studie „Wer sind die Neuen?“ (Campact & DPZ 2025) zeigt: Demokratische Bildung ist ein zentraler Baustein, um Radikalisierung vorzubeugen – und gesellschaftliche Stabilität langfristig zu sichern.

Demokratie mitdenken heißt: Zukunft sichern

Wer heute in Infrastruktur investiert, gestaltet auch das gesellschaftliche Fundament von morgen. Demokratie darf dabei kein Nebengedanke bleiben. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass Wandel gelingt, Konflikte produktiv bearbeitet werden – und junge Menschen die Zukunft mitgestalten wollen.

Noch ist offen, wie die Mittel konkret vergeben werden. Noch ist Zeit, Demokratie mitzudenken.

Dieser Aufruf wird mitgetragen von:

Timo Reinfrank, Amadeu Antonio Stiftung

Julia Paaß, Netzwerk Zukunftsorte
Henning Flad, Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche & Rechtsextremismus (BAG K+R)

Gökay Sofuoglu und Aslihan Yesilkaya Yurtbay, Türkische Gemeinde in Deutschland

Heiko Klare, Bundesverband Mobile Beratung

Prof. Dr. Katrin Großmann, 

Forschungskollektiv Peripherie & Zentrum (FPZ), FH Erfurt

Dr. Romy Reimer, FORUM Gemeinschaftliches Wohnen e.V., Bundesvereinigung

Olaf Ebert, Stiftung Bürger für Bürger

Matthias Petzold, SUPERBLOCKS Leipzig e.V.

CAIA Academy gGmbH

Sophie Renz, Leipzig+Kultur e.V.

Michael Nattke, Kulturbüro Sachsen e.V.

Jutta Hieronymus, ECOnGOOD / Gemeinwohl-Ökonomie Deutschland e.V.

Michael Kreutzmann, ECOnGOOD Gemeinwohl-Ökonomie Hamburg

Ludger Lemper, KulturMarktHalle e.V. – Stadtteilzentrum Prenzlauer Berg OST

Friedrich Rohde, KIEZconnect e.V.
Frederik Fischer, Neulandia

Ariane Jedlitschka, Helden wider Willen e.V.

Andreas Stäbe, Netzwerk für Demokratie und Courage (NDC)

 

Mamad Mohamad, Landesnetzwerk Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt e.V.

BI Wuhlheide, Berlin

Extinction Rebellion Bergedorf

André Kranich, Flechtwerk Almerswind Christian von Oppen, Gutshaus der Zukunft Altfriedland

Gero von Barnewitz, Bahnhofszeit, Nauen

Anna Mauersberger, Die Station (Kulturhafen Au e.V.), Windeck

Heiko Kolz, Alsenhof Kreativzentrum Lägerdorf

Stefan Willuda und Kristina Klessmann, Beta Hof, Rethem

Eltern gegen Rechts Facilitators for Future

Christine Becker, Salutoconsult

Bündnis LokalStark – Stadtteilzentren Pankow von Berlin
Hans-Albrecht Wiehler, CoWorkLand

Steffen Richter, German Coworking Federation e.V. – Bundesverband Coworking Deutschland

Martin Strobel, goals connect e.V.

Anselm Maria Sellen, HeartWire – Kreativlabor für gesellschaftliche Herzensbildung

Melissa Pirouzkar-Moser, ZOON e.V.

Grit Körmer, Dorfbewegung Brandenburg e.V.

Hand in Hand #WirSindDieBrandmauer

Silvia Harth, Urbane Nachbarschaft Mirke gGmbH

Nina Katz, diversu e.V.

Antares Reisky, Ulab DACH Hub
Jan Pehoviak, KLuG – Köln Leben & Gestalten e.V.

Elke Fein, Institut für integrale Studien (IFIS) e.V., Freiburg (Einzelzeichnung)

Matthias Lenssen, Brainpix GmbH

Florian Michaelis, Graadwies GmbH

Kasia Wojcik, Berlin Polyphon

Sebastian Schlecht, lala.ruhr

Adrian Schefer, Marktplatz Waldschänke GmbH, Stahnsdorf

Cyrus Dominik Khazaeli, Projektraum-Drahnsdorf GbR

Amelie Salameh, Himmel und Humus GbR

Dr. Inga Ganzer, raumdeuter GbR

Wiebke Wilkens, Ankerplatz Stade e.V.

Canan Aksu, Über den Tellerrand e.V.

Julia Nagel, Annika Heinrichs und Peter Neuberger, Ein Ding der Möglichkeit e.G.

Heiko Kolz, PEOPLE PLACES PURPOSE

Prof. Dr. Renée Tribble, StädteBauProzesse, TU Dortmund

Johannes Milke und Amelie Salameh, Wir bauen Zukunft eG

Hanna Stoff, fint e.V. Gemeinsam Wandel Gestalten

 

Diese Empfehlungen wurden von zivilgesellschaftlichen Organisationen aus dem Bereich der Demokratie- und Beteiligungsförderung, der politischen Bildung und des Engagements formuliert. Wir stehen für weiterführende Gespräche und Fachinput zur Verfügung.

Kontakt: Anne Isakowitsch, Zukunft Demokratie, anne@zukunftdemokratie.org 

Monitoring

12 Vorfälle pro Woche: Höchststand antisemitischer Vorfälle in Niedersachsen

650 antisemitische Vorfälle in Niedersachsen – so viele wie nie zuvor. Der neue Jahresbericht von RIAS Niedersachsen zeigt eindrücklich: Antisemitismus ist keine Randerscheinung, sondern Alltag für viele Jüdinnen und Juden im Land.

Vor allem seit dem 7. Oktober 2023 hat sich das gesellschaftliche Klima dramatisch verändert. Das Massaker der Hamas und der Krieg in Israel und Gaza schufen eine Gelegenheitsstruktur, die antisemitische Vorfälle begünstigte. Diese ist nicht die Ursache, aber sie lieferte den Nährboden, auf dem antisemitische Äußerungen und Handlungen massenhaft auftraten – so auch in Niedersachsen.

„Antisemitismus war 2024 für viele Jüdinnen und Juden keine abstrakte Bedrohung, sondern brutale Realität – selbst an Schutzorten wie Synagogen“, sagt Katarzyna Miszkiel-Deppe, Leiterin von RIAS Niedersachsen.

Ein bedrückendes Bild – in Zahlen und Geschichten

Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahl der dokumentierten Vorfälle fast verdoppelt: von 349 auf 650. Die Spannbreite reicht von Beschimpfungen, Drohungen und Sachbeschädigungen bis hin zu körperlicher Gewalt – wie dem Brandanschlag auf die Synagoge in Oldenburg.

Besonders auffällig: Mehr als 400 der dokumentierten Vorfälle bezogen sich auf Israel – israelbezogener Antisemitismus ist inzwischen die häufigste Form. Er macht deutlich, wie stark antisemitische Einstellungen an aktuelle politische Entwicklungen andocken – unabhängig davon, ob Jüdinnen und Juden selbst damit zu tun haben.

RIAS Niedersachsen versucht mit seinem vierten Jahresbericht, das Dunkelfeld sichtbar zu machen. Die dokumentierten Vorfälle eröffnen Einblicke in die verschiedenen Dimensionen von Antisemitismus – von Alltagsfeindlichkeit über Verschwörungsideologien bis hin zu antisemitischer Gewalt. Im Zentrum stehen dabei die persönlichen Erfahrungen jüdischer Menschen in Niedersachsen, nicht nur als Zahlen, sondern als eindrückliche Geschichten.

Auch an Schulen und Hochschulen mehren sich antisemitische Vorfälle – oft subtil, manchmal offen aggressiv. 215 Personen wurden direkt angegriffen, beleidigt oder bedroht – ein massiver Anstieg gegenüber dem Vorjahr.

Ein Bericht, der zum Handeln auffordert

„Es reicht nicht mehr, Antisemitismus lediglich zu verurteilen oder routinemäßig Betroffenheit zu äußern“, sagt Michael Grünberg, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Osnabrück. „Wir müssen uns ernsthaft fragen, ob der bisherige Umgang mit antisemitischen Straftaten noch angemessen ist.“

Der Bericht benennt Täterbilder, Tatorte, Ideologien – und zeigt auf, wo staatliches und zivilgesellschaftliches Handeln dringend nötig ist. Er liefert aber auch Anknüpfungspunkte für Schulen, Initiativen und politische Entscheidungsträger*innen.

Denn eines ist klar: Antisemitismus geht uns alle an.

Jetzt lesen – und nicht wegschauen

Der RIAS-Bericht 2024 ist ein Weckruf. Und er ist eine Einladung: sich zu informieren, hinzusehen, nicht gleichgültig zu bleiben. Wer verstehen will, wie sich Antisemitismus heute zeigt und warum Solidarität mit jüdischem Leben wichtiger ist denn je, sollte diesen Bericht lesen.

Zum Bericht: www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen/antisemitische-vorfaelle-in-niedersachsen-2024

Analyse

Brandenburg: Jungnazis greifen Demokratiefest in Bad Freienwalde an

Mit Holzlatten und anderen Schlaggegenständen haben Jungnazis ein Vielfaltsfest im brandenburgischen Bad Freienwalde angegriffen. Antifaschistische Recherche vermutet die Täter aus dem Umfeld der neofaschistischen Partei „Der III. Weg“, die seit Jahren um junge Mitglieder wirbt.

Am Sonntag gegen 11:50 Uhr griff eine Gruppe Vermummter mit Schlagwerkzeugen ein Straßenfest in Bad Freienwalde an, kurz bevor die Veranstaltung offiziell begann. Rund 50 bereits Anwesende – darunter Familien mit Kindern – wollten ein buntes Fest mit Kuchenständen, Graffiti-Workshops und Kinderschminken feiern, veranstaltet vom Bündnis „Bad Freienwalde ist bunt“. Das Fest sollte ein klares Zeichen gegen Queerfeindlichkeit, Hass und den Rechtsruck setzen. Das Bündnis wurde im Jahr 2021 ins Leben gerufen. Am Sonntag fand das Fest bereits zum fünften Mal statt. Mit dabei waren unter anderem die Omas gegen Rechts, der VVN-BdA, das Bertolt-Brecht-Gymnasium vor Ort, die Stephanus-Stiftung, das Jugendtheater Theater am Rand sowie weitere engagierte Gruppen.

In einem Video des RBB ist zu sehen, wie einer der Angreifer mit Trainingshose und Sturmhaube einem Mann mit der Faust heftig ins Gesicht schlägt. Die Täter attackierten laut Zeug*innen mehrere Teilnehmende, die sich für die Sichtbarkeit queerer Lebensweisen einsetzen und gegen Rechtsextremismus in Brandenburg mobilisieren. 

Die Polizei spricht später von einer „Gruppe von männlichen Jugendlichen“, die das Fest attackierten. Es sollen zehn bis 15 Personen gewesen sein. Sie seien überwiegend schwarz gekleidet gewesen und waren vermummt. Nun wird wegen gefährlicher Körperverletzung und Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz ermittelt. Die für politisch motivierte Straftaten zuständige Staatsschutz-Abteilung hat die Ermittlungen übernommen.

Die Wiederkehr des Skinhead-Nazi-Looks

Seit dem Ende der Corona-Maßnahmen ist ein neues rechtsextremes Phänomen sichtbar: Neonazistische und neofaschistische Gruppen von Jugendlichen, darunter etliche Minderjährige, stellen ihre Gesinnung und ihre Gewaltbereitschaft im öffentlichen Raum wieder offen zur Schau. Es ist das Revival der Springerstiefel, Bomberjacke und Glatze. Menschenverachtende Slogans und Symbolik werden auf Kleidung und Haut gezeigt. Auf Demonstrationen, die sich zurzeit insbesondere gegen queere Lebenswelten richten, treten sie vornehmlich einheitlich schwarz gekleidet und vermummt auf.

Ihr Stil erinnert nicht nur an die 1990er-Jahre, er nimmt direkt auf sie Bezug und verherrlicht die sogenannten Baseballschläger-Jahre, die mit rassistischen Pogromen und Todesopfern einhergingen. Dieser Look war nie ganz weg, wurde gesellschaftlich aber geächtet und nur noch in den Provinzen und auf neonazistischen Veranstaltungen offen gezeigt. Die neue alte Neonazi-Inszenierung zeugt von einem großen Selbstbewusstsein der Szene und soll bewusst einschüchternd wirken. Schließlich sind diese Jungnazis extrem gewaltbereit.

Kommen die Täter aus dem Umfeld des „III. Wegs“?

Laut dem antifaschistischen Rechercheblog „aus dem Weg“ handelt es sich bei den Tätern aus Bad Freienwalde um Aktivisten vom „III Weg“ – bestätigt wurden diese Informationen allerdings noch nicht. 

„Der III. Weg“ versteht sich als Neonazi-Elite, als Kaderpartei, als geschlossener Zirkel. Es ging den Parteistrateg*innen nie um eine große Anzahl an Mitgliedern. Ihr Selbstverständnis ist eher in bewusster Abgrenzung zu anderen Neonazi-Parteien geprägt, schließlich sehen sie sich selber als die wahren Nachfolger der NSDAP. Seit einiger Zeit werben sie recht unverhohlen um junge Mitglieder und besonders in Berlin und Brandenburg scheinen sie recht erfolgreich.

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Weitere Informationen

Seit einigen Jahren macht der „III. Weg“ rechtsextreme Jugendarbeit, um junge Menschen für faschistische Ideologie zu begeistern. Im Zentrum dieser rechtsextremen Jugendarbeit steht dabei nicht so sehr ein hedonistischer Lifestyle. Vielmehr geht es hier um Wehrhaftigkeit, Körperkult, Volksgemeinschaft und Umweltschutz. Die jungen Männer und wenigen Frauen gehen gemeinsam in der Natur wandern und betätigen sich auf ihre eigene Weise für Umweltschutz oder werden in Kampfkunst trainiert. Wobei Sport für die Aktivist*innen eine herausragende Rolle einnimmt, aber immer nur Mittel zum Zweck ist. Viele junge Aktivist*innen wurden bereits durch ihre Familien ideologisiert. Trotz ihres jungen Alters sind einige bereits mehrfach mit neonazistischen Gewalttaten aufgefallen.

Statt über Musik versucht der „III. Weg“ über Sport Jugendliche zu erreichen und zu rekrutieren. Ein Konzept, das erfolgversprechend scheint, schließlich erleben wir derzeit gesamtgesellschaftlich einen Fitnessboom, der alle Bereiche des Lebens abdeckt. Die Arbeitsgruppe „Körper und Geist“ für Kampfsport und Wehrhaftigkeit des „III. Wegs“ versucht gezielt über Sport die tödlichen Ideen des Rassismus und Faschismus in die Köpfe junger Menschen zu pflanzen. Das Angebot, das die Partei-Strateg*innen jungen Menschen machen, entspricht damit wohl dem Zeitgeist junger Neonazis, denen es nicht mehr so sehr ums Feiern, Alkohol und Musik geht. Stattdessen werden sie von militanten Aktivist*innen im Straßenkampf ausgebildet. Eine sehr gefährliche Tendenz.

Das Versprechen von Stärke im rechtsextremen Kollektiv

Angesichts des in den letzten Jahren vermehrten Auftretens sehr junger Rechtsextremer sowie der Wahlerfolge der AfD bei Erst- und Jungwähler*innen kann man sich fragen, ob Rechtsextremismus als Jugendkultur zurückgekommen ist. In den letzten Jahren haben sich etliche neonazistische Jugendgruppen gegründet, die bisher nicht direkt an rechtsextreme Parteien angegliedert sind. Hier findet viel Organisierung statt. Man verabredet sich zum Wandern und zum Demonstrieren. Nach Zählungen der ZEIT gibt es aktuell ungefähr 120 dieser Gruppierungen.

Rechtsextreme Akteur*innen haben es geschafft, Angebote zu machen, die insbesondere in Krisenzeiten viele Menschen ansprechen. In einer komplizierten Welt geben sie eine einfache Antwort: ‚Nur in der Gemeinschaft bist du stark und wir bieten dir diese Gemeinschaft‘. Ein rechtsextremer Kollektivgedanke, der verbunden ist mit einer klassischen Vorstellung von Männlichkeit und Stärke.

Dass am Sonntag auf dem Demokratiefest nichts Schlimmeres passiert ist, ist besonders dem beherzten Eingreifen der Anwesenden zu verdanken. Die taz schreibt: „Ordner*innen stellten sich den Angreifenden entschlossen entgegen. Sie seien auf die Vermummten zugelaufen, hätten sie angebrüllt, dass sie abhauen sollen, und sich gewehrt.“ Wenn diese jungen Rechtsextremen am helllichten Tag ein Demokratiefest angreifen, zeigt das auch, wie selbstbewusst sie auftreten. Vermutlich auch durch die Erfolge der AfD fühlen sie sich ermächtigt, ihre Gewalt offen auszuleben.

In einem Statement nach der Tat äußert sich das Bündnis: „Wir waren heute da. Wir sind morgen da. Wir werden uns auch weiterhin für eine vielfältige, solidarische Gesellschaft einsetzen.“

Screenshot von Instagram
Interview

Feindbild Demokratie – wie Rechtsextreme die Zivilgesellschaft angreifen

Der Druck auf zivilgesellschaftliche Initiativen und Vereine, die sich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus engagieren, nimmt zu. Am Beispiel des Vereins „Buntes Meißen“ zeigt sich exemplarisch, wie gefährdet die demokratische Kultur in Ostdeutschland ist.

Von Luisa Gerdsmeyer

„Früher gab es auch Anfeindungen, immer wieder mal eine beleidigende E-Mail, aber nichts Bedrohliches, was uns wirklich Angst gemacht hat“, erzählt Sören Skalicks vom Verein Buntes Meißen. „Das hat sich seit der Kommunalwahl im Sommer 2024 geändert. Die Stimmung uns gegenüber ist feindseliger geworden. Die Angriffe auf unsere Arbeit kommen jetzt auch direkt aus dem Stadtrat heraus.“ Buntes Meißen – Bündnis Zivilcourage e.V. engagiert sich im sächsischen Meißen für ein solidarisches, demokratisches Miteinander. Der Verein betreibt eine Begegnungsstätte, bietet Sprachkurse für Geflüchtete an und organisiert Freizeitangebote für Alteingesessene und Zugezogene im „internationalen Garten“.

Nicht nur in Meißen konnten Rechtsextreme ihre Macht in den Kommunalparlamenten ausweiten. In ganz Sachsen erhielt die AfD bei den Kreistagswahlen die meisten Stimmen, ebenso in vielen Stadt- und Gemeinderäten. In vielen Bundesländern ging mit den Kommunalwahlen 2024 insgesamt eine deutliche Verschiebung nach rechts einher und die AfD konnte sich auf lokaler Ebene weiter verankern – mit weitreichenden Konsequenzen für die demokratische Zivilgesellschaft vor Ort. In den Wochen und Monaten nach der Kommunalwahl, bei der die AfD auch in Meißen stärkste Kraft wurde, wurde das Bunte Meißen zur Zielscheibe einer rechtsextremen Hasskampagne– mit Drohungen, Einschüchterung und Gewalt.

Hakenkreuzschmierereien, Drohbriefe, Brandanschläge – die Eskalation rechtsextremer Gewalt

Die Situation wurde für das Bunte Meißen nach den Kommunalwahlen immer bedrohlicher, die Mitglieder bekamen haufenweise Hassnachrichten und Drohmails, das Vereinsschild wurde mit Hakenkreuzen und Hundekot beschmiert und angezündet. Bis schließlich eine Handgranatenattrappe vor dem Vereinshaus abgelegt wurde. „Hier im Triebischtal, dem Stadtteil, in dem wir uns befinden, ist die rechtsextreme Szene stark verankert. Wir sind Anfeindungen also durchaus gewöhnt. So eine massive Bedrohung kannten wir jedoch bisher nicht. Die Message an uns ist eindeutig – wir sollen uns in Meißen nicht sicher fühlen können, wenn wir uns für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus engagieren“ berichtet Sören.

Seit einigen Monaten kommt es bundesweit vermehrt zu solchen gewaltsamen Angriffen auf Jugendzentren und zivilgesellschaftliche Einrichtungen. So griffen Anfang März 2025 circa 30 vermummte Rechtsextreme den Jugendclub „Jamm“ in Senftenberg gewaltsam an, während dort eine Veranstaltung stattfand. Nur durch die schnelle Reaktion der Betreiber*innen konnte verhindert werden, dass die Angreifer*innen in das Gebäude eindringen und Besucher*innen verletzten. Im März 2025 attackierten Rechtsextreme das Hausprojekt Zelle 79 in Cottbus. Ende Mai kam es erneut zu einem mutmaßlich rechtsextrem motivierten versuchten Brandanschlag auf das Haus. Die Fälle in Meißen, Senftenberg und Cottbus stehen exemplarisch für eine besorgniserregende Entwicklung: Rechtsextreme Gewalt gegen die demokratische Zivilgesellschaft nimmt bundesweit zu.

Diffamierungs- und Desinformationskampagnen schüren Misstrauen und Vorurteile

Mit aggressiver Hetze gegen das „Bunte Meißen“ fiel insbesondere der Parteilose René Jurisch auf. Er zog für die AfD in den Stadtrat ein, war ehemals in der NPD aktiv und gründete den mittlerweile nicht mehr bestehenden rechtsextremen „Verein zur germanischen Brauchtumspflege Schwarze Sonne Meißen“. Bei der Kommunalwahl erhielt er von allen Kandidat*innen in Meißen die meisten Stimmen. „Dieses Ergebnis ist eine klare Ansage gegen alles, wofür wir stehen“, stellt Sören fest.

Begleitet werden die Angriffe von Diffamierungen und Falschmeldungen. Immer wieder werden in Meißen Gerüchte gestreut: Der Verein wolle zusätzliche Immobilien kaufen, decke oder begehe Straftaten – alles haltlose Vorwürfe. Doch die Auswirkungen sind real. „Wenn Menschen solche Geschichten ständig hören, fangen sie an zu glauben, dass da was dran ist.“ Der Verein stellte die kursierenden Falschmeldungen in einer Pressemitteilung richtig. „Doch ist eine Behauptung einmal in der Welt, ist es extrem schwer, das wieder einzufangen“, so Sören. Jüngst rief René Jurisch dazu auf, ihm zu melden, ob rund um das Bunte Meißen verdächtige Aktivitäten beobachtet würden oder die Polizei dort gesehen würde. „Wir stehen hier unter ständiger Beobachtung und aus den kleinsten Dingen werden die absurdesten Behauptungen über uns gestrickt“, erzählt Sören.

Solche Diffamierungs- und Desinformationskampagnen sind kein Einzelfall. Im sächsischen Zwickau hält sich hartnäckig die längst widerlegte Falschmeldung, am Rande des CSDs im letzten Jahr habe es eine Messerstecherei gegeben. Das schürt Misstrauen und Vorurteile in der Bevölkerung und schreckt Menschen ab, am CSD teilzunehmen und sich zu solidarisieren. Im brandenburgischen Jüterbog wiederum kamen die Diffamierungen direkt aus dem Rathaus. Der damalige AfD-Bürgermeister Arne Raue verbreitete Anfang 2025 die haltlose Behauptung, das Bündnis „Gemeinsam für Jüterbog“, das Geflüchtete unterstützt und sich gegen Rassismus und Diskriminierung einsetzt, würde Straftaten decken und „den ganzen Tag hetzen und spalten“. Ein Angriff, der die Arbeit der Engagierten delegitimieren und rassistische Ressentiments in der Bevölkerung befeuern sollte.

Parlamentarische Anfragen als Mittel zur Einschüchterung

Ein weiteres Instrument, Druck auf die Zivilgesellschaft aufzubauen und Engagierte einzuschüchtern, sind parlamentarische Anfragen. Nachdem die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag im Februar 2025 mit ihrer Anfrage zur „politischen Neutralität staatlich geförderter Organisationen“ einen offenen Angriff auf die demokratische Zivilgesellschaft startete, häufen sich ähnliche parlamentarische Anfragen zur Delegitimierung demokratiefördernder zivilgesellschaftlicher Arbeit in Landtagen und Kommunalparlamenten. „Auf diesen Zug sprangen CDU- und AfD-Abgeordnete in Meißen direkt mit auf“, erzählt Sören. Anfang 2025 fragte die CDU-Politikerin Daniela Kuge im sächsischen Landtag nach der Förderung des Bunten Meißen. Die AfD legte nach – mit detaillierten Fragen zu Anzahl, Gehalt, Beschäftigungsverhältnissen und –dauer der hauptamtlichen Mitarbeitenden des Vereins. „Ziel dieser Anfrage war wohl, wieder irgendwelche Informationen zu bekommen, auf deren Grundlage Unruhe gestiftet und Stimmung gegen uns gemacht werden soll. Dass es dieses Mal auch auf einer persönlichen Ebene um die Mitarbeitenden unseres Vereins ging, war für uns sehr belastend“, so Sören.

Auch in zahlreichen anderen Orte sind zivilgesellschaftliche Initiativen von dieser Strategie der Delegitimierung betroffen: In Mainz nennt die AfD über 50 zivilgesellschaftliche Initiativen in einer Liste angeblich „linksradikaler“ Gruppen und fragt nach ihrer Finanzierung. In Brandenburg zielt eine AfD-Anfrage auf die Förderung angeblich „linksextremer Strukturen“ – darunter der Senftenberger Jugendclub „Jamm“, der im März gewaltsam angegriffen wurde.

Demokratische Parteien setzen gemeinsam mit Rechtsextremen Fördermittelkürzungen durch

Existenzbedrohend wird es, wenn demokratische Parteien mit Rechtsextremen gemeinsame Sache machen. „Im Oktober 2024 wurden wir von einer kommunalen Vorschlagsliste für eine dreijährige Förderung des Europäischen Sozialfonds gestrichen – durch eine gemeinsame Entscheidung von AfD, FDP, FreieBürger und Teilen der CDU. Somit hatten wir keine Chance mehr auf die EU-Förderung, die für uns eine wichtige Stütze zur Aufrechterhaltung unserer Arbeit gewesen wäre“, erzählt Sören. Ähnlich ging eine weitere Abstimmung im April 2025 aus: Durch gemeinsame Abstimmung von AfD und CDU verweigerte der Meißener Stadtrat dem Verein auch die kommunale Förderung.

Vor der Frage, wie sie ihre Arbeit angesichts gestrichener Förderung fortführen können, steht aktuell auch der Verein Netzwerk für Demokratische Kultur e.V. im sächsischen Wurzen. Mitte April 2025 entschied der Wurzener Stadtrat, die kommunale Kofinanzierung für eine Förderung des Kulturraums einzustellen. Dadurch verliert der Verein nicht nur die städtische Unterstützung, sondern auch die gesamte Kulturraumförderung, da der Zuschuss der Kommune eine Voraussetzung für die Förderung ist. Vorausgegangen war auch hier eine gezielte Stimmungsmache der AfD gegen den Verein.

Was auf dem Spiel steht – und was es jetzt braucht

„Gerade in ländlichen Räumen, wo rechtsextreme Strukturen verankert sind und Rechtsextreme den Ton in den Kommunalparlamenten angeben, braucht es Orte wie das Bunte Meißen – als Schutzraum, als Anlaufstelle für alle, die sich der rechtsextremen Normalisierung entgegensetzen wollen und als Ort, an dem Demokratie praktisch gelebt werden kann“, so Sören. Doch diesen Kampf können die Initiativen nicht alleine führen. Es braucht überregionale praktische Solidarität, einen breiten gesellschaftlichen Rückhalt und mediale Aufmerksamkeit. Angriffe aus die Zivilgesellschaft und die systematische Schwächung demokratischer Strukturen dürfen nicht zur Normalität werden.

Durch große Spendenbereitschaft konnte die Arbeit des Bunten Meißen zunächst gerettet werden. „Es ist toll zu erleben, dass es Menschen gibt, die uns unterstützen und wichtig finden, was wir machen. Gleichzeitig ist eine langfristige Planung auf dieser Finanzierungsbasis nicht möglich. Wir hangeln uns von Spende zu Spende und wissen langfristig nicht, wie es weitergeht“, berichtet Sören.

Im September stehen in Meißen die Oberbürgermeisterwahlen an. Für die AfD kandidiert René Jurisch. Wie viel Raum wird demokratisches Engagement in Meißen künftig noch haben?

Gesucht: Mitarbeiter*in im Bereich Datenschutz

In einer sehr dunklen Umgebung steht ein Laptop, der halb geklappt ist und leuchtet.
Symbolbild: Dieses Internet, über das alle reden. Foto: Junior Teixeira

Werde Teil einer lokal, regional und bundesweit agierenden Stiftung, die sich erfolgreich für die demokratische Zivilgesellschaft, eine menschenrechtsbasierte demokratische Kultur und für Betroffene rechter Gewalt einsetzt!  

Die Amadeu Antonio Stiftung sucht zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine*n Mitarbeiter*in im Bereich Datenschutz (10 h / Woche).

Über uns

Die Amadeu Antonio Stiftung engagiert sich seit 1998 für eine starke demokratische Zivilgesellschaft. Benannt nach Amadeu Antonio, einem der ersten Todesopfer rechter Gewalt nach der Wiedervereinigung, setzen wir uns konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ein.

Dafür unterstützen wir schnell und unbürokratisch lokale Initiativen und Projekte vor Ort, sensibilisieren die Öffentlichkeit, analysieren aktuelle Entwicklungen und entwickeln effektive Strategien, um demokratische Werte zu stärken und Menschenrechte zu schützen. Dabei stehen wir solidarisch an der Seite der Betroffenen und tragen ihre Anliegen in Gesellschaft und Politik.

Deine Aufgaben:

Als Mitarbeiter*in im Bereich Datenschutz unterstützt du die Arbeit der Amadeu Antonio Stiftung, indem du den sicheren und korrekten Umgang mit sensiblen Daten gewährleistest – sowohl innerhalb der Organisation als auch im Austausch mit externen Partner*innen. Dadurch leistest du einen entscheidenden Beitrag zur vertrauenswürdigen und verantwortungsvollen Arbeit unserer Stiftung. Du bist Ansprechperson für datenschutzrelevante Fragen und kommunizierst mit Kolleg*innen ebenso wie mit externen Stellen.

  • Unterstützung bei der Umsetzung und Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben gemäß DSGVO und BDSG
  • Recherchetätigkeiten zu datenschutzrechtlichen Fragestellungen
  • Mitarbeit bei der Pflege und Weiterentwicklung interner Datenschutzrichtlinien und Dokumentationen
  • Unterstützung bei der Bearbeitung von Auskunftsersuchen
  • Mitwirkung bei der Vorbereitung und Durchführung interner Datenschutzschulungen
  • Pflege und Aktualisierung datenschutzbezogener Unterlagen
  • Unterstützung bei der Kommunikation mit Kolleg*innen und externen Partner*innen zu Datenschutzanliegen

Dein Profil:

  • Berufsausbildung oder Studium, idealerweise im Bereich Rechtswissenschaften, gerne auch Sozialwissenschaften, Verwaltungswissenschaften oder verwandte Fächer
  • Arbeitserfahrung im Bereich Datenschutz
  • Sensibilität im Umgang mit vertraulichen Informationen
  • Interesse an Grundrechten und digitaler Ethik
  • Sorgfältige, strukturierte und eigenverantwortliche Arbeitsweise
  • Gute schriftliche Ausdrucksfähigkeit und Freude an präziser Kommunikation
  • Zuverlässigkeit, Teamfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein

Wir bieten dir:

  • Inspirierendes Team:Ein hochmotiviertes, kompetentes und herzliches Team, das gemeinsam Großes bewegt.
  • Flexibilität, die zu dir passt:Flexible Arbeitszeitmodelle zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, inklusive Möglichkeiten zur mobilen Arbeit.
  • Attraktiver Arbeitsplatz:Ein zentral gelegener Standort in Berlin-Mitte mit hervorragender ÖPNV-Anbindung.
  • Persönliche Weiterentwicklung:Raum für deine berufliche und persönliche Entfaltung mit Fortbildungs- und Supervisionsangeboten.
  • Work-Life-Balance: Freizeitausgleich für jede Überstunde und 30 Tage Urlaub im Jahr (bei einer 5-Tage-Woche) sowie zusätzliche freie Tage am 24. und 31. Dezember.
  • Faire NGO-Vergütung:Eine Bezahlung angelehnt an den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (9b)

Die Stelle ist vorerst auf zwei Jahre befristet. Eine anschließende Verlängerung wird angestrebt.

Das aktive Einbringen und Abbilden vielfältiger Expertisen, Perspektiven und Lebensrealitäten sind für unsere Arbeit essenziell. Um diese im Team abbilden zu können, bestärken wir insbesondere Juden*Jüdinnen, BIPoC, Menschen mit eigener oder familiärer Migrationsgeschichte, LGBTQIA+, Sinti*zze und Rom*nja und Menschen mit Behinderung sich zu bewerben. Der Arbeitsplatz ist leider nicht barrierefrei.

Haben wir dein Interesse geweckt?

Dann bewirb dich bis 3. Juli 2025 per E-Mail. Schicke deine Bewerbung (Anschreiben, Lebenslauf mit Kontaktangaben von zwei persönlichen Referenzen – keine Referenzschreiben! –, Arbeitszeugnisse) zusammengefügt in einem PDF-Dokument (max. 4 MB) mit dem Betreff „Mitarbeiter*in (m/w/d) im Bereich Datenschutz“ an bewerbung@amadeu-antonio-stiftung.de.

Wir bitten, in der schriftlichen Bewerbung von Bewerbungsfotos und Angaben zu Alter, Familienstand sowie Kindern abzusehen. Bitte teile uns aber deine gewünschten Pronomen mit.

Wende dich bei Fragen gerne an bettina.kratzmann@amadeu-antonio-stiftung.de

Datenschutzhinweis

Die Datenverarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen des Bewerbungsverfahrens geschieht ausschließlich zweckgebunden und im Einklang mit der Datenschutzgrundverordnung. Alle Informationen zur Datenverarbeitung gemäß Art. 12 ff. DS-GVO findest du unter https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/datenschutz/

Pressestatement

Israel greift das iranische Atomprogramm an: Ein Konflikt mit weitreichenden Folgen auch für Jüdinnen und Juden in Deutschland

Die erneute Eskalation zwischen Israel, das in der Nacht Angriffe auf das iranische Atomprogramm geflogen hat und dem iranischen Regime stellt nicht nur eine dramatische Zuspitzung im Nahen Osten dar, sondern hat direkte Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland. Während Israel gezielt gegen die nuklearen Ambitionen des Mullah-Regimes vorgeht, richtet sich die Antwort aus Teheran nicht nur gegen den jüdischen Staat, sondern zunehmend auch gegen jüdisches Leben weltweit. 

Der Angriff gilt den Atomanlagen des diktatorischen Regimes, nicht dem iranischen Volk, das seit Langem mutig gegen Unterdrückung und für Freiheit kämpft. Diese Differenzierung ist zentral – wird aber in der öffentlichen Debatte oft ausgeblendet. Denn: Die israelischen Angriffe sind eine Reaktion auf ein Atomwaffenprogramm, das von der Internationalen Atomenergiebehörde als ernsthafte Bedrohung eingestuft wird. Das Regime selbst hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass es die Vernichtung Israels zum Ziel hat – eine antisemitische Staatsräson, die sich nicht nur gegen den jüdischen Staat richtet, sondern auch gegen Jüdinnen und Juden weltweit. Diese Bedrohung ist längst in Europa angekommen – der lange Arm aus Teheran reicht auch nach Deutschland. Der Iran unterhält enge Verbindungen zu terroristischen Organisationen wie der Hamas und Hisbollah

Seit Jahren spionieren Agenten des islamistischen Regimes im Iran in Europa jüdische und (pro)israelische Ziele aus. Diese systematischen Ausspäh-Aktivitäten dienen der Vorbereitung gezielter Mordanschläge im Falle einer militärischen Eskalation mit dem Westen. Im Visier stehen jüdische und israelische Einrichtungen ebenso wie prominente Einzelpersonen. Die geplanten Anschläge machen in erschütternder Deutlichkeit klar, wie real die Bedrohung durch den antisemitischen Terror der Islamischen Republik Iran auch hier in Deutschland ist.

Wir nehmen diese Gefahr sehr ernst. Nun, da es zu einer militärischen Konfrontation zwischen Israel und dem iranischen Regime gekommen ist, stehen wir als Amadeu Antonio Stiftung fest und uneingeschränkt an der Seite der jüdischen Gemeinden in Deutschland sowie aller jüdischen und israelischen Einrichtungen.

Die Drohungen aus Teheran sind keine abstrakten Worte – sie zielen auf unsere Freund*innen Kolleg*innen und Mitbürger*innen. Wir lassen sie nicht allein. Wir sagen klar und unmissverständlich: Wir stehen ein für ihre Sicherheit, ihre Freiheit und ihr Recht auf ein Leben ohne Angst. Das ist der Maßstab unseres Handelns.

Wir verurteilen die antisemitische Politik des iranischen Regimes aufs Schärfste. Und wir fordern von Politik, Sicherheitsbehörden und Zivilgesellschaft in Deutschland eine deutliche Haltung: Gegen Antisemitismus. Gegen Terror. Für das Leben.

Antisemitismus: Intifada-Sprechchöre und Widerstandsaufrufe münden in Gewalt  

Seit dem 7. Oktober 2023 nimmt die Gewaltverherrlichung und die Verklärung von Terror als Widerstand immer bedrohlichere Ausmaße an. Die Zahl der Angriffe nimmt zu. In Washington D.C. ermordete ein Attentäter zuletzt zwei Menschen und rief „Free Palestine“. Wie ist die Lage in Deutschland?

Antisemitismus führt zu Gewalt. Das lässt sich nicht leugnen und hat viel mit der Struktur dieser Ideologie zu tun. Denn Judenhass ist eine Unterlegenheitsfantasie, der Irrglaube, man habe es mit einem übermächtigen, bösen Gegner zu tun, der im Hintergrund die Strippen zieht. Die Geschichte des Antisemitismus ist deshalb eine der Gewalt, des Terrors und der Pogrome. Und sie wird fortgeschrieben.

In Colorado (USA) hat ein islamistischer Attentäter Anfang Juni einen Spaziergang für die noch immer in Gaza gehaltenen Geiseln mit einem Molotov-Cocktail und einem selbstgebauten Flammenwerfer angegriffen und acht Menschen teils schwer verletzt. Zwei Wochen zuvor hat ein linker Aktivist zwei Menschen vor dem Jüdischen Museum in Washington D.C. ermordet. Nur zwei jüngere Beispiele aus einer langen Liste des globalen Terrors gegen Jüdinnen*Juden.  Vorbereitet werden solche Taten in einem gesellschaftlichen Klima, das Gewalt gegen „die Juden” oder „die Zionisten” als letzte noch verbliebene Möglichkeit des Widerstands verherrlicht. Auch auf deutschen Straßen und in Hochschulen wurde der Terror der Hamas und des Islamischen Dschihad verharmlost und teils auch offen verherrlicht. In Parolen und Symbolen offenbart sich eine erschreckende Gewaltaffinität und Terrorverherrlichung.

Die Recherche- und Informationsstelle gegen Antisemitismus (RIAS) veröffentlichte Anfang Juni die bei ihnen gemeldete Anzahl bundesweiter antisemitischer Vorfälle des Jahres 2024. Insgesamt handelt es sich um 8.627 Vorfälle – 77 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Anzahl der physischen Angriffe ist erschreckend gestiegen: So verzeichnet RIAS 186 Vorfälle, 59 mehr als im Jahr 2023 und acht Vorfälle extremer Gewalt. Hinzu kommen 1.802  Versammlungen, bei denen es zu antisemitischen Vorfällen kam, 147 davon an Universitäten. Insbesondere bei derartigen Versammlungen wird immer wieder der Terror der Hamas verherrlicht oder zum „Widerstand“ aufgerufen. Insgesamt ordnet RIAS 2.282 aller Vorfälle (also etwa gut ein Viertel) dem politisch-weltanschaulichen Hintergrund „antiisraelischer Aktivismus“ zu.

In der Chronik antisemitischer Vorfälle der Amadeu Antonio Stiftung werden antisemitische Versammlungen mit Terrorverherrlichung dokumentiert. So kann man beobachten, dass es mittlerweile als völlig akzeptabel gilt, bei einer Veranstaltung an einer Universität, wie zum Beispiel an der Technischen Universität München (TUM), ein Plakat mit der Aufschrift „Intifada Intifada TUM to Gaza“ aufzuhängen oder auf einer antiisraelischen Demonstration – wie am Karfreitag und Ostersamstag in Berlin – zur „Intifada“ aufzurufen – und damit zu Gewalt und Terror. Auch in Freiburg im Breisgau riefen vermeintlich „pro-palästinensische“ Gruppen bei einer Demonstration gegen Rechts zur Gewalt an Jüdinnen*Juden auf, mit den Worten „Klassenkrieg, Klassenkrieg, Intifada bis zum Sieg“. „Intifada“ bedeutet wörtlich Aufstand oder Rebellion. Der Ruf bezieht sich auf zwei mehrjährige Phasen von Terroranschlägen in Israel (1987-1993 sowie 2000-2005), bei denen tausende Menschen (die Mehrheit davon palästinensisch) getötet wurden. Weder Islamist*innen noch radikale Linke haben auf solchen Demonstrationen Berührungsängste mit diesem Begriff und dem dahinter steckenden antisemitischen Terror.

Da sich die Täter*innen in ihrem antisemitischen Wahn unterdrückt fühlen, ist für sie jede Form von „Widerstand“ legitim. Bereits am 12. Oktober 2023, also fünf Tage nach dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel, bezeichnete die feministische Berliner Gruppe „Zora“ das Massaker als „Widerstand“. Auch andere Gruppen sprechen bezugnehmend auf die sexualisierte Gewalt des Tages von „legitimem Widerstand“ als Notwendigkeit zur „Befreiung eines unterdrückten Volkes”, wie im Lagebild #13 „Antisemitische Allianzen nach dem 7. Oktober“ nachzulesen ist.

Auch die Besetzer*innen der Humboldt-Universität zu Berlin riefen zum „Widerstand“ auf, indem sie die Parolen „Yallah, yallah Widerstand“ und „Free Gaza glory to the resistance“ an Wände schmierten und auf einem Banner zur „Intifada bis zum Sieg“ aufriefen. Viele dieser Parolen wurden auch bei der Besetzung der Berliner Alice Salomon Hochschule verbreitet. Die Legitimität ihres politischen Anliegens bringen die Besetzer*innen mit der folgenden Parole zum Ausdruck: „Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht“. Konsequenterweise werden palästinensische Terrorist*innen der Gruppen „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP), des „Islamischen Dschihads“ und des „Schwarzen Septembers“ als Vorbilder im „Widerstandskampf“ gefeiert – so zum Beispiel beim internationalen Frauentag in München.

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Gewaltverherrlichung und Aufruf zum „Widerstand“ bei Hörsaalbesetzung seitens antiisraelischer Akteure (Quelle: JFDA e.V.)

Dass Gewalt für vermeintlich „pro-palästinensische“ Akteure in ihrem „Widerstandskampf“ ein legitimes Mittel zum Zweck ist, verdeutlichen sie, indem sie zu der Parole „End Zionism glory to resistance“ ein auf der Spitze stehendes Dreieck an die Wand schmieren. Die Terrororganisation Hamas verwendet solche Dreiecke für die Markierung und Eliminierung israelischer Ziele. Das Symbol kann also als Gewalt-, ja als Mordaufruf gedeutet werden. In Berlin tauchten zuletzt Plakate auf, auf denen mit diesem Hamas-Dreieck zur Gewalt gegenüber Personen aufgerufen wurde.

Dass sich das Weltbild vieler Demonstrierender längst von demokratischen Werten entfernt und zur Unterstützung antisemitischer Terrorgruppen gewandt hat, zeigt sich auch auf  Demonstrationen, bei denen laut „Quassam“ gerufen wird. Die Quassam-Brigaden sind der militärische Arm der islamistischen Terrororganisation Hamas. Die Demonstrierenden nehmen positiven Bezug auf „Izz ad-Din [al-Quassam]“, den Namensgeber der Quassam-Brigaden sowie auf „Sinwar“. Yahya Sinwar war der Anführer der Terrororganisation Hamas, bis er im Oktober 2024 von der israelischen Armee getötet wurde.

Besonders deutlich wird die Aufforderung, Gewalt zu verüben, spätestens mit der Verbreitung eines Märtyrer-Kults bei Demonstrationen in Aussagen wie „Jedes einzelne Blut das geflossen ist, jeder Märtyrer, der im Paradies ist, dem sagen wir, er ist nicht umsonst gegangen“ und „Wir haben Blut und Seele von Kindern und treuen Menschen bezahlt und wir werden weiterhin bezahlen, egal wieviel das kostet“ oder „Das Volk will den Dschihad ausrufen!“. Der Dschihad dient zur Verbreitung des Islams. Der Begriff hat mehrere Bedeutungen wie „geistige Anstrengung“ oder „innere Auseinandersetzung“, damit kann aber auch der Kampf gegen westliches Leben und Denken gemeint sein. Dass es sich hier vor allem um letztere Bedeutung handelt, belegt ein Ausruf auf einer Berliner Demonstration am 1. Februar 2025: „Wer eine Waffe habe, soll damit Juden erschießen oder sie der Hamas übergeben!“.

Auch außerhalb von Versammlungen wird zur Gewalt gegen Jüdinnen*Juden aufgerufen, in Lützen wurde auf eine Stahlfigur „Juden bekämpfen“, in München „Fick die Juden“ und „Fick Israel stay with Palestine“ an Wände, in Brühl auf ein Friedhofsschild „Juden boxen“ geschmiert.

Friedhofsschild mit Aufruf „Juden boxen“ (Quelle: Privat)

Spätestens mit diesen offenen Gewaltaufrufen gegen Jüdinnen*Juden und Zionist*innen zeigt sich, wie wichtig eine Distanzierung von terrorverherrlichenden Akteuren ist. Sicher, nicht alle Demonstrierenden sind gewaltbereit. Viele möchten vielleicht einfach für die Zivilbevölkerung in Gaza einstehen. Sie tragen dennoch den immer größer werdenden Hass gegen Jüdinnen*Juden oder israelsolidarische Personen mit, solange sie mit gewaltbereiten Akteuren demonstrieren und terrorverherrlichende Parolen rufen. Denn auf Worte folgen früher oder später Taten; wie zum Beispiel Taten gegen die israelsolidarische Bar Bajszel auf deren Scheibe zuletzt ein Pflasterstein geworfen wurde, der nur dank eigens angebrachtem Sicherheitsglas niemanden verletzte oder der Angriff auf den jüdischen Studenten Lahav Shapira, der nach einem Barbesuch von einem Kommilitonen zuerst geschlagen und als er zu Boden sackte ins Gesicht getreten wurde, sodass er schwere Verletzungen erlitt.

Auch in Deutschland wird ein Klima vorbereitet, das antisemitische Morde wieder ermöglicht. Ein Blick in die USA zeigt, wohin die Parole „Globalize the Intifada”, sprich antisemitische Hetze und Terrorverherrlichung führen kann.

Tacheles

[tacheles_4]: Denkmal der Schande

Die Erinnerungskultur in Deutschland steht unter Beschuss. Gedenkstätten berichten seit Jahren von zunehmenden Angriffen und Schmierereien, zuletzt wurden auch immer wieder Stolpersteine herausgerissen und beschmiert.  Am lautesten fordern AfD-Politiker einen sogenannten Schlussstrich, also die Abkehr von der deutschen Erinnerungskultur. Stefan Dietl hat im Mai ein Buch zu “AfD und Antisemitismus” im Verbrecher Verlag veröffentlicht. Belltower News veröffentlicht hier das zu [tacheles_4] passende zweite Kapitel des Buchs.

Denkmal der Schande – Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus in der AfD

Von Stefan Dietl

Ein zentrales Motiv des Antisemitismus der AfD findet sich im von ihr vertretenen Geschichtsbild. Die Rehabilitierung eines ungebrochenen deutschen Nationalstolzes gehört zu den ideologischen Kernanliegen der Partei. Die Erinnerung an die Verbrechen des Zweiten Weltkrieges und an die Vernichtung der europäischen Jüdinnen stehen diesem Ziel entgegen und werden deshalb von der AfD immer wieder ins Visier genommen.

Deutlich wird dies beispielsweise anhand der berühmt gewordenen „Dresdner Rede“ Björn Höckes. Bei einer Veranstaltung der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative am 17. Januar 2017 in Dresden distanzierte sich Höcke nicht nur von der Errichtung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas, welches er als „Denkmal der Schande“ abqualifizierte, sondern forderte auch eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“. So solle der „systematischen Umerziehung“ und „Amerikanisierung“ des deutschen Volkes nach 1945 entgegengewirkt werden. Der nationalsozialistische Vernichtungskrieg spielte in Höckes Rede keine Rolle, stattdessen werden die Deutschen zum Opfer angeblicher Vernichtung.

„Mit der Bombardierung Dresdens und der anderen deutschen Städte wollte man nichts anderes als uns unsere kollektive Identität rauben. Man wollte uns mit Stumpf und Stiel vernichten, man wollte unsere Wurzeln roden. Und zusammen mit der dann nach 1945 begonnenen systematischen Umerziehung hat man das auch fast geschafft“, so Höcke.

Höcke, der selbst 2010 an einem Nazi-Aufmarsch anlässlich des 65. Jahrestages der Bombardierung Dresdens teilnahm, weiß selbstverständlich, dass die Luftangriffe in der neonazistischen Rechten seit Jahrzehnten zur Relativierung des Nationalsozialismus eingesetzt werden – und knüpft an dieses geschichtsrevisionistische Denken an. Ebenso wie der spätere AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Maier, der auf der gleichen Veranstaltung die AfD als legitime erinnerungspolitische Erbin der NPD anpries. Zuerst behauptete er, die NPD sei die einzige Partei gewesen, die „immer geschlossen zu Deutschland gestanden“ habe und dass es sich bei der AfD ähnlich verhalte, um anschließend zu verkünden: „Ich erkläre hiermit diesen Schuldkult für beendet, für endgültig beendet.“

Sowohl Höcke als auch Maier stehen mit ihrem Kampf gegen die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen nicht etwa einsam am rechten Rand der Partei, ihre Positionen spiegeln vielmehr den common sense innerhalb der AfD wider. Das zeigt auch ein Blick in die Programmerklärungen der AfD, in denen der Nationalsozialismus zumeist als 12-jähriger Ausrutscher in der sonst ruhmreichen deutschen Geschichte präsentiert wird. Ein Ausrutscher, den man möglichst aus dem kollektiven Gedächtnis streichen sollte.

So heißt es beispielsweise im Programm der AfD zur Landtagswahl Sachsen-Anhalt: „In keinem anderen Bundesland herrscht eine solche Dichte an Denkmälern von nationaler Bedeutung. Nirgendwo liegen so viele Wurzeln deutscher Geschichte wie hier. Wir sind stolz auf Sachsen-Anhalt! […] Eine einseitige Konzentration auf zwölf Unglücksjahre unserer Geschichte verstellt den Blick auf Jahrhunderte, in denen eine einzigartige Substanz an Kultur und staatlicher Ordnung aufgebaut wurde.“

In ihrem rheinland-pfälzischen Landtagswahlprogramm schreibt die Partei: „Mit aller Deutlichkeit wendet sich die AfD gegen die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts.“

Und in ihrem Grundsatzprogramm postuliert die AfD: „Die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus ist zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, die auch die positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst.“

Der Mitgründer, langjährige Partei- und Fraktionsvorsitzende und heutige Ehrenvorsitzende der AfD, Alexander Gauland, machte bereits 2017 deutlich, was unter diesen „positiven, identitätsstiftenden Aspekte[n] deutscher Geschichte“ zu verstehen ist. „Wenn die Franzosen zu Recht stolz auf ihren Kaiser sind und die Briten auf Nelson und Churchill, haben wir das Recht, stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“, so Gauland, der zugleich einen Schlussstrich unter die Erinnerung an die NS-Vergangenheit fordert und erklärt, man müsse „uns diese zwölf Jahre jetzt nicht mehr vorhalten“.

Als graue Eminenz und unbestrittene politisch-ideologische Führungskraft der AfD kommt Gauland eine Schlüsselrolle bei Propagierung eines revisionistischen Geschichtsbildes zu. Mal offen und lautstark wie bei seinem bekannten Diktum: „Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“. Mal subtiler, etwa wenn er bei einer Haushaltsdebatte im Bundestag im Zusammenhang mit dem Klimaschutz das Stereotyp des „Schuldkults“ bemüht: „1945 waren wir der Teufel der Welt. Heute wollen wir die Engel des Planeten sein, das leuchtende Vorbild.“… Dieses revisionistische Geschichtsbild bildet die Grundlage für die Relativierung der Shoa, mit der AfD-Politikerinnen immer wieder an die Öffentlichkeit treten.

So die Nürnberger AfD-Funktionärin Elena Roon. Versehen mit dem Text „Adolf, bitte melde dich! Deutschland braucht dich! Das Deutsche Volk!“ hatte Roon in einer Chatgruppe der Partei ein Hitler-Bild verbreitet. In einer anderen von ihr geteilten Montage wird Hitler die Aussage „Islamisten… die habe ich vergessen“ in den Mund gelegt.

An Roon zeigt sich der Umgang mit derartigen Vorfällen in der AfD. So gut wie nie haben geschichtsrevisionistische und antisemitische Ausfälle innerparteiliche Konsequenzen. Im Falle Roons stellte sich die Partei zunächst hinter sie. Nach öffentlichem Druck musste Roon dann zwar kurzzeitig von allen Parteiämtern zurücktreten, ihrer weiteren Karriere tat dies jedoch keinen Abbruch. Nur wenige Monate später wurde sie für die AfD in den Bezirkstag Mittelfranken gewählt, im Oktober 2021 zudem in den Landesvorstand der AfD Bayern. Seit 2023 gehört sie der AfD-Fraktion im Bayerischen Landtag an.

Ihre praktische Umsetzung erfährt die Politik der Relativierung und Verleugnung der Shoa insbesondere in der Landes- und Kommunalpolitik der AfD.

So fordert die Partei in zahlreichen Landesparlamenten die Streichung der finanziellen Mittel für Gedenkstätten oder deren drastische Reduzierung. In Baden-Württemberg brachte die AfD beispielsweise einen Antrag ins Landesparlament ein, in dem vorgeschlagen wurde, die finanzielle Förderung der NS-Gedenkstätte Gurs in Frankreich einzustellen. Nach Gurs wurden am 22. Oktober 1940 6500 Jüdinnen aus Baden, der Pfalz und dem Saarland deportiert. Insgesamt wurden 17.000 Jüdinnen dort festgehalten, von denen mehrere Tausend später in verschiedene Vernichtungslager, hauptsächlich Auschwitz, deportiert wurden. Die Gedenkstätte wird jährlich mit 120.000 Euro unterstützt. Daneben will die baden-württembergische AfD keine Fahrten von Schülerinnen in NS-Gedenkstätten mehr veranstalten, sondern nur noch zu „bedeutsamen Stätten der deutschen Geschichte“. Eine Forderung, die sich in ähnlicher Form auch bei anderen AfD-Landesverbänden findet. Begründet wird dies mit Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung – und ausgerechnet damit, dass Migrantinnen ein positives Bild von Deutschland vermittelt werden müsse.

In Bayern sorgte die AfD mit einer Anfrage für Aufsehen, die die Ausgaben der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg auf den Prüfstand stellt. In sieben Fragen mit teils mehreren Unterpunkten wird unter anderem eine genaue Aufstellung der Kosten für ein Treffen der ehemaligen Häftlinge anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung verlangt.

Auf kommunaler Ebene setzt die AfD ihre Agenda des Geschichtsrevisionismus und der Relativierung der Shoa noch offener um. Beispielsweise im Nürnberger Land, wenn sie sich im dortigen Kreistag gegen die Finanzierung eines Schulprojekts, das sich mit dem KZ-Außenlager Hersbruck auseinandersetzt, ausspricht, mit der Begründung, es gebe Bürgerinnen, die sich dadurch „gedemütigt“ fühlten und keinem „Tätervolk“ angehören wollten. In Wolfsburg, wenn sie eine Gedenkstätte zur Erinnerung an Zwangsarbeiterinnen ablehnt und dabei gegen einen „reinen Schuldkomplex“ wettert. In Braunschweig, wenn sie die finanziellen Mittel für die KZ Gedenkstätte Schillstraße streichen möchte. In Bremen, wenn sie die finanzielle Förderung für den Gedenkort Bunker Valentin, einer U-Boot-Werft der deutschen Kriegsmarine, bei deren Bau 6000 Zwangsarbeiter den Tod fanden, als „Schuldkult und Mahntourismus“ ablehnt. Oder im niedersächsischen Bückeberg, wenn sie anlässlich der Debatte um eine Gedenkstätte eine sich verselbstständigende Erinnerungskultur beklagt, bei der dank eines neurotischen „Waschzwangs“ schuldlose Deutsche „unter Dauerschuld gestellt“ würden…. Die drastischsten Angriffe der AfD auf die Erinnerung an die deutschen Verbrechen und die Vernichtung der europäischen Jüdinnen – wie Björn Höckes Dresdner Rede – stoßen zwar regelmäßig auf öffentliche und mediale Empörung. Dabei wird jedoch selten thematisiert, warum ausgerechnet die Revision der deutschen Geschichte für die AfD ein solch zentrales Anliegen ist, das die Partei von der Bundesspitze bis in den kleinsten Kreisverband bewegt.

„Polit-strategisch lohnt sich die Geschichtsrevidiererei kaum. Es geht nicht darum, ein paar letzte unverbesserliche Nazi-Opis oder ein paar halbirre NPD-Hitler-Nostalgiker dazu zu bringen, ihr Kreuz bei der AfD zu machen“, vermutet Anna Sauerbrey.

Tatsächlich hat die AfD weit mehr im Blick als die Wähler*innengunst. Mit der Revision der Vergangenheit will sie Deutschland ideologisch aufrüsten für die Zukunft. Wie Oliver Fassing und Leo Fischer richtig zusammenfassen, geht es der AfD letztlich um die „Ablösung vom Nachkriegskonsens, die Zurückweisung der deutschen Schuld an Weltkrieg und Holocaust, zugunsten eines neuen Narrativs nationaler Selbstbehauptung“.

Nur vom vermeintlichen „Schuldkult“ befreit kann Deutschland endlich wieder seine – von der AfD als natürlich vorausgesetzte – Führungsrolle in der Welt einnehmen. Nicht nur ökonomisch, sondern politisch und letztlich auch militärisch. Aus Sicht der AfD ist eine Erinnerungskultur, die der Opfer gedenkt und die Täter benennt, ein moralischer Hemmschuh zur entschlossenen Durchsetzung deutscher Interessen und damit ein Nachteil in der internationalen Weltmarktkonkurrenz. Insbesondere die deutsche Verantwortung für den millionenfachen Mord an den europäischen Jüdinnen.

Der Antisemitismusforscher Lars Rensmann sieht darin eine Grundlage für den Antisemitismus in der AfD. „In der Konstruktion einer von der kritischen Erinnerung an den Nationalsozialismus und seinen Verbrechen ‚befreiten‘, die deutsche Nation vorbehaltlos glorifizierenden kollektiven Gedenkpolitik, die sich von einer kritischen Verarbeitung verabschiedet, erscheinen Jüdinnen und Juden zwingend als Problem“, so Rensmann.

Es ist daher wenig überraschend, dass die AfD bei ihrem Kampf gegen die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen immer öfter sogar prominente Vertreter*innen jüdischen Lebens in Deutschland sowie jüdische Einrichtungen und Institutionen ins Visier nimmt.

Tacheles

[tacheles_4]: Israels Wunden vor und nach dem 7. Oktober

Merle Stöver beschreibt Erinnerungskultur in Israel nach dem 7. Oktober.

2025 feiert Deutschland den 80. Jahrestag der Kapitulation der Nationalsozialisten und somit das Ende des Zweiten Weltkriegs. Wie erinnern, gedenken und reden wir heute über den Holocaust? Wer gestaltet das Erinnern? Wo kommen die verschiedenen Formen der Erinnerung zusammen? Um all das geht es in der vierten Ausgabe von [tacheles]. 

Das Pogrom vom 7. Oktober 2023 hat Israel ins Mark getroffen. Während Menschen sich um einen Alltag jenseits ihrer persönlichen Verluste, der politischen Kämpfe und dem anhaltenden Krieg in Gaza bemühen, legt eine Woche im Frühling die Wunden des Staates schonungslos offen. Ein Gedicht des israelischen Journalisten Tzur Ehrlich lässt sich wie folgt übersetzen: „Zwei aufeinanderfolgende Gedenktage jedes Jahr – für die allgemeine Kalkulation – wie viel kostet es uns, einen Staat zu haben – und wie viel kostet es uns, keinen zu haben?“

Wenn am Morgen des israelischen Holocaustgedenktags die Sirenen im ganzen Land ertönen, kommt für zwei Minuten alles zum Stillstand. Autos halten, Busfahrer*innen steigen aus, Menschen stehen mit geneigtem Kopf am Straßenrand, im Klassenzimmer, auf dem Markt. Es ist ein Moment, der mit dem alltäglichen Treiben bricht, eine kollektive Geste, mit der den Opfern der Shoa und der jüdischen Widerstandskämpfer*innen gedacht wird.

Während international seit einem Beschluss der UN-Generalversammlung im Jahr 2005 an die Opfer des Holocaust am 27. Januar, dem Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee, erinnert wird, verweist bereits das Datum des Gedenkens in Israel auf einen ganz grundsätzlichen Unterschied: Der israelische Yom haShoa, der in voller Länge „Tag des Gedenkens an die Shoa und das Heldentum“ heißt, richtet sich nach dem jüdischen Kalender und wird jährlich am 27. Nisan begangen. Er soll damit an den Aufstand im Warschauer Ghetto zwischen dem 19. April und dem 16. Mai 1943 erinnern. Im Mittelpunkt steht nicht die Errettung und Befreiung durch andere, so entschied die israelische Knesset bereits 1951, sondern ein Moment der jüdischen Selbstermächtigung, des bewaffneten Widerstandes im Angesicht des sicheren Todes. Widerständigkeit, Stolz und Selbstbehauptung sollten die Grundpfeiler der wahrgewordenen zionistischen Utopie des „neuen Juden“ sein.

Das Land hält inne

Mit dem Ertönen der Sirene am Yom haShoa beginnt eine aus drei nationalen Gedenk- und Feiertagen bestehende Woche, in der nicht nur Geschichte, Gegenwart und Gründungsmythos des Staates kulminieren, sondern seine Wunden offen zu liegen scheinen. Am Yom haShoa werden in der Gedenkstätte Yad Vashem sechs Fackeln entzündet, die symbolisch an die sechs Millionen jüdischen Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie erinnern. Seit einigen Jahren werden daneben alternative, kleinere und persönlichere Gedenkveranstaltungen populärer. Menschen kommen zu Zikaron baSalon – „Erinnerung im Wohnzimmer“ – zusammen: Überlebende der Shoa und ihre Angehörigen erzählen im kleinen Rahmen, es wird gemeinsam abseits der offiziellen Zeremonien erinnert.

Eine Woche später, am 4. Ijjar, folgt der zweite Gedenktag: Am Yom haZikaron, dem „Tag des Gedenkens an die gefallenen israelischen Streitkräfte und die Opfer von Terror“, erklingt gleich zwei Mal die Sirene, erneut hält das Land inne. Dieser Gedenktag ist all jenen gewidmet, die im Militäreinsatz starben oder Opfer von Terror und Gewalt wurden. Im ganzen Land finden offizielle wie private Gedenkzeremonien statt, Menschen besuchen die Gräber von Angehörigen und Freund*innen, tauschen Erinnerungen aus.

Noch am Abend desselben Tages beginnt der dritte und letzte Feiertag: Am Yom haAtzmaut, dem Unabhängigkeitstag, wird die Staatsgründung Israels 1948 gefeiert. Während die offiziellen Feierlichkeiten aus militärischen Flugshows, Ehrungen, der Entzündung von zwölf Fackeln für die zwölf Stämme Israels und anderen Zeremonien bestehen, kommen die meisten Menschen zu Barbecue und Picknick zusammen. Eine Woche voller Innehalten und Trauer endet in einem freudigen Fest.

Kollektiver Schmerz

Trotz dieses Gegensatzes sind diese drei Gedenk- und Feiertage nicht ohneeinander zu denken. Sie bilden eine Abfolge, die das kollektive Selbstverständnis Israels formt: Das Gedenken an die Opfer der Shoa erinnert an die tiefe Wunde der Vernichtung des europäischen Judentums und daran, was es bedeutet, über keinen Staat und Schutzraum zu verfügen. Das Gedenken an die Opfer von Krieg und Terror steht in einem beinahe dialektischen Verhältnis dazu, erinnert es doch an die Kosten dieses Staates und seiner Wehrhaftigkeit. Die Feier der Unabhängigkeit symbolisiert am Ende dieser Woche gewissermaßen eine Antwort.

War die Überlegung der Dramaturgie dieser Gedenk- und Feiertage bereits bei dem Beschluss der Knesset in den 1950er Jahren mit dem konkreten nationalpolitischen Interesse der Vermittlung einer kollektiven nationalen Identität verbunden, so ist es nie ausschließlich dabei geblieben. Denn, und das ist elementar für das Verständnis: Für die meisten Menschen in Israel ist weder die Erinnerung an die Shoa und die mit ihr verbundenen Pogrome in Nordafrika und im Nahen Osten noch der Verlust von Angehörigen und Freund*innen durch Krieg und Terror abstrakt, fern und unpersönlich. Nahezu alle kennen jemanden, der oder die etwa den terroristischen Anschlägen der Zweiten Intifada in den 1990er Jahren zum Opfer fiel oder in Kampfhandlungen ums Leben kam. Es sind persönliche und schmerzhafte Verluste. Gerade deshalb ist das Gedenken auch kein performativer und einstudierter Akt, sondern eine tatsächliche Zäsur, eine Auseinandersetzung mit einer kollektiven wie individuellen Wunde, die nicht so recht verheilen kann.

Neue Wunden

Seit dem 7. Oktober 2023 ringen die Menschen in Israel um ihre Fassung. Auch jetzt, mehr als eineinhalb Jahre nach dem größten Massaker an Jüdinnen und Juden seit der Shoa, vermag nichts die Wunde zu schließen: Noch immer befinden sich 58 Geiseln in den Fängen der Terrororganisationen Hamas und Islamischer Dschihad, ein Ende des Krieges scheint in weite Ferne gerückt, Soldat*innen sterben im Einsatz oder kehren mit bleibenden physischen und psychischen Verletzungen zurück.

Die Rückschau auf das Gedenken im Jahr 2025 offenbart diesen Schmerz, die Gleichzeitigkeiten und Reminiszenzen wie unter einem Brennglas. So ist einerseits die Verbindung der Gedenktage deutlicher geworden, als sie es vermutlich je war. Man denke nur an Shlomo Mantzur, der 1941 als Kind das Farhud-Pogrom in Bagdad überlebte und von der Hamas am 7. Oktober nach Gaza verschleppt und ermordet wurde. Oder an Asaf Cafri, der am 25. April diesen Jahres als IDF-Soldat in Gaza getötet wurde, während seine Urgroßmutter Magda Beretz zur selben Zeit der Gedenkzeremonie der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen beiwohnte, welches sie als Kind überlebt hatte. Am 9. Mai verstarb Magda Baratz nur zwei Wochen nach ihrem Urenkel im Alter von 96 Jahren.

Andererseits scheinen die Brüche in der israelischen Gesellschaft derzeit nahezu unversöhnlich. Positionen, die sich zwischen Auslöschungsfantasien und einer erneuten Besatzung Gazas einerseits und der Forderung nach Hilfslieferungen, einem Deal und der Rettung der Geiseln andererseits unversöhnlich gegenüberstehen, kulminieren in einem Vorfall am Yom haZikaron selbst: Standing Together und andere israelische und palästinensische Aktivist*innen hatten zum wiederholten Mal zu einer gemeinsamen Gedenkzeremonie in einer liberalen Gemeinde in Raanana eingeladen. Die Veranstaltung wurde von etwa 200 rechten Demonstrant*innen angegriffen, während die Polizei unvorbereitet zu sein schien und lediglich drei der Angreifer festnahm.

Am Yom haAtzmaut, der Feier der Unabhängigkeit Israels, klafft nun eine neue Wunde. Während in den Straßen Fahnen geschwenkt wurden und die Nationalhymne Israels, die HaTikwa, ertönte, scheint die Sicherheit eines jüdischen Schutzraumes so brüchig wie nie zuvor. Niemand macht das so deutlich wie einige ehemalige Geiseln und Angehörige derjenigen, die noch immer in Gaza festgehalten werden. Auf Schildern schrieben sie: „Es gibt keine Unabhängigkeit, solange sie noch immer in Gaza sind.

Merle Stöver ist Sozialarbeiterin, Antisemitismusforscherin und promoviert am Institut für Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld. Als freie Journalistin und politische Bildnerin arbeitet sie vor allem zu Antisemitismus, Antiziganismus und Sozialchauvinismus.

https://www.timesofisrael.com/liveblog_entry/great-grandmother-of-slain-idf-soldier-was-at-bergen-belsen-which-she-survived-in-her-youth-for-remembrance-day-ceremony-at-time-of-his-death/

https://www.timesofisrael.com/holocaust-survivor-dies-2-weeks-after-great-grandson-killed-in-gaza-as-she-visited-nazi-camp/

https://www.timesofisrael.com/rioters-attack-synagogue-hosting-screening-of-israeli-palestinian-memorial-event/

https://www.ynet.co.il/news/article/hk8snmajgx

 

AfD?! Und jetzt? - Neue Mehrheiten

RIAS Thüringen

Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus, Thüringen: Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Thüringen (RIAS Thüringen) dokumentiert antisemitische Vorfälle in Thüringen und unterstützt von Antisemitismus Betroffene. Ziel ist es, Antisemitismus in Thüringen wissenschaftlich zu erfassen, darüber zu informieren und die Perspektiven der Betroffenen zu stärken.

„AfD-Mitglieder und Abgeordnete bedienen sich in ihren Reden seit Jahren antisemitischer Chiffren und Narrative und äußern diese bei Bürgerdialogen, auf Demonstrationen, aber auch im Thüringer Landtag. Das führt zu einer Enttabuisierung und Normalisierung von Antisemitismus und stellt eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Demokratie dar.“

Regenbogenschutzfonds – Wir unterstützen CSDs im Kampf für queere Rechte und gegen Angriffe

Der CSD in Altenburg 2024. Foto: Andy Drabek

CSDs machen auf Ausschlüsse, Diskriminierung, Ungleichbehandlung und Gewalterfahrungen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen, nichtbinären und queeren Menschen aufmerksam und kämpfen für gleiche Rechte. Für Rechtsextreme sind sie zum Ziel von Hass, Hetze und Gewalt geworden, insbesondere in kleinen Städten in Ost- und Westdeutschland. CSDs sind deshalb auch Orte des zivilgesellschaftlichen Widerstands. Solidarität ist ein wirksames Mittel gegen rechtsextreme Landnahme.

Noch nie gab es so viele CSDs wie im letzten Jahr – und noch nie so viele rechtsextreme Mobilisierungen dagegen. Für 2024 haben wir 55 Fälle dokumentiert, in denen rechtsextreme Gruppen gezielt CSD-Demos, deren Teilnehmende, sowie die Infrastruktur rund um die Veranstaltung gestört, bedroht und angegriffen haben. Solche Angriffe müssen wir auch 2025 erwarten.

Queere Sichtbarkeit braucht Schutz – besonders jetzt!

Aus diesem Anlass starten Campact und die Amadeu Antonio Stiftung den Regenbogenschutzfonds. Bewerben können sich CSD-Organisator*innen insbesondere aus kleinen und mittelgroßen Städten, die Störungen von rechten Gruppen erwarten.

Förderfähige Ausgaben sind:

  • Kosten für Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz des CSDs und von CSD-Veranstaltungen, inkl. Rechtsberatungen
  • Sach- und Honorarkosten, um queere Veranstaltungen in Mittel-, Kleinstädten und ländlichen Regionen durchführen zu können

Antragstellung

  • Förderanträge können über unser digitales Antragsformular gestellt werden
  • Antragsberechtigt sind gemeinnützige Träger und Körperschaften des öffentlichen Rechts.
  • Es gelten unsere allgemeinen Förderkriterien sowie die Details zur Antragstellung.
  • Ihr habt keinen gemeinnützigen Verein und keine andere gemeinnützige Rechtsform? Schreibt uns eine Email! Wir finden eine Lösung!

Noch Fragen?

Schreibt uns unter foerderung@amadeu-antonio-stiftung.de oder ruft uns zu unseren Sprechzeiten an, dienstags von 15 bis 18 Uhr und freitags von 09 bis 12 Uhr unter: 030 240 886 20.

Stellenausschreibung

Gesucht: Wissenschaftliche*r Projektmitarbeiter*in in der Rechtsextremismusprävention

Werde Teil einer lokal, regional als auch bundesweit agierenden Stiftung, die sich erfolgreich für demokratische Zivilgesellschaft, demokratische Kultur und Betroffene rechter Gewalt einsetzt: Die Amadeu Antonio Stiftung sucht für ihren Standort in Berlin zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine*n wissenschaftliche*n Projektmitarbeiter*in im Projekt Kompetenzzentrum Rechtsextremismus und Demokratieschutz (20 h / Woche).

Über uns

Die Amadeu Antonio Stiftung engagiert sich seit 1998 für eine starke demokratische Zivilgesellschaft. Benannt nach Amadeu Antonio, einem der ersten Todesopfer rechter Gewalt nach der Wiedervereinigung, setzen wir uns konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ein.

Dafür unterstützen wir schnell und unbürokratisch lokale Initiativen und Projekte vor Ort, sensibilisieren die Öffentlichkeit, analysieren aktuelle Entwicklungen und entwickeln effektive Strategien, um demokratische Werte zu stärken und Menschenrechte zu schützen. Dabei stehen wir solidarisch an der Seite der Betroffenen und tragen ihre Anliegen in Gesellschaft und Politik.

Deine Aufgaben

Du unterstützt als wissenschaftliche*r Projektmitarbeiter*in im Rahmen des Kooperationsverbunds Rechtsextremismusprävention (KompRex), die Forschung zu rechtsextremen Mobilisierungen und trägst zur Stärkung zivilgesellschaftlicher Schutzstrategien bei. Du bist Teil des Kooperationsverbund Rechtsextremismusprävention sowie des Kompetenzzentrums Rechtsextremismus und Demokratieschutz in dem aktuell 7 Personen tätig sind. Dein Ziel ist es, die Arbeit des Kompetenzzentrums auf die stets wachsenden und sich schnell verändernden Herausforderungen des dynamischen Rechtsextremismus auszurichten und unsere Angebote zum Schutz der Demokratie weiterzuentwickeln. Deine Aufgaben umfassen:

  • Wissenschaftliches Monitoring rechtsextremer Mobilisierungen (mit Schwerpunkt auf queerfeindliche Mobilisierungen gegen CSD-Veranstaltungen)
  • Durchführung von qualitativen Interviews zu Bedrohung und Empowerment der Zivilgesellschaft in Kontext rechtsextremer Bedrohungslagen
  • Unterstützung bei der Überarbeitung von zivilgesellschaftlichen Schutzkonzepten
  • Zuarbeit bei der Erstellung eines Sicherheitsreports
  • Erstellung von Social-Media Posts zur Veröffentlichung der Projektergebnisse
  • Weitere kurzfristige Unterstützung bei der Projektdurchführung

Dein Profil

  • Gute Kenntnisse im Themenfeld Demokratieschutz und Rechtsextremismusprävention
  • Gutes Fachwissen zu rechtsextremen Mobilisierungen gegen Veranstaltungen zum CSD
  • Erfahrungen in der Durchführung von wissenschaftlichem Monitoring
  • Gute Kenntnisse in der Durchführung qualitativer Interviews
  • Affinität zu Social Media und Öffentlichkeitsarbeit
  • Eine strukturierte und sorgfältige Arbeitsweise
  • Die Fähigkeit, dich schnell in neue Themen und Zusammenhänge einzu-arbeiten
  • Klare und zugewandte Kommunikation sowie ein sicheres Auftreten
  • Zuverlässigkeit und Verantwortungsbewusstsein
  • Freude an Zusammenarbeit und kollegialem Miteinander im Team
  • Identifikation mit den Zielen der Amadeu Antonio Stiftung

Wir bieten dir

  • Inspirierendes Team: Ein hochmotiviertes, kompetentes und herzliches Team, das gemeinsam Großes bewegt.
  • Flexibilität, die zu dir passt: Flexible Arbeitszeitmodelle zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, inklusive Möglichkeiten zur mobilen Arbeit.
  • Attraktiver Arbeitsplatz: Ein zentral gelegener Standort in Berlin-Mitte mit hervorragender ÖPNV-Anbindung.
  • Persönliche Weiterentwicklung: Raum für deine berufliche und persönliche Entfaltung mit Fortbildungs- und Supervisionsangeboten.
  • Work-Life-Balance: Freizeitausgleich für jede Überstunde und 30 Tage Urlaub im Jahr (bei einer 5-Tage-Woche) sowie zusätzliche freie Tage am 24. und 31. Dezember.
  • Faire NGO-Vergütung: Eine Bezahlung angelehnt an den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (9b TVöD – Bund)

Die Stelle ist bis zum 31.12.2025 befristet.

Wir wissen, dass niemand alle Anforderungen zu 100 % erfüllt. Wenn du dich in den meisten Punkten wiederfindest und motiviert bist, dich in neue Bereiche einzuarbeiten, freuen wir uns auf deine Bewerbung.

Das aktive Einbringen und Abbilden vielfältiger Expertisen, Perspektiven und Lebensrealitäten sind für unsere Arbeit essenziell. Um diese im Team abbilden zu können, bestärken wir insbesondere Juden*Jüdinnen, BIPoC, Menschen mit eigener oder familiärer Migrationsgeschichte, LGBTQIA+, Sinti*zze und Rom*nja und Menschen mit Behinderung sich zu bewerben.

Der Arbeitsplatz ist leider nicht barrierefrei.

Haben wir dein Interesse geweckt?

Dann bewirb dich bis 18.06.2025 per E-Mail. Schicke deine Bewerbung (Anschreiben, Lebenslauf mit Kontaktangaben von zwei persönlichen Referenzen, Arbeitszeugnisse) zusammengefügt in einem PDF-Dokument (max. 4 MB) mit dem Betreff „Wissenschaftliche*r Projektmitarbeiter*in“ an bewerbung@amadeu-antonio-stiftung.de. Wir bitten, in der schriftlichen Bewerbung von Bewerbungsfotos und Angaben zu Alter, Familienstand sowie Kindern abzusehen. Bitte teile uns aber deine gewünschten Pronomen mit.

Bei Fragen wende dich gerne an Lisa Geffken (lisa.geffken@amadeu-antonio-stiftung.de).


Datenschutzhinweis

Die Datenverarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen des Bewerbungsverfahrens geschieht ausschließlich zweckgebunden und im Einklang mit der Datenschutzgrundverordnung. Alle Informationen zur Datenverarbeitung gemäß Art. 12 ff. DS-GVO finden Sie unter https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/datenschutz/

Verschwörungsmentalität in der Hamburger Polizei und vieles mehr – Übersicht zu aktuellen Studien

Hamburger Polizei-Boot "Amerikahöft", Bild: Joachim Kohler

Die Fachhochschule in der Akademie der Polizei Hamburg und die Polizeiakademie Niedersachsen führen ein Forschungsprojekt durch mit dem Titel „Demokratiebezogene Einstellungen und Werthaltungen in der Polizei Hamburg (DeWePol)“. Eine erste, im Sommer 2024 durchgeführte, quantitative Fragebogenerhebung wurde nun ausgewertet. Folgenden Sätzen stimmten darin eher oder voll und ganz zu (Ergebnisbericht, S. 65):

  • „Politikerinnen und Politiker und andere Führungspersönlichkeiten sind nur Marionetten der dahinterstehenden Mächte.“ (rund 15 %)
  • „Die Medien und die Politik stecken unter einer Decke.“ (rund 11 %)
  • „Ich vertraue meinen Gefühlen mehr als sogenannten Expertinnen und Experten.“ (rund 13 %)
  • „Studien, die einen Klimawandel belegen, sind meist gefälscht.“ (rund 2,5 %)

Im Schnitt betrug die Zustimmung („stimmte voll und ganz zu“ oder „stimme eher zu“) knapp 7 % und fast 14 % blieben zudem unentschieden. Zwei wichtige Kernbefunde aus der Gesamtstudie waren: Je höher die Bildung, desto weniger stimmen die Befragten dem Populismus und dem Verschwörungsglauben zu. Und: Befragte aus der Kriminalpolizei und der Wasserschutzpolizei stimmen Populismus und Verschwörungsglaube signifikant weniger zu als Befragte aus der Schutzpolizei und der Verwaltung. Die Befragung soll 2026 wiederholt werden, um nicht nur Vergleiche mit der Gesamtbevölkerung zu ziehen, sondern auch interne Entwicklungen sichtbar zu machen. Die Schlussfolgerungen sollen für die Ausbildung aber auch strukturell Veränderungen anstoßbar machen.

 

Schlafen gegen Verschwörungsdenken

An der psychologischen Fakultät der Universität von Nottingham (UK) wurden zwei Befragungs-Studien durchgeführt, in denen herausgefunden wurde, dass eine schlechtere Schlafqualität positiv mit Verschwörungsmentalität korreliert. Auch ein konsistenter indirekter Effekt durch Depressionen wurde entgedeckt.

 

Besser durchgehen lassen?

Laut einer experimentellen Studie des Forschungs- und Lehrbereichs Kommunikation der Universität von Pennsylvania wirken Strategien der Umgehung besser als simple Korrekturen von Falschinformationen. Dies träfe zumindest dann zu, wenn jemand sich beliest, um Überzeugungen zu bilden bzw. das eigene Weltbild zu nähren, und nicht bloß eine Einstellung zu einem bestimmten Thema. Dann blieben einzelne Informationen nämlich trotz Widerlegung leichter im Gedächtnis hängen. Würde in der Gegenargumentation anstelle einer Wiederlegung eine „Überzeugung mit gegenteiligen Bewertungsimplikationen“ hervorgehoben, also die falsche Information umgangen, aber eine andere Haltung verdeutlicht, wirkte sich dies stärker auf eine im Gegenüber angestrebte Meinungsänderung aus.

 

Zusammen forschen!
Ein neues EU-Forschungsprojekt möchte helfen, Demokratien gegen Verschwörungsmythen zu wappnen. Die federführenden Politolog*innen an der Universität Passau haben sich mit 15 Organisationen europaweit zusammengetan und untersuchen aus psychologischen, soziologischen und politologischen Perspektiven übergreifende Merkmale, die die Verschwörungsmentalität überzeugter Anhänger*innen ausmacht. Dazu führt der Verbund unter anderem Studien mit Aussteiger*innen durch. Geplant sind zudem vergleichende Studien in acht europäischen Ländern.

 

Heimatlose Reichsbürger: Das Königreich Deutschland-Verbot und seine Folgen

Das Schloss Bärwalde in der Oberlausitz ist eine der Immobilien des KRD. Foto: Gwalter, CC BY-SA 3.0, Verfremdung: Amadeu Antonio Stiftung

Das Verbot des „Königreichs Deutschland“ trifft das Reichsbürger-Milieu hart – doch seine Ideologien leben weiter. Hinter esoterischer Fassade verbarg sich ein autoritäres, antisemitisches System. Der Rechtsstaat muss weiter wachsam bleiben.

Das Verbot des Königreichs Deutschland (KRD) – der bis dahin größten Organisation im Reichsbürger-Milieu und die Festnahme der vier mutmaßlichen Rädelsführer dürfte die Reichsbürger-Szene erneut hart treffen. Bereits die Polizeimaßnahmen des 7. Dezember 2022, damals kam es bundesweit zu Razzien und Festnahmen im Umfeld der Gruppe Reuß, hatten das Milieu geschwächt. Gleichzeitig zeigten die damaligen Ereignisse, dass sich die Reichsbürger*innen von staatlichen Ermittlungen und Maßnahmen nicht zu sehr unter Druck setzen lassen. Bereits ein halbes Jahr nach den Razzien gegen Reuß und seine Anhänger*innen kam es wieder zu Versammlungen des Milieus in der Öffentlichkeit.

Unbestritten verfolgte KRD-Gründer Peter Fitzek seit 2012 den Plan, mit seinem Königreich Deutschland zu expandieren. Zwar verlor seine Organisation 2017 den Hauptsitz in Wittenberg, auf einem still gelegten Krankenhausgelände, es gelang aber an anderer Stelle sesshaft zu werden. Vor allem in Sachsen war Fitzek in der Immobilienakquise erfolgreich. Er erwarb zwei Schlösser und einen Bauernhof. In einem Landgut in Halsbrücke im Landkreis Mittelsachsen erfolgte am 13. Mai 2025 auch der Hauptzugriff der Polizei und Bundesanwaltschaft.

In der Selbstdarstellung hatte Fitzek seine Vereinigung als „Gemeinwohlstaat“ angepriesen. Offenbar wollte man weg vom Image der gefährlichen Reichsbürger-Gruppe, hin zu einer gemeinnützigen, alternativen Organisation, die nicht nur Menschen aus dem rechten Spektrum ansprechen sollte. Neue Mitglieder mussten sich unterdessen in Seminaren bezüglich der Gesetze, Normen und Riten unterweisen lassen, um Staatsangehörige im Königreich Deutschland zu werden. Die Öffentlichkeitsarbeit spielte für das KRD eine wichtige Rolle. In selbst gedrehten Videos, die auf Social-Media-Kanälen vertrieben wurden, sah man Männer und Frauen sowie auch Kinder, die gemeinsam anpackten oder die sich zu den Zielen des KRD äußerten. Immer wieder wurde dabei sichtbar, dass besonders das esoterische Milieu ein Zuhause im KRD gefunden hatte.

Sammelsurium esoterischer und verschwörungsideologischer Überzeugungen

Der einzige Chefideologe der Gruppe blieb allerdings Fitzek selbst. In schier endlosen Videos und Beiträgen vermarktete er nicht nur das KRD, er gab zugleich die richtige geistige und weltliche Interpretation der Geschehnisse außerhalb des KRD bekannt. Diese Beiträge lassen tief blicken in die ideologischen Welten des Peter Fitzek, aber auch des gesamten KRD. Zwar lässt sich hier keine Haupt-Ideologie ausmachen, vielmehr bildet das KRD ein Sammelsurium unterschiedlicher esoterischer und verschwörungsideologischer Überzeugungen, gleichzeitig scheint aber das antimoderne und in Teilen antisemitische Weltbild von Fitzek zu dominieren.

Demnach sei die moderne Welt durch dämonische Kräfte beherrscht, die das gute und schöne Leben der Menschen verhindern. Insbesondere wenn es um die Klärung der Frage geht, wer hinter der Dominanz des Geldes stünde, fällt im KRD häufig ein jüdischer Name oder wird das Judentum als solches verdächtigt. Fitzek spricht manchmal klar, manchmal uneindeutig – dass er aber von einer jüdischen Weltverschwörung gegen die Menschheit überzeugt ist, lässt sich anhand eines Clips beweisen, den er zum Thema Krieg in der Ukraine auf dem Portal „KRD-Tube“ aufnahm. Hier sagte Fitzek, dass eine jüdische Gruppe die Strippenzieher hinter Russlands Präsident Putin und dem Präsidenten der Ukraine Selensky seien.

Eine Recherche der Welt zum KRD zeigt, dass solche Ansichten keineswegs Fitzek Privatmeinung sind, sondern dass diese auch bei den Seminaren durch die Seminarleiter*innen vertreten werden. Man kann also mit einiger Sicherheit sagen, dass die Mitglieder im KRD von einem verschwörungsideologischen und antisemitischen Weltbild umgeben sind.

Ausbeutung der Anhänger*innen

Gerade hier zeigt sich die Gefährlichkeit des KRD. Was für viele nach harmloser Esoterikwelt oder alternativem Ausstiegsprojekt aussieht, ist im Kern eine demokratie- und menschenfeindliche Versammlung. Frühere TV-Aufnahmen mit Fitzek offenbaren eine zutiefst dominante und autoritäre Persönlichkeit, die nicht zimperlich mit Widersacher*innen oder Konkurent*innen umgeht. In einer Reportage des MDR aus dem Jahr 2013 ist zu sehen, wie Fitzek in einer Versammlung des KRD versucht, Anhänger*innen, die ihn zuvor wegen seiner Machtfülle kritisiert haben, einzusperren. Dabei verliest Fitzek Texte aus der Verfassung des KRD und klagt seine Anhänger*innen wegen angeblichen Hochverrat an. Erst das Verständigen der Polizei durch die Betroffenen führt zu einer Freilassung.

Fitzek wendet hier eine Art Selbstgerichtsbarkeit an, sodass im KRD nicht mehr die Prinzipien des Rechtsstaats und der damit verbundenen Rechte der Bürger*innen gelten. Ebenso werfen Expert*innen und Kenner*innen des KRD Fitzek und seiner Führungsriege vor, systematisch Menschen ihrer Gelder und Besitztümer zu berauben. Unter dem Vorwand, dem Gemeinwohl zu dienen, versickern Hunderttausende Euro in den Projekten oder Kassen von Fitzek. Es bleibt abzuwarten, ob mit dem Verbot auch einhergeht, dass frühere Anhänger*innen den Rechtsweg antreten.

Das Verbot des KRD ist insgesamt ein Erfolg des Rechtsstaats im Umgang mit dem Reichsbürger-Milieu. Auch viele Bürgermeister*innen oder engagierte Bürger*innen dürften aufatmen. Groß war die Angst, wenn bekannt wurde, dass das KRD eine Immobilie in der Nähe erwerben konnte. Zugleich muss klar sein: Die soziologischen und politischen Ursachen für die zahlenmäßig immer noch stark aufgestellte Szene sind damit nicht beseitigt.

Nicht nur, dass die zahlreichen Haupt- und Neben-Verschwörungserzählungen weiterhin munter verbreitet werden, auch die Suche nach einem autoritären und antimodernen Projekt geht für viele Menschen weiter. Das Milieu ist groß und reicht von völkischen Siedler*innen, über die so genannte Anastasia-Bewegung bis hin zu den Neonazis. Es ist wichtig, dass sowohl die staatliche als auch die zivilgesellschaftliche Aufmerksamkeit hoch bleibt. Ebenso müssen Beratungsstellen gestärkt werden, die dabei helfen, Angehörige zu beraten und zu unterstützen, wenn Freund*innen oder Familienmitglieder Teil der Reichsbürger*innenwelt werden. Auch gilt es ehrenamtliche Initiativen zu unterstützen, wie beispielsweise die Demokratiebündnisse von Halsbrücke oder Rutenberg. Diese Bürger*innen klären ihre Nachbarschaften auf und organisieren Widerstand gegen die Reichsbürger.

Befreiungsparty statt Opfermythos: “Wer nicht feiert, hat verloren!”

Foto: @santiago_rodriguez_photography (CC BY-SA 4.0)

Seit fast 20 Jahren betrauern Neonazis in einer Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern das Ende des Dritten Reiches. Alljährlich ruft die rechtsextreme Partei „Die Heimat“, früher NPD, am 8. Mai zu einem sogenannten „Trauermarsch“ auf und trägt ihren Geschichtsrevisionismus offen auf die Straßen Demmins. Kurz vor Kriegsende hatten sich in der Kleinstadt mehrere hundert Frauen, teils mit ihren Kindern, selbst umgebracht. Das Aktionsbündnis 8. Mai veranstaltet jedes Jahr eine Gegenveranstaltung, um den Rechtsextremen nicht die Deutungshoheit über die Geschichte zu überlassen. Die Amadeu Antonio Stiftung hat die Veranstaltungen rund um die Befreiungsparty in Demmin mit einer Projektförderung finanziell unterstützt.

Von Luisa Gehring

Aus ganz Norddeutschland reisten am 8. Mai Menschen nach Demmin. Vor dem Bahnhof der ostdeutschen Kleinstadt stauten sich Busse aus Hamburg, Berlin, Rostock und Hannover. 3.500 Menschen seien dem Aufruf des „Aktionsbündnis 8. Mai“ gefolgt, erzählt die Pressesprecherin: „Wir waren fassungslos, wie viele Menschen gekommen sind“. Unterstützung gab es auch vom berühmten, mit Scheinwerfern, Sirenen und Störsendern ausgestatteten Demo-Bus „Adenauer“ des Zentrums für politische Schönheit, den viele bereits von anderen Kundgebungen in ganz Deutschland kennen. Die Befreiungsparty auf dem Demminer Barlachplatz hat beinahe Volksfestcharakter und lockte mit Bühne und Live-Bands sogar Menschen aus dem angrenzenden Altersheim an. Auch den Gegendemonstrant*innen wurde viel Zustimmung der Stadtbevölkerung entgegengebracht. Viele winkten ihnen von ihren Balkonen aus zu. Die Übermacht der Gegendemo war in der Stadt offensichtlich, meint die Pressesprecherin des Aktionsbündnisses. So viel Zuspruch habe es noch nie gegeben.

Es wurde das Kriegsende gefeiert und gleichzeitig gegen die rechtsextreme Geschichtsverdrehung und Raumnahme demonstriert. Und das mit Erfolg: Zum ersten Mal konnten die rund 290 schwarz gekleideten Neonazis ihren Fackelmarsch nicht auf ihrer gewohnten Route durch die Innenstadt zum Hafen abhalten. Ihr alljährliches Ritual der Kranzniederlegung in die Peene fiel gänzlich ins Wasser. Mit den Kränzen im Gepäck fuhren die Rechtsextremen schon früh wieder nach Hause. Die Feierlichkeiten zum Tag der Befreiung gingen noch bis in die späten Abendstunden im Stadtzentrum.

Bereits im letzten Sommer haben die Planungen für das 80-jährige Befreiungsjubiläum begonnen. Mit ihrem Engagement machen sich die Aktiven auch zur offenen Zielscheibe für Übergriffe von Neonazis. Eingeworfene Fensterscheibe, rechtsextreme Sticker und Vermummte, die Veranstaltungen für Geflüchtete stören, tragen zur allgemeinen Bedrohungslage bei. Es wird unverblümter, seit die AfD so hohe Ergebnisse erzielt, erzählt die Pressesprecherin. Bei der Bundestagswahl stimmten 47,3 Prozent der Demminer*innen für die rechtsextreme Partei.

Das Aktionsbündnis bleibt aber optimistisch. „Wir machen weiter!“ Ziel sei, dass den Rechtsextremen irgendwann die Lust am „Trauermarsch“ verginge. Mit den Aktionen um den diesjährigen 8. Mai wurde bereits ein starkes Zeichen gesetzt: Weder das Gedenken noch die Straße wird in Demmin den Rechtsextremen überlassen. Den einzigen Trauerkranz, allerdings allen Opfer des Nationalsozialismus gewidmet, legte in diesem Jahr das Aktionsbündnis 8. Mai in die Peene.

Steuergelder für Rechtsextremismus: Jedes Jahr über 120 Millionen Euro für die AfD

Foto: Paul Lovis Wagner / Campact (CC BY-NC 2.0)

Trotz Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ fließen weiterhin gewaltige Summen staatlicher Gelder an die Partei und ihre Kader. Mehr als 120 Millionen zahlt der Bund jahr für Jahr an eine Partei, die Rechtsstaatsprinzipien und Menschenrechte in Frage stellt und die Demokratie angreift – und das nur für ihre Wahlerfolge auf Bundesebene. Eine gewaltige Finanzspritze für die rechtsextreme Landnahme und die Finanzierung ihres Vorfelds.

Die Einstufung des Verfassungsschutzes macht es offiziell: Die gesamte AfD ist eine „gesichert rechtsextremistische Bestrebung”. Die Erkenntnis, die Betroffene rechter Gewalt schon seit langer Zeit am eigenen Leib spüren, wird endlich auch von Deutschlands Inlandsgeheimdienst unterschrieben. Noch nie gelang es einer gesichert rechtsextremen Partei in der Bundesrepublik, so viele Wähler*innen zu überzeugen wie bei der Bundestagswahl 2025: 20,4 Prozent der Stimmen. Jede*r fünfte hat sich folglich für eine Partei entschieden, die mit rassistischen, antifeministischen und antisemitischen Narrativen Hass und Ängste schürt, die versucht parlamentarische Prozesse auszuhebeln und faschistische Umsturzphantasien offen teilt.

Während der überfällige Antrag auf ein Parteiverbotverfahren weiter auf die lange Bank geschoben wird, kann sich die neue AfD-Fraktion bereits über reichlich staatliche Gelder freuen. Denn: Deutschland ist eine Parteiendemokratie. Politische Parteien genießen hierzulande einen besonderen Stellenwert, da sie maßgeblich zum Funktionieren des Staatswesens beitragen. Im Sinne der Chancengleichheit und Unkorrumpierbarkeit erhalten Parteien und ihre Mandatsträger*innen beträchtliche Geldsummen. Es gilt: Solange einer Partei ihre verfassungsfeindlichen Ziele nicht vollumfänglich nachgewiesen werden, erhält sie finanzielle Unterstützung des Staates.

Staatliche Parteienfinanzierung 

Parteien im Bundestag erhalten zahlreiche finanzielle Privilegien und Gelder aus öffentlicher Hand. Die staatliche Parteienfinanzierung besteht aus zwei Formen staatlicher Zuschüsse, die jeweils jährlich ausgezahlt werden. Zum einen erhalten Parteien für jede gültige Stimme bei allen Bundestags-/ Europa- und Landtagswahlen 83 Cent. Um den politischen Wettbewerb auch für neue Parteien zu öffnen, werden für die ersten 4 Millionen Stimmen je ein Euro eingeräumt.

Bei der Bundestagswahl hat die AfD 10.328.780 Stimmen erhalten. Daraus ergibt sich eine Summe von 9.252.887,40 Euro, die der Bundespartei 2025 zusteht. Hinzu kommen alle weiteren Wähler*innenstimmen, die im jeweiligen Jahr bei Landtags-/ Europawahlen für die AfD abgegeben werden.

Zum Anderen erhalten Parteien 45 Cent für jeden Euro, den sie als Spende, Mitglieds- oder Mandatsträgerbeitrag erhalten. Großspenden von über 3.300 Euro sind davon ausgenommen. Von der Erbschaft- und Schenkungsteuer sind Parteien befreit. Laut dem jüngsten Rechenschaftsbericht politischer Parteien erhielt die AfD 2023 4.128.357,71 Euro aus Mitgliedsbeiträgen sowie 9.305.517,63 Euro aus Spendenbeiträgen natürlicher Personen unter 3.300 Euro. Daraus ergibt sich ergänzend ein staatlicher Zuwendungsanteil von 6.045.243,90 Euro im Jahr 2023. Angesichts des Mitgliederwachstums der AfD seit 2023 (52.000 Mitglieder im Februar 2025, im Rechenschaftsbericht sind Ende 2023 noch 39.673 Mitglieder aufgeführt) sowie anzunehmender steigender Spendenbeiträge dürfte dieser Zuwendungsanteil heute sogar noch höher ausfallen.

Die genaue Höhe der staatlichen Parteienfinanzierung ist schwierig zu bestimmen, da neben den festgelegten Anteilshöhen auch absolute und relative Grenzen die staatlichen Zuwendungen bedingen. Parteien dürfen zum einen nicht mehr staatliche Gelder erhalten, als sie aus eigener Kraft einnehmen. Zum anderen muss der Gesamtbetrag dabei unter 200 Millionen Euro liegen.

Diäten für die Abgeordneten

Abgeordnete im Bundestag werden monatlich mit 11.227,20 Euro entlohnt. Für die 152 Abgeordneten werden somit im Jahr 20.478.412,80 Euro bereitgestellt. Eine Erhöhung der Diäten um weitere 606 Euro pro Monat steht bereits zur Debatte. Damit würde die Summe der Diäten für AfD-Abgeordnete im Bundestag im Jahr auf 21.583.756,80 Euro steigen.

Kostenpauschale

Alle Bundestagsabgeordneten erhalten zusätzlich zu ihren Diäten eine steuerfreie Kostenpauschale von 5.349,58 Euro monatlich. Die soll Ausgaben für die Einrichtung und Unterhaltung von Wahlkreisbüros abdecken und Fahrten im Wahlkreis, die Wahlkreisbetreuung sowie die Zweitwohnung in Berlin finanzieren. Für die gesamte AfD-Bundestagsfraktion ergibt sich somit eine Summe von jährlich 9.757.633,92 Euro.

Büroausstattung

Auch für die Büroausstattung müssen Bundestagsabgeordnete nicht selbst aufkommen. Jährlich stehen den Abgeordneten 12.000 Euro zur Verfügung, die sie für Geräte, Materialien oder Mobilfunkverträge nutzen können. In der Summe sind das folglich 1.824.000 Euro für die 152 AfD-Abgeordneten.

Personalbudget

Auch die AfD-Abgeordneten sind auf Mitarbeiter*innen angewiesen, die sie bei der Ausübung ihres Mandats unterstützen. Hierfür stellt ihnen die Bundestagsverwaltung monatlich 25.874 Euro zur Verfügung. Jährlich erhalten alle AfD-Bundestagsmitarbeiter*innen summiert somit 47.194.176 Euro.

Zahlungen an die Fraktionen

Nicht nur die Abgeordneten, auch die Fraktionen selbst erhalten staatliche Gelder, um beispielsweise Druckkosten zu decken. Im Haushaltsjahr 2025 erhalten alle Fraktionen im Bundestag monatlich 512.553 Euro sowie weitere 10.700 Euro pro Fraktionsmitglied. Oppositionsparteien werden mit weiteren 15 Prozent mehr auf den Grundbetrag und 10 Prozent auf die Mitgliedsbeiträge unterstützt. Für die AfD als Oppositionspartei ergibt sich daraus jährlich eine Summe von 28.541.711,40 Euro.

Weitere Vergünstigungen

Neben diesen Fixkosten, mit denen der Staat die Arbeit der Rechtsextremen unterstützt, profitieren Bundestagsabgeordnete zusätzlich von zahlreichen anderen, für Steuerzahler*innen kostspieligen Vergünstigungen wie der BahnCard100, 1. Klasse, für die Menschen, die nicht im Bundestag arbeiten, jährlich 7.999 Euro zahlen müssten.

Mehr als 120 Millionen Euro Steuergeld für Rechtsextreme

Die Gesamtsumme, mit der der Staat jährlich die rechtsextreme Partei dabei unterstützt, die Demokratie von innen auszuhöhlen, ist beträchtlich. Mit mindestens 123.094.065,40 Euro finanzieren die deutschen Steuerzahler*innen im Jahr 2025 die rechtsextreme Partei. Dazu kommen weitere Millionen auf Länderebene.

Dieses Geld fließt, direkt oder indirekt, zu gewaltbereiten Nazi-Kadern, in neurechte Thinktanks, rechtsterroristischen Reichsbürgergruppierungen, internationale rechtsextreme Netzwerke sowie rassistische, antisemitische, antifeministische und klassistische Kampagnen.

Die tatsächliche Höhe staatlicher Mittel, die die AfD jährlich erhält, liegt über dieser Summe. Aufwandsentschädigungen für bestimmte Posten im Parlament wie der Ausschussvorsitz, Erleichterungen wie die BahnCard100, Pflege- und Krankenversicherungen oder Altersentschädigung sowie die höheren Zuwendungsanteile aus zunehmenden Mitglieds- und Spendenbeiträgen sind in der Gesamtsumme noch gar nicht enthalten.

Finanzspritze für den vorpolitischen Raum 

Die AfD-nahe Desiderius Erasmus Stiftung (DES) hofft in der neuen Legislatur, endlich auch staatliche Fördermittel zu erhalten. Stiftungschefin Erika Steinbach plant mit 16 bis 17 Millionen Euro jährlich, die der DES zustünden. Das Veranstaltungsangebot der Stiftung reicht von einem Vortrag zur Frage „Hat das christliche Abendland noch eine Chance?” bis hin zu einem Wochenendseminar über „Staatsfinanzierte ,NGOs’ und ,Zivilgesellschaft’ – Über den linken Versuch, Demokratie durch Demokratiesimulation zu ersetzen”.

Drei Mal in Folge muss eine Partei in Fraktionsstärke in den Bundestag eingezogen sein, um nach dem Stiftungsfinanzierungsgesetz Anspruch auf die staatliche Förderung der ihr nahestehenden Stiftung zu haben. Dieses Kriterium hat die AfD, die 2016 in den Bundestag einzog, nun zum ersten Mal erfüllt. Fraglich ist jedoch, ob sie auch der zweiten Bedingung nachkommen kann. Denn parteinahe Stiftungen erhalten nur dann staatliche Mittel, wenn sie „für die freiheitlich demokratische Grundordnung sowie den Gedanken der Völkerverständigung aktiv” eintreten. Hat eine Stiftung jedoch „eine verfassungsfeindliche Prägung der politischen Grundströmung” oder beschäftigt sie Personen, die „verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgen”, verliert sie ihren Fördermittelanspruch. Darüber entscheidet allein das von Alexander Dobrindt geleitete Bundesinnenministerium.

Sollte die DES erstmalig Steuergelder für ihre Arbeit bekommen, könnte sie ihre Bildungsangebote massiv ausbauen und eine breitere Zielgruppe erschließen. Langfristig sei auch geplant, jungen Menschen Stipendien anzubieten, so Steinbach. Mit der staatlichen Ausfinanzierung der DES droht folglich der Ausbau der rechtsextremen Jugendkultur, die Verbreitung neurechter Verschwörungsideologien im vorpolitischen Raum.

Finanzierungsausschluss

Nachdem ein Verbotsantrag gegen die NPD, die sich mittlerweile „Die Heimat” nennt, 2017 zum zweiten Mal scheiterte, erweiterte der Bundestag den Werkzeugkasten der wehrhaften Demokratie um das Instrument des Finanzierungsausschlusses.  Der Staat soll keine Parteien fördern müssen, die darauf abzielen, ihn abzuschaffen. Auf Grundlage dieser Neuregelung konnte die NPD im Januar 2024 erfolgreich von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen werden. Das Kriterium der Potenzialität, also der realistischen Umsetzbarkeit der verfassungsfeindlichen Ziele durch die Partei, wurde beim Finanzierungsausschluss gestrichen. Verfassungsfeindliche Parteien, die keine Chance haben, ihre Agenda umzusetzen, können zwar nicht verboten, dafür aber von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen werden.

Ansonsten sind die Voraussetzungen für das Parteienverbot und den Finanzierungsausschluss nahezu identisch, so Malaika Jores vom Verfassungsblog. Da die AfD im Gegensatz zur Neonazi-Kleinstpartei mit ihren jüngsten Erfolgen sehr wohl die Chance hat, ihre Ziele politisch zu realisieren, ist eine erfolgreiche Anwendung der Verfahren gleich wahrscheinlich. Aufgrund der Uneindeutigkeit des Grundgesetzes hinsichtlich der notwendigen Kriterien für einen Finanzierungsausschluss ist es sogar möglich, dass das Instrument bei der AfD nicht greift, eben weil sie im Gegensatz zur NPD so erfolgreich ist. Verfassungsrechtler*innen sind sich hierbei uneins. Einen Ausschluss der AfD von der staatlichen Parteienfinanzierung als Alternativvorschlag zum Parteiverbotsantrag voranzutreiben, ist somit verfassungsrechtlich riskant.

Doch auch politisch wäre ein solches Manöver gefährlich. Die Gefahr, dass die AfD ein Verbotsverfahren populistisch ausschlachten kann, besteht beim Finanzierungsausschluss noch viel stärker. Denn: Die Partei könnte sich, selbst wenn ihr verfassungsfeindliche Ziele nachgewiesen werden können und ein Finanzierungsausschluss gegen sie durchgesetzt wird, weiter politisch betätigen. Ein Ausschluss von der staatlichen Parteienfinanzierung wäre gefundenes Fressen für den Wahlkampf. Staatliche Gelder außerhalb der Parteienfinanzierung wären vom Finanzierungsauschluss ohnehin nicht betroffen.

Die genannten Summen basieren auf öffentlich zugänglichen Quellen des Bundestages, können von den tatsächlich ausgezahlten Beträgen an die Partei abweichen und dienen lediglich der Veranschaulichung der finanziellen Größenordnung, mit der die AfD aus Steuergeldern unterstützt wird.

Tools im Test: Einschätzen lernen

Mögliches Ergebnis beim Verschwörungschecker, Screenshot von AAS

von Maja Neumann im Auftrag der Amadeu Antonio Stiftung

Verschwörung oder Nonsense?! – Der VerschwörungsChecker ist ein interaktives Online-Tool, mit dem der Wahrheitsgehalt von Verschwörungserzählungen überprüft werden kann. Da einige Verschwörungserzählungen, anders als Verschwörungsmythen, durchaus an wahre Begebenheiten anknüpfen, will der VerschwörungsChecker helfen, dies zu unterscheiden. Durch die Beantwortung von gezielten Fragen erhält man so eine Einschätzung, ob es sich bei der Erzählung möglicherweise um eine Verschwörungshypothese oder eher um „Nonsens“ handelt. Erklärt werden soll dabei auch, wie solche Verschwörungserzählungen aufgebaut und warum sie für viele Menschen anziehend sind. Es werden hier weder Geschichten vorgegeben, noch kann man diese ins Tool eingeben. Als Nutzer*in kann man an jede beliebige Verschwörungserzählung denken und das Tool starten, um diese zu überprüfen. Es werden mehrere Fragen zu den Einzelheiten der Erzählung erfragt, die man über eine Multiple-Choice-Auswahl beantworten kann, beispielsweise:

  • Wird für die Verschwörung eine konkrete Gruppe verantwortlich gemacht, die gemeinsam an ihrem geheimen Plan arbeiten?
  • Wer profitiert von dieser Erzählung?
  • Gibt es unabhängige Belege oder nur Behauptungen?
  • Wie gehen die Verbreitenden mit Kritik um?

Zu jeder Frage kann man aus verschiedenen Antwortmöglichkeiten wählen. Über den Klick auf ein unten eingefügtes Fragezeichen erhält man außerdem zusätzliche Informationen zum Hintergrund, warum diese Fragen gestellt werden, sowie eine Einordnung der Thematik. Über ca. 15 Fragen kann man hier seine eigene Einschätzung zu der Erzählung abgeben. Nach dem Beantworten aller Fragen zeigt der Checker auf einem Barometer an, wie wahrscheinlich es ist, dass die Erzählung Nonsens ist oder möglicherweise wahr sein könnte.

Unabhängig vom Ergebnis ermutigt die Seite, weiter zu recherchieren. In den FAQs werden zudem umfangreich thematische Fragen geklärt, sowie auf weiterführende Quellen und Beratungsstellen verwiesen.

Dieses Tool soll nicht nur helfen, einzelne Erzählungen zu hinterfragen, sondern auch die Fähigkeit stärken, kritisch mit Informationen umzugehen. Der VerschwörungsChecker ist eine gemeinsame Initiative der Amadeu Antonio Stiftung und der Berliner Webagentur allcodesarebeautiful (ACB). Er wurde im Rahmen des Projekts „debunk – verschwörungstheoretischem Antisemitismus entgegentreten“ entwickelt und wird durch die Programme „Demokratie leben!“ des Bundesministeriums für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie „Weltoffenes Sachsen“ gefördert. Das Tool richtet sich an alle, die Verschwörungserzählungen kritisch hinterfragen möchten – sei es im privaten Umfeld, in der Schule oder in der politischen Bildungsarbeit. Es bietet einen niedrigschwelligen, spielerischen Zugang zum Thema und soll Medienkompetenzen fördern. Besonders in Zeiten von Krisen, in denen solche Erzählungen vermehrt auftreten, kann der VerschwörungsChecker eine hilfreiche Orientierung bieten.

Untrue Crimes? Interview mit einem Kriminalpsychologen

Jan-Gerrit Keil im TV-Interview am 29.04.2024, Screenshot von AAS

Auf unserer Fachtagung „Zwischen Misstrauen und Demokratiegefährdung: Wie arbeiten gegen Verschwörungsideologien?“ im März in Leipzig gab Jan-Gerrit Keil, Psychologe beim Staatsschutz in Brandenburg, einen Workshop zum Einfluss von Verschwörungsdenken auf Radikalisierungsprozesse bei Straftäter*innen, der von ihm auch im kostenfrei bestellbaren Fachtagungs-Band nochmal erläutert wird.

Hier befragte Projektleitung Benjamin Winkler ihn nun noch einmal zu seinen Einschätzungen konkreter Anlässe:

Vor Kurzem wurde die neue Kriminalstatistik für das Jahr 2024 veröffentlicht. Die sogenannte politisch motivierte Kriminalität (PMK) stieg erneut stark an. Gibt es Erkenntnisse, dass Verschwörungsdenken hierzu beiträgt?

Jan-Gerrit Keil: Ich würde die Frage gerne mit einem klaren Ja oder Nein beantworten, aber das ist nicht möglich. Zunächst einmal kann ich natürlich nur für die PMK-Zahlen in Brandenburg sprechen. Hier sind die Zahlen zum Vorjahr noch einmal angestiegen, und in absoluten Zahlen fallen die größten Zuwächse auf die Bereiche der Straftaten „PMK rechts“ mit insgesamt 53,2 % aller PMK-Straftaten und „PMK Sonstige Zuordnung“ mit 26,6 % aller Straftaten.

Ein Großteil aller Straftaten, nämlich 1.877 von 6.813 Straftaten gesamt im Jahr 2024, sind dabei auf Straftaten im Zusammenhang mit Wahlen zurückzuführen. Auch aus vorherigen Jahren ist bekannt, dass Wahlen immer zu einem Anstieg von Straftaten – vor allem der Propagandadelikte, aber auch Hasspostings und Sachbeschädigungen von Wahlplakaten – führen. Dieser Anstieg durch Wahlen betrifft alle Formen politisch motivierter Kriminalität, er ist aber absolut gesehen in Brandenburg im Bereich „PMK rechts“ am größten.

Einen direkten Einfluss des Verschwörungsdenkens auf den Anstieg zu messen, ist mit polizeilichen Zahlen nicht möglich, da sich Verschwörungsdenken als Meta-Konstrukt hinter sehr vielen Themenfeldern der PMK ursächlich verstecken kann. So können sich hinter antisemitischen und rassistischen Straftaten verschwörungstheoretische Annahmen wie die vom „Great Reset“ oder „White Genocide“ verbergen. Elitenfeindliche Einstellungen und das „Reichsbürger“-Narrativ können die Ursache für Angriffe auf Amtspersonen und Mandatsträger sein, das „INCEL“-Narrativ kann zu Angriffen auf Frauen und LGBTQ+-Personen führen, und das Narrativ von den „gestohlenen oder manipulierten Wahlen“ kann zu Straftaten im Zusammenhang mit dem Wahlgeschehen motivieren.

Verschwörungsdenken stellt somit ein Meta-Konstrukt dar, das auf sehr viele Felder der PMK einzahlen kann, ohne dass dieser Einfluss explizit auf den ersten Blick im Sinne einer offenen Plakatierung immer erkennbar wäre. Am ehesten ist der Zuwachs mit dem Zusammenhang der Wahlen und den dadurch ausgelösten Diskursen insgesamt in Verbindung zu bringen.

 

Der Attentäter von Magdeburg, der am 20. Dezember 2024 mit einem Auto in den Weihnachtsmarkt der Domstadt raste, um dort Menschen zu töten, scheint durch Verschwörungsideologien beeinflusst gewesen zu sein. Inwiefern verleitet Verschwörungsdenken Menschen dazu, terroristische Taten zu verüben?

Jan-Gerrit Keil: Eine biografische Analyse des Täters und die genaue Tathergangsanalyse der Tat von Magdeburg wird noch zu machen sein. Solche Taten sind nie monokausal, sondern immer nur durch ein Motivbündel und ein Zusammenwirken von Person und Situation erklärbar. Aus der Vergangenheit wissen wir aber, dass sich Attentäter in ihren Manifesten und Bekennervideos zur ideologischen Begründung ihrer Taten explizit auf diverse Verschwörungstheorien beziehen. Neben der ideologischen Ebene müssen bei der Betrachtung von verschwörungstheoretischem Denken aber noch weitere psychologische Effekte in den Blick genommen werden, die zur Radikalisierung beitragen können. Diese Effekte sind im Einzelnen in einer verzerrten Wahrnehmung der Welt und einer durch die Algorithmen gesteuerten selektiven Informationsaufnahmen durch die sogenannten „alternativen Medien“ zu finden. Dies führt zu einer Verkennung von Fakten und in der Folge zu einer falschen Risikowahrnehmung in Bezug auf die eigene Lage und Person.

Wir wissen aus der Wissenschaft, dass Verschwörungsgläubige zu einer apokalyptischen Weltsicht tendieren. Sie leben gefühlt in einer absolut feindlichen Welt, in der sie niemandem mehr trauen können. Sie verfallen durch die Erzählungen in dichotome Denkmuster – es gibt nur noch Gut und Böse, Schwarz und Weiß, Freund und Feind. Für jeden Missstand wird ein Schuldiger benannt, und alternative, komplexe Erklärungen für die Realität werden abgelehnt. So wird einerseits die Angst ständig gesteigert, und andererseits der Hass auf bestimmte Bevölkerungsgruppen und Minderheiten geschürt. Erfährt diese eingeengte, apokalyptische Weltsicht kein Korrektiv mehr, können Angst und Hass gegenüber den zum Sündenbock erklärten Bevölkerungsgruppen am Ende in gewalttätige Handlungen umschlagen, die aus vermeintlicher Notwehr heraus begangen werden.

 

Was würden Sie als Polizeipsychologe bzgl. der Ausgestaltung von Präventionsmaßnahmen zum Verschwörungsdenken sagen – was kann dazu beitragen, dass sich Menschen weniger schnell und stark durch Verschwörungsideologien radikalisieren?

Jan-Gerrit Keil: Tatsächlich befasse ich mich als Kriminalpsychologe beim LKA überwiegend mit der Strafverfolgung bereits begangener und der Gefahrenabwehr unmittelbar bevorstehender Straftaten. Es ist somit ein täterzentriertes Vorgehen, bei dem klar der Schutz der Bevölkerung im Mittelpunkt steht. Meine Aufgabe liegt nicht in der Kriminaltherapie der Täter, sondern darin, die Polizei Brandenburg in die Lage zu versetzen, Täter möglichst schnell dingfest zu machen. Eine effektive Polizeiarbeit wirkt im besten Fall dann auch abschreckend auf zukünftige Täter und zeigt die staatlich definierten Grenzen auf, über die ein Täter nicht gehen sollte.

Prävention insgesamt ist natürlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und muss von allen Akteuren geleistet werden – sie kann niemals nur Aufgabe der Polizei allein sein. Aus der Forschung wissen wir, dass im Zusammenhang mit Verschwörungstheorien „Prebunking“ wirksamer ist als „Debunking“. Das heißt: Wer erst einmal tief im Kaninchenbau drinnen ist, den holt so schnell keiner mehr da raus. Für diese Fälle ist die Arbeit mit Angehörigen oft effektiver als die Arbeit mit den Verschwörungsgläubigen selbst. Damit die Leute gar nicht erst in den Strudel der Verschwörungstheorien hineinfallen, kann es dagegen hilfreich sein, bereits im Vorfeld über die Methoden und Mechanismen von Verschwörungserzählungen sowie die gängigsten Narrative aufzuklären. Dadurch sind die Betroffenen gegen diese Erzählungen und Strategien sozusagen immun und fallen nicht mehr auf sie herein.

Diese Aufklärungsarbeit kann nicht nur von der Polizei geleistet werden. Sie sollte an Schulen für Kinder und Jugendliche erfolgen, damit diese einen kritischen, faktenbasierten Umgang mit offenen Quellen erlernen. Genauso benötigt es aber Elternarbeit, da viele Eltern die im Netz herumgeisternden Verschwörungstheorien, auf die ihre Kinder stoßen könnten, gar nicht kennen. Auch der Presse und den öffentlich-rechtlichen Medien kommt dabei eine wichtige Funktion zu. Ich habe die Zeit der Corona-Pandemie – neben vielen negativen Effekten – auch als eine Zeit erlebt, in der sich die Wissenschaftskommunikation in Deutschland stark verbessert hat. Auch die Wissenschaft muss ihre Methoden und Erkenntnisse in verständlicher Art und Weise in die Bevölkerung transportieren. Podcasts sind zum Beispiel ein sehr gutes Medium, um komplexe Sachverhalte in der nötigen Zeit auch einmal themenorientiert spezifisch zu beleuchten. Das Medium Podcast hat mit der Pandemie, glaube ich, einen großen Aufschwung erfahren und unsere Gewohnheiten bei der Informationssuche verändert.

Nicht zuletzt müssen Verschwörungstheorien natürlich auch auf einer ideologisch-politischen Ebene dekonstruiert werden. Ich halte diesen Schritt zweifelsfrei für notwendig – als Psychologe würde ich nur davor warnen, sich von dieser inhaltlichen Auseinandersetzung zu viel Wirkung zu erhoffen. Die Motive für den Glauben an Verschwörungstheorien liegen oft tiefer in der Person und haben mit dem Wunsch nach gefühlten Wahrheiten, Sicherheit und Komplexitätsreduktion zu tun. Da ist eine rein inhaltliche Auseinandersetzung mit Verschwörungstheorien oft kontraproduktiv, denn damit nehmen wir den Verschwörungsgläubigen immer etwas weg, was ihnen lieb und teuer geworden ist. Und dies geschieht, ohne dass wir die Lücke gleich mit einer ähnlich einfachen Erklärung füllen könnten. Diese Leute haben viel Zeit und Mühe in die Recherche nach Verschwörungstheorien investiert. Wenn wir jetzt sagen: „Das war ein sehr dummer Fehler, und alles, was du geglaubt hast, ist falsch“, dann versperren wir den Weg zurück in die Gesellschaft eher, als dass wir wirklich helfen. Besser ist es darum, im direkten zwischenmenschlichen Kontakt nur leichte Zweifel zu streuen und klar aufzuzeigen, dass man die Dinge ja auch ganz anders sehen kann. Mit diesem Widerspruch müssen die Betroffenen erst einmal umzugehen lernen und ihn aushalten. In einem zweiten Schritt kann man dann dazu motivieren, dass die Personen selbst einen Faktencheck vornehmen und eigenständig die angeblichen Wahrheiten überprüfen.

Ratschläge sind halt auch Schläge – und damit meist selbstwertgefährdend. Gerade der Selbstwert von Verschwörungsgläubigen ist ja in der Regel bereits angeschlagen, sonst müssten sie sich ja gar nicht in Verschwörungstheorien flüchten. Es wäre also besser, die Person zu motivieren, sich selbst eine andere Faktenlage zu schaffen, als sie von außen mit Faktenchecks zuzuschütten.

Besetzt oder befreit? Schüler*innen erarbeiten Ausstellung zu den letzten Kriegstagen in Leipzig

Anlässlich des 80. Jahrestags des Ende des Zweiten Weltkriegs haben Schüler*innen des Leipziger Gerda Taro Gymnasiums eine Ausstellung zu den letzten Kriegstagen in der Stadt erarbeitet. Fotos: Markus Ulbricht; Vera Ohlendorf

Wie lässt sich die Zeit des Nationalsozialismus 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges an Jugendliche vermitteln? Ein Projekt des Gerda-Taro-Gymnasiums Leipzig verbindet selbstständige Lernformen und Stadtgeschichte.

Von Vera Ohlendorf

Am 18. April 1945 beginnt die Einnahme der Stadt Leipzig durch US-Infanterietruppen. Wehrmachtseinheiten und Volkssturm-Kämpfer verschanzen sich im Rathaus, im Hauptbahnhof, im Völkerschlachtdenkmal und an anderen Orten im Stadtgebiet. Letzte Kämpfe dauern bis zum 20. April 1945, es gibt zahlreiche Tote. Dann weht die US-Flagge über dem Neuen Rathaus. Zehn Tage zuvor hatte der letzte alliierte Bombenangriff auf Leipzig stattgefunden.

25 Schüler*innen der Klassenstufen zehn und elf des Gerda-Taro-Gymnasiums haben, gefördert von der Amadeu Antonio Stiftung, unter dem Titel „Nie wieder Krieg“ eine Ausstellung zu den letzten Kriegstagen in der Stadt erarbeitet. Der Name ihrer Schule verpflichtet: Gerda Taro war Kriegsfotografin und wurde während des Spanischen Bürgerkrieges 1937 bei der Arbeit tödlich verletzt. Ihr Freund Robert Capa dokumentierte die Kampfhandlungen in Leipzig in den letzten Kriegstagen 1945. Seine Fotos sind heute weltberühmt.

Überraschende Stadtgeschichte(n)

Über Monate hinweg haben die Schüler*innen eigenständig Quellen gesichtet, in Archiven, Büchern und online recherchiert. Plakate, eine Chronik, ein Comic, das Foto eines Soldaten in Lebensgröße, Videos und Zitate veranschaulichen Ereignisse, die vielen Leipziger*innen kaum bekannt sein dürften. „Der Wissensstand zur lokalen Geschichte rund um das Kriegsende ist in der Stadtgesellschaft eher gering“, sagt Markus Ulbricht, Geschichtslehrer und Initiator des Projektes. „Vom Nationalsozialismus und seinen Verbrechen haben natürlich alle gehört, über Allgemeinwissen geht es aber selten hinaus. Nicht wenige Menschen glauben, es sei die Sowjetische Armee gewesen, die Leipzig befreit hat.“ Tatsächlich übergab die US-Streitkräfte die Stadt gemäß den Vereinbarungen der Alliierten am 2. Juli 1945 an die Rote Armee.

Wenig bekannt ist auch der Massen-Suizid im Neuen Rathaus am 19. April 1945. Hier hatten sich 150 Volkssturm-Kämpfer verschanzt, wurden aber schnell durch US-Truppen besiegt. Als diese das Gebäude durchsuchten, fanden sie die Leichen des NSDAP-Kreisleiters und anderer NS-Größen, die des Oberbürgermeisters, des Stadtkämmerers sowie die ihrer Frauen und Kinder. Sie hatten sich kurz zuvor das Leben genommen.

Die Schülerinnen Marisa und Johanna haben dazu einen aufwändigen Comic gestaltet, der durch Original-Videoausschnitte ergänzt wird, die US-Soldaten beim Erkunden des Gebäudes zeigen. „Es war interessant zu erfahren, was damals in der eigenen Stadt passiert ist, auch mit den NS-Funktionären“, sagt Johanna. „Wir haben viel allgemein über Kriegstote gehört. Dass es auch Selbstmorde von Nazis gab, war uns nicht bewusst. Im Alltag vergessen wir leicht, dass jeder Ort in Leipzig auch mit dem Nationalsozialismus zu tun hat.“ Marisa ergänzt: „Das Bild vom mächtigen Nazi bekommt Risse, wenn man weiß, dass sich einige wegen der drohenden Konsequenzen umgebracht haben.“

Markus Ulbricht freut sich, dass die Schüler*innen engagiert gearbeitet haben, trotz voller Stundenpläne, vieler Klausuren und Hausaufgaben: „Es überrascht mich immer wieder, was für kreative Produkte entstehen, wenn man den Kids freie Hand lässt und sie sich wirklich reinknien“, beschreibt er. Die Ausstellung soll Wissenslücken schließen und die Erinnerung lebendig halten.

Mord an NS-Zwangsarbeitern

Im Zentrum steht auch die Erinnerung an die NS-Zwangsarbeit. Leipzig war vor und während des Zweiten Weltkrieges ein bedeutender Rüstungs- und Industriestandort. Bis 1945 wurden hier rund 75.000 Menschen, darunter viele Minderjährige, zur Arbeit in Fabriken, bei den Stadtwerken und Verkehrsbetrieben, in Privathaushalten oder in Handwerksbetrieben gezwungen. Etwa 700 Lager waren im gesamten Stadtgebiet verteilt. Im KZ-Außenlager Abtnaundorf waren bis kurz vor Kriegsende mehrere tausend Männer aus Polen, Frankreich, der Sowjetunion und anderen Ländern interniert, die Zwangsarbeit für die Erla-Maschinenwerke leisteten. Am 13. April 1945 löste die SS das Lager auf, die meisten Inhaftierten wurden auf Todesmärsche geschickt. Die SS sperrte rund 300 kranke Inhaftierte in eine Baracke und steckte diese in Brand. Mehr als 80 Männer starben. US-Soldaten, die nur wenige Stunden später einmarschierten, dokumentierten das Verbrechen, ein wichtiger Bestandteil der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse.

Janosch und Aaron haben gemeinsam mit weiteren Schüler*innen die Geschichte des Massakers für die Ausstellung recherchiert und aufbereitet. „Es ist gruselig, was hier in Leipzig passiert ist“, sagt Aaron. „Es ist wichtig, tiefer in die Geschichte einzusteigen und sich bewusst zu machen, was die NS-Zeit mit unserer Stadt zu tun ist. Man sollte wissen, wo man lebt und sich in Erinnerung rufen, was hier passiert ist.“

Besetzt oder befreit?

Die Schüler*innen haben sich intensiv mit der Frage beschäftigt, ob Leipzig 1945 befreit oder besetzt wurde. „Es war eine Befreiung!“, betont Marisa. „So wurde die Naziregierung beendet.“ Johanna ergänzt: „Viele Leute in Leipzig haben darauf sicher sehnlich gewartet, auch wenn es sicher noch viele Nazis in der Stadt gab. Meine Oma hat mir erzählt, dass damals viele weiße Fahnen in Leipzig aus den Fenstern hingen.“ Janosch sieht das ähnlich: „Es ist erschreckend und erstaunlich, was die Nazis getan haben. So wurde es beendet. Ich kann verstehen, wenn einige Menschen es in den ersten Monaten als Besatzung erlebt haben, aber rückblickend war es eindeutig eine Befreiung.“

Ihre Ausstellung werden die Schüler*innen noch um einen digitalen Teil, ein Zeitzeugeninterview und einen fiktiven Instagramkanal ergänzen.

Lehrer Markus Ulbricht wünscht sich trotz voller Lehr- und Stundenpläne zukünftig mehr Zeit für ähnliche Projekte zum selbstständigen Lernen, etwa zu weiteren Themen der NS-Vergangenheit, zu Rassismus und anderen Diskriminierungen. Ihm ist wichtig, dass sich die Schüler*innen auch mit den aktuellen Gefahren rechtsextremer Ideologien auseinandersetzen. Der Ausstellung stellt er deshalb diesen Text voran:

„In dem Wort ‚Befreiung‘ lauert die Gefahr, ein ganzes Volk als bloßes Opfer von Hitler zu sehen. Ja, wir sollten uns freuen über diesen 80. Jahrestag der Befreiung unserer Stadt. Mit unserem Gedenken […] feiern wir den Frieden, die Freiheit und das Leben. Mit dem Ausdruck ‚Besetzen‘ machen wir uns bewusst, dass weder Frieden, noch Freiheit, noch Leben selbstverständlich sind auf dieser Welt.“

Razzia gegen „Letzte Verteidigungswelle“: Wenn Jugendliche Rechtsterroristen werden

Das Bild zeigt den verübten Brandanschlag der Gruppe auf das Kulturhaus Altdöbern. Quelle: KULTBERG Altdöbern

Sie sind jung, radikal und extrem gewaltbereit: Am 21. Mai 2025 wurden in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Hessen, Sachsen und Thüringen 13 Wohnungen von mutmaßlichen Rechtsterroristen durchsucht, die sich als „Letzte Verteidigungswelle“ organisiert haben. Fünf Personen wurden festgenommen, gegen sie wurden Haftbefehle erlassen.

Ben-Maxim H., Lenny M., Benjamin H., Jerome M. und Jason R. sind Teil einer neuen rechtsextremen Jugendkultur, die sich Rechtsterroristen wie Anders Breivik und Beate Zschäpe zum Vorbild nimmt. Selbst ermächtigt, enthemmt und bestätigt durch AfD-Wahlergebnisse will die Gruppe die „Deutsche Nation“ verteidigen. Die Mitglieder der „Letzten Verteidigungswelle“ sind auffallend jung und extrem gewalttätig. Die Gruppe existiert mindestens seit April 2024, zum Zeitpunkt der Gründung waren alle fünf Festgenommenen noch minderjährig.

„Ihr Ziel ist es, durch Gewalttaten vornehmlich gegen Migranten und politische Gegner einen Zusammenbruch des demokratischen Systems in der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen“, erklärt die Bundesanwaltschaft.

Anschläge gegen selbsterklärte „Volksfeinde“

Um dieses Ziel zu erreichen, schrecken die Mitglieder der „Letzten Verteidigungswelle“ auch vor roher Gewalt nicht zurück. In Altdöbern zündeten in der Nacht des 23. Oktober 2024 zwei beschuldigte 15-Jährige ein Kulturhaus an, das sie fälschlicherweise für einen Szene-Treffpunkt von Linken gehalten haben sollen. In Schmölln schlugen sie im Januar 2025 die Scheiben einer bewohnten Geflüchtetenunterkunft ein und versuchten Brandsätze aus Pyrotechnik ins Innere zu werfen. Am Tatort hinterließen sie Hakenkreuze und andere rassistische Parolen. In Senftenberg konnte im Februar 2025 ein Sprengstoffanschlag auf eine bewohnte Geflüchtetenunterkunft dank der Hinweise einer Journalistin nur knapp verhindert werden.

Auch weitere Planungen von Brand- und Sprengstoffanschlägen auf Asylbewerberheime und Einrichtungen selbsterklärter „politischer Gegner“ werden ihnen vorgeworfen. Mit den Taten sollen Botschaften kommuniziert werden, es geht um Verunsicherung und Angst. Kurzum: rechten Terror.

Wie gewalttätiger Rechtsextremismus wieder angesagte Jugendkultur wird

Rechtsextreme Angriffe nehmen rasant zu. Zur Zielscheibe wurden zuletzt Jugendclubs, CSDs und eine demokratische Zivilgesellschaft, die gegen Rechtsextreme auf die Straße geht. Jugendliche sind nicht nur vermehrt unter den Betroffenen, sondern auch unter den Gewalttätern.

Im Juli 2024 wurde in Berlin eine Gruppe auf dem Weg zu einer Demo gegen Rechts von 15 vermummten Neonazis mit Schlagstöcken und Reizgas brutal angegriffen wurde. Die Opfer waren im Alter zwischen 15 und 39 Jahren, viele der Angreifenden waren auffällig jung. Nur wenige Wochen setzte die Polizei eine offenbar gewaltbereite 28-köpfige Gruppe fest, die mit Zahnschutz und Lederhandschuhen ausgerüstet waren und wohl Angriffe auf den CSD planten. Von den 28 in Gewahrsam genommenen war die Hälfte minderjährig.

„Man sieht hier öfter so Kinder-Nazis, also Jugendliche mit Springerstiefeln, Bomberjacken und Glatzen rumlaufen. Ist schon auffällig in letzter Zeit“, beschreibt ein Bewohner die Situation in Grevesmühlen, wo es im Juni 2024 zu einem rechtsextremen Übergriff auf zwei ghanaische Mädchen kam.

In Videos von dem Angriff bestätigt sich das Bild: Die Täter erscheinen im altbekannten Stil und erinnern an die Neonaziszene der 1990er. Ein Sozialarbeiter aus Grevesmühlen sagt dazu: „Es kommt mir vor wie eine Modeerscheinung, als wäre es eine Jugendkultur, wie früher Hip-Hop, Rap oder Punk“.

Rechtsextrem sein als Mainstream – die Haltestelle der Identitätssuche: „Rassist“, wie sich ein Jugendlicher aus Grevesmühlen sogar selbst beschreibt.

Warum das funktioniert

Am Beispiel von Grevesmühlen wird das Dilemma der Jugendlichen deutlich: Sie wollen dazugehören – und die am besten vernetzte Peer Group ist rechtsextrem.

Auf der Suche nach Anschluss und gesteuert von Unsicherheiten darüber, wer man ist und vor allem wer man sein möchte, treffen Jugendliche auf Gruppen, die starke Meinungen und einfache Antworten haben. Stärke und Gemeinschaftsgefühl als Magnet für Jugendliche.

Die Spielregeln sind einfach: Zur Begrüßung gibt es Nazi-Parolen wie „Sieg Heil“, oder „Heil Hitler“, eventuell noch den Hitlergruß und danach hetzt man gemeinsam über und gegen „Ausländer“, wie ein Jugendlicher aus der rechtsextremen Szene von Grevesmühlen berichtet.

Rechtsextreme Gruppierungen wie die sogenannte „Letzte Verteidigungswelle“ bieten solchen Jugendlichen Orientierung und ein Gefühl von Identität. Sie arbeiten mit klaren Feindbildern – etwa gegen Migranten, Politikerinnen, Linke oder queere Menschen. Die Gruppen fördern ein starkes Gemeinschaftsgefühl und animieren zu gewalttätigem Verhalten. Innerhalb dieser Strukturen wird Gewalt als Heldentat gefeiert, während die persönliche Verantwortung hinter rechtsextremen Ideologien verschwindet.

Rechtsextreme Online-Mobilisierung

Die rechtsextreme Szene agiert im Internet ganz öffentlich und trotzdem weitgehend unbeachtet. Völlig ungeniert treten Profile im Netz auf: Teilweise mit rechtsextremen Codes und Symbolen, die nur Eingeweihte verstehen, sogenannte „Dogwhistles“, teilweise aber auch ganz offen.

Hinter dieser Form der menschenfeindlichen digitalen Mobilisierung stecken nicht allein rechtsextreme Einzelprofile. Es sind Netzwerke, Fake Accounts rechtsextremer Gruppen der Identitären Bewegung, der rechtsextremen Kleinstpartei „III. Weg“ oder der „Jungen Alternative“, die sich online vernetzen. Mit ihrer neu gegründeten Jugendgruppe „Deutsche Jugend Voran“ konnte allein der „III. Weg“ innerhalb weniger Posts mehr als 2.000 Abonnent*innen bei Instagram sammeln.

Was tun?

Der Schlüssel ist und bleibt politische und demokratiefördernde Bildung. Sie braucht aber mehr Geld und Ressourcen. Die (Jugend-)Sozialarbeit muss ausgebaut werden, auch um digitale Angebote, wie Digital Streetwork. Denn Jugendsozialarbeit ist Demokratiearbeit.

Nicht-rechte Jugendliche brauchen sichere Räume, um sich zu treffen und zu vernetzen. Die wenigen Jugendclubs, die es noch gibt, müssen dringend besser geschützt werden. Was auch bedeutet, dass die Sicherheitsbehörden die rechtsextreme Strategie ernst nehmen müssen und nicht als Auseinandersetzung unter Jugendlichen abtun dürfen.

Alle 12 Minuten eine rechte Straftat: Hass und Gewalt sind zum Flächenbrand geworden

Die Zahl rechtsextremer Straftaten ist im vergangenen Jahr drastisch gestiegen – und mit ihr die Gefahr für unsere Demokratie.

Deutschland erlebt einen alarmierenden Anstieg rechter Gewalt. 42.788 rechtsextrem motivierte Straftaten haben die Sicherheitsbehörden im vergangenen Jahr registriert – das sind 48 Prozent mehr als im Vorjahr. Es sind die höchsten je erfassten Zahlen. Besonders beunruhigend: 1.488 dieser Delikte waren Gewalttaten, darunter Körperverletzungen, Brandanschläge und versuchte Tötungen. Auch hier ein Anstieg von über 17 % binnen eines Jahres. Im Schnitt viermal am Tag wird ein Mensch in Deutschland Opfer einer rechten Gewalttat.

Für die Amadeu Antonio Stiftung ist klar: Wir stehen nicht mehr vor einem regional begrenzten Problem, sondern vor einem flächendeckenden Gefahrenherd. „Die reale Bedrohung durch Rechtsextreme ist größer denn je – und sie betrifft insbesondere junge Menschen, Minderheiten und Engagierte“, warnt Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Stiftung.

Fokus verfehlt: Wenn Migration zum Ablenkungsmanöver wird

Trotz dieser Zahlen kreisen politische Debatten weiterhin fast ausschließlich um das Thema Migration. Dabei weisen Innenminister*innen seit Jahren darauf hin: Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für die innere Sicherheit in Deutschland. Und doch fehlt vielerorts der politische Wille, diese Bedrohung konsequent zu bekämpfen.

Hinzu kommt: Rechte Gewalt ist längst keine Randerscheinung mehr. Sie ist bittere Realität – auf den Straßen, im Netz und mitten im Alltag. Täter fühlen sich im Windschatten der AfD und die Allgegenwart von Hassrede ermutigt, ihre Ideologie mit Gewalt durchzusetzen. Der omnipräsente Hass ist zum Brandbeschleuniger geworden, Desinformation zum Treibstoff.

Jugendliche im Visier rechter Netzwerke

Besonders besorgniserregend ist die zunehmende Radikalisierung junger Menschen. Ob in Online-Foren, Kampfsportkreisen oder über rechtsextreme Influencer – extrem rechte Netzwerke gewinnen an Einfluss. Ihre Feindbilder: Junge Demokrat*innen, queere Menschen, People of Color. Wer nicht dazugehört – wird gejagt. Das Resultat: Angriffe auf andere Jugendliche und organisierte Gewalt bei Demos. Wir sind nicht weit entfernt vom rechtsextremen Straßenterror der „Baseballschlägerjahre“ der 1990er.

Die Folgen sind spürbar. Demonstrationen wie CSDs mussten abgesagt oder massiv eingeschränkt werden. Jugendclubs wurden angegriffen, als wären sie feindliches Terrain. Was hier passiert, ist keine Spontanaktion, sondern Teil einer gezielten Einschüchterungsstrategie.

Queeres Leben wird zur Zielscheibe

Vermehrt werden Menschen aufgrund ihres Geschlechts und/oder ihrer sexuellen Orientierung zu Opfern von Straftaten, das erleben wir nicht nur öffentlichkeitswirksam bei CSDs. Queer*- und Trans*feindlichkeit geht in den allermeisten Fällen von Rechtsextremen, mündet in Gewalt und bleibt gesellschaftlich anschlussfähig.

Die Räume für Jüdinnen und Juden werden kleiner

Bei antisemitischen Straftaten bleibt zu befürchten, dass wir niemals auf das pre-Pandemie Niveau zurückkommen. Die Bedrohung für Jüdinnen*Juden bleibt akut, auch wenn die meisten Straftaten (48%) von Rechtsextremen begangen werden, sind mittlerweile mehr als ein Drittel der Straftaten auf gefährliche Misch-Milieus aus Islamisten und Antiimperialisten zurückzuführen.

Opferberatungen betonen Dunkelziffer

Die Zahlen von Opferberatungsstellen über das Ausmaß rechter Gewalt in Deutschland liegen weit über den staatlich registrierten Straftaten. Opferverbände verzeichnen einen Anstieg rechter Gewalt um 24 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Sie bewerten die gestiegene rechte Gewalt als direkten Effekt des parteiförmigen Rechtsextremismus und ihrer Politikforderungen. Also von Parteien wie der AfD, die politische Debatten über das Wahljahr prägten.

Was jetzt passieren muss

Rechte Gewalt ist kein unlösbares Schicksal. Aber sie braucht eine klare Antwort – politisch, juristisch und zivilgesellschaftlich. Die Amadeu Antonio Stiftung fordert:

  • Einen nationalen Aktionsplan gegen rechte Gewalt, der ressortübergreifend arbeitet und neue Radikalisierungstrends wie den sogenannten Patchworkextremismus mitdenkt.
  • Verbindliche Schutzkonzepte für demokratisch Engagierte, NGOs und bedrohte Minderheiten.
  • Eine Reform des Opferentschädigungsrechts, die Betroffenen schnell, unkompliziert und wirksam hilft.

„Wo engagierte Menschen bedroht werden, drohen weiße Flecken der Demokratiearbeit zu entstehen“, so Reinfrank. „Fördermittel werden gestrichen, Aktive ziehen sich zurück – genau das dürfen wir nicht zulassen.“

Zeit zu handeln – nicht zu reden

Demokratie schützt sich nicht von selbst. Es braucht klare Kante gegen rechte Gewalt – und eine Bundesregierung, die nicht länger nur beobachtet, sondern handelt. Denn jedes Zögern kostet Sicherheit, Vertrauen und am Ende auch Menschenleben.

Tacheles

[tacheles_4]: „Holocaust-Überlebende sind keine eindimensionalen Figuren” 

Historiker Dr. Daniel Schuch im Interview zu 80 Jahren Kriegsende und dem deutschen Verlangen nach versöhnlichen Geschichten von Zeitzeug*innen.

2025 feiert Deutschland den 80. Jahrestag der Kapitulation der Nationalsozialisten und somit das Ende des Zweiten Weltkriegs. Wie erinnern, gedenken und reden wir heute über den Holocaust? Wer gestaltet das Erinnern? Was hat sich nach dem Auffliegen des NSU-Kerntrios und dem rechtsextremen Terror von München, Halle und Hanau in der Erinnerungskultur geändert? Wie vernetzen sich Betroffene und Überlebende rechtsextremer Gewalt heute? Wo kommen die verschiedenen Formen der Erinnerung zusammen? Um all das geht es in der vierten Ausgabe von [tacheles].

Die Erinnerungskultur zum Nationalsozialismus wurde stark durch Zeug*innenschaft von Holocaust-Überlebenden geprägt. Doch Erwartung und Anspruch an die Überlebenden und ihre Erzählungen wandeln sich seit 80 Jahren ständig. Über diese Transformationen und die Geschichte von dem, was wir heute unter Zeitzeug*innenschaft verstehen, reden wir für [tacheles_4] mit dem Historiker Dr. Daniel Schuch.

Belltower.News: Wir blicken auf 80 Jahre Kriegsende zurück. Was hat sich seitdem verändert mit Blick auf die Stimmen und Geschichten von Holocaust-Überlebenden, gerade wenn man an Zeitzeug*innengespräche denkt?

Dr. Daniel Schuch: Zeug*innenschaft von Überlebenden der nationalsozialistischen Verfolgung ist unglaublich vielfältig. Erste Überlebendenberichte von politischen Gefangenen sind bereits seit den ersten Konzentrationslagern ab 1933 dokumentiert. Nach Kriegsende stand vor allem die Beweissammlung für Gerichtsprozesse im Vordergrund. Schriftliche Berichte über die Shoah wurden hauptsächlich von Jüdischen Historischen Kommissionen in ganz Europa aufgezeichnet. Die ersten systematisch angefertigten Audio-Interviews mit Überlebenden entstanden 1946 durch den Psychologen David P. Boder aus einem sozialpsychologischen Interesse an Traumaforschung heraus. 

Und heute?

Heute  haben Zeitzeug*innenengespräche in Schulen oder Gedenkstätten bzw. in den Videointerviews dieser Zeug*innenschaft gänzlich andere Ziele. Der deutsche Begriff des Zeitzeugen/der Zeitzeugin vereint Berichte von so diversen Personen wie der in Bergen-Belsen ermordeten Anne Frank, der Shoah-Überlebenden Margot Friedländer mit Erzählungen von Wehrmachtsangehörigen oder Dissident*innen. Alle diese Personen sind Zeug*innen ihrer Zeit und dadurch ist der Begriff letztlich völlig unbrauchbar für eine kritische historische Differenzierung. Gleichzeitig geraten die persönlichen Erfahrungen von Holocaust-Überlebenden oftmals nahezu in den Hintergrund. Im Format der Zeitzeug*inneninterviews sollen Überlebende explizit moralische Lehren für die Gegenwart und Zukunft formulieren, etwa im Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus oder Krieg. Die Zuhörenden erwarten dann möglichst versöhnliche Geschichten. Die Rolle des sogenannten Zeitzeug*innen ist in diesen Interviews oft sehr eindimensional.

Das steht konträr zu frühen Zeugnissen aus der Zeit unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Dort wurde auch Rache und Hass gegen die Deutschen thematisiert, es ging explizit um kein Vergessen, aber auch kein Vergeben. 

Im Endeffekt gab es in den letzten 80 Jahren diverse Transformationen, wie wir das, was die Überlebenden berichten, interpretieren oder verwenden. Ich sehe eine große Gefahr darin, dass deren Erinnerungen und Erzählungen zur bloßen moralischen Geste werden und wir uns nicht mit den komplexen Erfahrungen der NS-Verfolgung auseinandersetzen.

Wie kam es zu diesem Wandel?

Zeug*innenberichte gab es wie bereits erwähnt bereits unmittelbar nach dem Kriegsende 1945. Als mediale Figur, als sogenannte ‚moralische Zeug*innen’, tauchten Shoah-Überlebende prominent beim Eichmann-Prozess 1961 in Israel auf. Der Prozess basierte größtenteils auf Opferzeug*innen, die als Überlebende eine jüdische Perspektive auf die Shoah darstellen sollten. Ihnen wurde die Autorität zugesprochen, eine moralische Botschaft zu vermitteln, also der Welt etwas Sinnvolles aufgrund ihrer Leiderfahrung mit dem ultimativ Bösen mitzugeben. Diese Form der Idealisierung von Überlebenden bis hin zur Identifikationsfigur hat wiederum innerhalb der kollektiven Erinnerung in Israel, den USA, aber auch in Deutschland eine wichtige Rolle gespielt.

Gab es einen unterschiedlichen Umgang mit Holocaust-Überlebenden in der DDR und BRD?

Ja. In der DDR spielten vor allem kommunistische, sogenannte politische Gefangene eine wichtige Rolle. Sie waren beispielsweise unmittelbar am Aufbau von KZ-Gedenkstätten beteiligt. Das zeigt: Es gab durchaus eine Wertschätzung von NS-Überlebenden, doch gleichzeitig auch eine gezielte Konkurrenz der Opfer. Der autoritäre SED-Staat unterschied beispielsweise in Kämpfer gegen den Faschismus oder Opfer des Faschismus, materiell ging es dann um konkrete Fragen wie etwa die Höhe der jeweiligen Opferrenten. Überlebende waren zwar öffentlich präsent, aber eben nur eine ganz bestimmte Gruppe von politischen Überlebenden. Jüdinnen und Juden, Sinti*zze, Rom*nja und andere Verfolgtengruppen mussten sich ihren Platz innerhalb des staatlichen Antifaschismus erkämpfen.

Und wie war es in der BRD?

In der alten Bundesrepublik hatten Überlebende große Schwierigkeiten, in der Öffentlichkeit überhaupt Anerkennung zu finden. Vor allem als Kommunisten Verfolgte mussten gegen den staatlichen und gesellschaftlichen Antikommunismus ankämpfen. Was jedoch verbindend zwischen BRD und DDR war, ist, dass bestimmte Verfolgtengruppen komplett ausgegrenzt und weiterverfolgt wurden, beispielsweise als homosexuell oder „asozial“ Verfolgte oder Sinti*zze und Rom*nja. Zwangsarbeiter*innen mussten jahrzehntelang um letztendlich lächerlich kleine Summen finanzieller Entschädigungen kämpfen. Das heißt, es gab in der BRD und DDR verschiedene Überlebendengruppen, die unterschiedliche Anerkennung erfahren haben. Und auch das ist dann eine Frage von Nutzbarmachung: Wie gingen Staat und Gesellschaft eigentlich mit welchen Überlebenden um?

Wie gestaltet sich das Erinnern seit der Wiedervereinigung?

In der Post-Wende-Zeit kam es in Deutschland zu einer starken Anerkennung von Holocaust-Überlebenden und schrittweise auch von anderen ehemaligen Verfolgtengruppen. Diese Anerkennung mussten sich viele Betroffenen allerdings über erbitterte Proteste und Gerichtsverfahren erkämpfen und sie kam für viele auch Jahrzehnte verspätet und zu einem Zeitpunkt, an dem die meisten Überlebenden bereits verstorben waren. Dann erübrigte sich auch die Frage nach einer finanziellen Entschädigung. 

Wie spielen Zeug*innenschaft und Erinnerungskultur zusammen?

Zeugenschaft ist längst ein zentraler Bestandteil dessen, was wir seit den 1990er Jahren mit dem Begriff der Erinnerungskultur bezeichnen. Das meint all jene Phänomene, wie wir als Gesellschaft die Vergangenheit deuten und in verschiedenen Formen öffentlich verhandeln. Anhand der westdeutschen Nachkriegsgeschichte wird deutlich, dass die Stimmen der Überlebenden in der Erinnerungskultur der Mehrheitsgesellschaft kaum eine Rolle gespielt haben und öffentlich ausgeblendet wurden. Sie waren schlichtweg unerwünscht. Damals ging es primär um „Vergangenheitsbewältigung“, die durch die Deutschen als vermeintliche Opfer des Nationalsozialismus und eine überaus präsente Darstellung deutscher Widerstandskämpfer*innen geprägt war. Zumeist bedeutete das einen Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit, in Ost wie West. Daraus resultierte eine eindimensionale, oberflächliche und bequeme Auseinandersetzung mit der NS-Zeit, die die Stimmen der Verfolgten kaum wahrnehmen wollte. Seit nunmehr 40 Jahren wird zudem über das „Ende der Zeitzeugenschaft“ und die Bedeutung des Ablebens der letzten Zeug*innen kontrovers diskutiert.

Wie sollte Erinnerungskultur aussehen, die eine kritische Aufarbeitung und ein angemessenes Gedenken an den Holocaust fördert?

Ein Erfolgsrezept für eine selbstkritische Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Holocaust habe ich nicht parat. Wir müssen definitiv davon wegkommen, entweder nur die Perspektive der Täter*innen einzunehmen oder uns nur mit den Opfern zu identifizieren. Wir können uns in der Forschung etwa nicht nur schriftliche NS-Dokumente anschauen, um darüber den Nationalsozialismus und seine Verbrechen zu verstehen. Dazu brauchen wir die Perspektiven der Täter*innen, der Mehrheitsgesellschaft und eben auch der Verfolgten. 

Und hier ist die größte Stärke, dass wir die Perspektive von Verfolgten durch zehntausende Interviews und andere Zeugnisse rekonstruieren und damit auch pädagogisch arbeiten können. Deren Berichte müssen wir jedoch zu einem multiperspektivischen Blick auf den Nationalsozialismus verarbeiten, um begreifen zu können, wie der Holocaust überhaupt möglich war. Der Holocaust-Überlebende und Historiker Saul Friedländer formulierte diesen Ansatz bereits in den frühen 2000er Jahren als eine „integrierte Geschichte des Holocaust”. Ziel ist eine Gesamtdarstellung, die die Verflechtungen zwischen Tätern, Opfern und der Gesellschaft sowie die Reaktionen und Wahrnehmungen der Betroffenen berücksichtigt – nicht als getrennte Geschichten, sondern als eng miteinander verflochtene historische Prozesse.

Dafür sollten wir auch unsere Erwartungshaltung an die NS-Überlebenden und ihre Erzählungen überdenken. Wir müssen aufhören, Überlebende als eindimensionale, idealisierte Figuren zu betrachten, denn sie hatten und haben ganz unterschiedliche Positionen und Geschichten. Und die sollten und müssen wir ernst nehmen für eine tiefgreifende Aufarbeitung des Holocaust als längst hinfälliger Teil deutscher Erinnerungskultur. Im besten Falle bleibt bei dieser Auseinandersetzung ein Gefühl der Verunsicherung zurück. Reine Erfolgsgeschichten der deutschen Aufarbeitung nach 80 Jahren Kriegsende gilt es indes kritisch zu hinterfragen.

 

Dr. Daniel Schuch ist Historiker und Kurator. Er arbeitet seit 2020 am Lehrstuhl für Geschichte in Medien und Öffentlichkeit an der Universität Jena. 2021 wurde seine Doktorarbeit im Wallstein Verlag unter dem Titel „Transformationen der Zeugenschaft“ publiziert, das Buch wurde mit dem Irma Rosenberg Preis ausgezeichnet. Seit 2024 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Forschungsprojekt „KZ-Gedenkstätten als Bühnen der Systemkonkurrenz. Antifaschistische Verflechtungsgeschichten in Zeiten des Kalten Krieges”.



Interview

Antisemitismus als Kulturtechnik: ASK die interaktive Recherche- und Interviewplattform

Was ist die kulturelle Funktion von Antisemitismus? Durch welche neuen und tradierten Erzählungen sickern die Ideologieelemente des Antisemitismus in die Gesellschaft? Reüssiert das antisemitische Weltbild in den Bildern der Kunst? Welche Rolle spielen dabei aktuelle Konflikte und Debatten um die Erinnerung?

Antisemitismus als Kulturtechnik“ (ASK) ist ein wachsendes, interaktives Interviewarchiv und ein Recherchetool zu Antisemitismus. ASK versammelt Gespräche mit einschlägigen Expert*innen und stellt vertiefendes Material zu den kulturellen Dimensionen des Antisemitismus bereit. Dabei legt das Projekt seinen Fokus auf die Funktion und die Kontinuität des Antisemitismus und untersucht das Binnenverhältnis von Antisemitismus und Kultur.

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ASK – Stimmen gegen Antisemitismus
In unserer Interviewreihe „ASK“ kommen unterschiedliche Expert*innen, Künstler*innen und Aktivist*innen zu Wort, um Antisemitismus aus vielfältigen Perspektiven zu beleuchten. Saba-Nur Cheema thematisiert Antisemitismus als kulturelle Prägung und warnt vor einer zunehmend polarisierten Debatte. Tobias Ebbrecht-Hartmann analysiert die Bildstrategien der Hamas und deren gezielte Inszenierung der Gewalt vom 7. Oktober. Ronya Othmann kritisiert doppelte Standards im internationalen Kulturbetrieb beim Umgang mit sexualisierter Gewalt gegen Jüdinnen und Juden. Düzen Tekkal spricht über persönliche und politische Reaktionen auf den Terror und ruft zur Verteidigung der Menschenrechte auf. Anetta Kahane beleuchtet die gesellschaftliche Latenz antisemitischer Einstellungen, während Benjamin Steinitz aufzeigt, wie Antisemitismus demokratische Werte angreift und Menschenrechte instrumentalisiert werden. Auch Natan Sznaider, Kateryna Mishchenko, Volker Weiß und Mirjam Zadoff geben Einblick in erinnerungspolitische Spannungen, ideologische Kontinuitäten und internationale Diskursverschiebungen. Gemeinsam machen sie deutlich: Antisemitismus ist ein vielschichtiges Problem – und seine Bekämpfung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

WAS KANN ASK? ASK ist eine Sammlung von Videointerviews und ein Recherchetool. Die Videos lassen sich textbasiert durchsuchen und sind verknüpft mit vertiefendem Zusatzmaterial. Alle Inhalte sind auch über die Personensuche erreichbar. Beim Klick auf eine Person, wird das mit ihr zusammenhängende Video und Zusatzmaterial automatisch markiert.

ASK wurde vom Forum demokratische Kultur und zeitgenössische Kunst (Forum DCCA) produziert und durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) gefördert. Das Forum DCCA ist ein Projekt der Amadeu Antonio Stiftung.

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