Mit ihrer Bundestagsanfrage „Politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen“ hat die Unionsfraktion eine massive Misstrauenskampagne gegen die demokratische Zivilgesellschaft lanciert. 551 Fragen zu 14 NGOs zielten darauf ab, deren Gemeinnützigkeit infrage zu stellen. Nun hat die Bundesregierung geantwortet – und klargestellt: Zivilgesellschaftliches Engagement ist rechtlich abgesichert und demokratiepolitisch erwünscht!
Von Luisa Gehring
Was war geschehen?
Am 21. Februar 2025, nur zwei Tage vor der Bundestagswahl, hat die Fraktion der CDU/CSU im Bundestag eine Anfrage mit dem Titel „Politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen“ in den Bundestag eingebracht. In 551 Fragen wird die Gemeinnützigkeit von NGOs wie Omas Gegen Rechts, Campact, Greenpeace, CORRECTIV, Foodwatch und der Amadeu Antonio Stiftung infrage gestellt. Auffällig ist, dass der Rundumschlag gegen die demokratische Zivilgesellschaft Organisationen trifft, die sich für Umweltschutz sowie Freiheitsrechte einsetzen und über Rechtsextremismus aufklären.
Die Anfrage wurde breit kritisiert: Neben Parteien wie SPD, Gründe und Linke kritisierten vor allem die betroffenen Organisationen die Kampagne: „Das Ziel dieser parlamentarischen Anfrage ist es, die Förderwürdigkeit der betroffenen Organisationen infrage zu stellen. Damit sollen NGOs in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt und sie mundtot gemacht werden“, sagte Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung. Chris Methmann, Geschäftsführer von Foodwatch erklärte: “Es geht der Union darum, unbequeme Stimmen einzuschüchtern.”
Union unterstellt einseitig Einflussnahme auf politische Willensbildung
Fraktionsvize Mathias Middelberg (CDU) verteidigte die Anfrage gegen Kritik: Die Prüfung der rechtmäßigen Verwendung von Steuermitteln der Allgemeinheit sei eine Kernaufgabe des Parlaments. Dabei macht die Union in ihrer Anfrage keinen Hehl daraus, dass sie sich nur gegen einen bestimmten Teil staatlich geförderter Projekte richtet und der damit verbundene Vorwurf politisch motiviert ist: “Proteste gegen die CDU, die teils von gemeinnützigen Vereinen oder staatlich finanzierten Organisationen organisiert oder unterstützt wurden”, würden gegen eine politische Neutralität verstoßen, heißt es dort. Gemeint sind mutmaßlich die Demonstrationen hunderttausender Menschen gegen Rechtsextremismus nach einem politischen Dammbruch: der gemeinsamen Abstimmung von Union, FDP und AfD für einen verschärften Kurs in der Migrationspolitik Ende Januar.
Dementsprechend sind Fragen zur staatlichen Finanzierung konservativen oder wirtschaftsliberalen Organisationen in der Anfrage nicht zu finden. Der deutsche Bauernverband beispielsweise – eine der mächtigsten Lobbyorganisationen Deutschlands – erhielt 2023 laut Lobbyregister des Bundestages mindestens 1,7 Millionen Euro aus öffentlicher Hand. Die vom deutschen Bauernverband initiierten Bauernproteste bleiben alles andere als demokratisch in Erinnerung: “Vorrangig scheint es bei den Bauernprotesten seit 2023 nicht mehr um fachliche Kritik an der staatlichen Politik zu gehen, sondern darum, eine starke regierungsfeindliche Protestlobby aufzubauen, die sich radikalisiert, auch gewaltbereit auftritt und sich mit rechten Protestströmungen vereint, analysiert Rechtsextremismus-Expertin Andrea Röpke in einem Interview mit belltower.news.
Mit Fragen wie “Wie definiert die CORRECTIV gGmbH ihre gemeinnützigen Tätigkeiten, und wie grenzt sie sich von parteipolitischer Einflussnahme ab?”, “Gibt es Fälle, in denen der Verein Campact e. V. explizit für oder gegen eine Partei geworben hat?” oder “Haben die Kampagnen der Amadeu Antonio Stiftung nach Einschätzung der Bundesregierung direkte Auswirkungen auf Wahlergebnisse oder politische Entscheidungen?” soll, verkleidet im Gewand einer parlamentarischen Anfrage, die kritische Zivilgesellschaft in ihre Schranken gewiesen werden.
Rückendeckung aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft
In Reaktion auf die kleine Anfrage hat sich die Zivilgesellschaft geschlossen hinter die betroffenen NGOs gestellt und deutlich gemacht: Gemeint sind wir alle! Mehr als eine halbe Million Menschen haben die Petition “Angriff auf die Zivilgesellschaft verteidigen” unterzeichnet, die vor dem Hintergrund der Koalitionsverhandlungen an die SPD übergeben wurde.
Namhafte Akteure wie der Bundesausschuss politische Bildung (bap), der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Bundesverband Deutscher Stiftungen, Maecenata Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Rudolf Augstein Stiftung, Schöpflin Stiftung oder der Deutsche Journalisten Verband (DJV) haben sich mit Stellungnahmen hinter die betroffenen Organisationen gestellt.
Auch aus der Wissenschaft gab es Rückenwind: Über 2300 Wissenschaftler*innen schlossen sich einer Stellungnahme an, in der betont wird, dass Gemeinnützigkeit nicht mit politischer Enthaltsamkeit einhergeht: Zivilgesellschaftliche Organisationen unterliegen weder einem Neutralitäts- noch einem Mäßigungsgebot!
Eine mediale Diffamierungskampagne gab den Ton vor
Die Unionsfraktion beruft sich in ihrer Anfrage auf einen Bericht der Zeitung “Welt”, welcher wiederum auf sogenannten “Recherchen” der rechtsalternativen Medienplattform “Nius” beruht und beruft sich auf “Stimmen”, die “in den Nichtregierungsorganisationen (NGOs) eine Schattenstruktur (sehen), die mit staatlichen Geldern indirekt Politik betreibt”, unterstellt ihnen Wahlkampfunterstützung und wittert parteipolitische Stimmungsmache.
Die Unterstellung, dass zivilgesellschaftliche Organisationen als verlängerter Arm einer politischen Agenda wirken oder gar eine Parallelstruktur zur Regierung bilden, ist nicht nur falsch, sondern hochproblematisch. Narrative wie Verschwörungserzählung des “Tiefen Staates“ stammen aus dem verschwörungsideologischen und rechtsextremen Spektrum und wurden in der Vergangenheit gezielt genutzt, um demokratische Akteure zu diskreditieren. Ein Blick über die deutschen Staatsgrenzen hinweg zeigt: Die Schwächung der Zivilgesellschaft gehört zum kleinen 1×1 von Autokraten. Ob Donald Trump in den USA, Wladimir Putin in Russland, Viktor Orban in Ungarn oder Javier Miliei in Argentinien, sie alle haben schon vor langer Zeit mit der Verunglimpfung zivilgesellschaftlicher Organisationen begonnen.
Bundesregierung weist Vorwürfe unmissverständlich zurück
Am 12. März 2025 veröffentlichte die Bundesregierung ihre Antwort auf den Fragenkatalog der Unionsfraktion. Schon in ihrer Vorbemerkung bezieht sie bemerkenswert eindeutig Stellung: Zivilgesellschaftliches Engagement ist nicht nur rechtlich abgesichert, es ist auch demokratiepolitisch ausdrücklich erwünscht.
“Der freiheitliche demokratische Verfassungsstaat lebt von zivilgesellschaftlichem Engagement für ein friedliches und respektvolles Zusammenleben und dem Einsatz gegen menschen- und demokratiefeindliche Phänomene. Es ist die Verantwortung des Staates, im Rahmen einer wehrhaften Demokratie für den Erhalt der freiheitlichen demokratischen Grundordnung einzutreten. Hierzu zählt auch die aktive und passive Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements”.
Die Bundesregierung betont, mit Blick auf die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus, dass das Recht auf Versammlungsfreiheit ein Grundrecht ist – das auch vor Wahlen nicht eingeschränkt ist. Im Gegenteil:
Die “Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe” ist “für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung konstituierend”.
Zivilgesellschaftliche Organisationen, auch staatlich geförderte, dürfen sich entsprechend positionieren:
“Verlautbarungen jenseits der konkreten staatlich geförderten Projektumsetzung sind Ausdruck einer Grundrechtsausübung, die die vollziehende Gewalt zu gewährleisten, nicht zu beschneiden, hat.”
Ist das noch gemeinnützig?
In ihrer Antwort betont die Bundesregierung, dass der Bundesfinanzhof schon in der Vergangenheit bestätigt hat, dass gemeinnützige Organisation politisch sein dürfen. Und das dürfen sie auch, wenn politische Themen nicht der Kern ihres Handelns sind.
In diesem Zusammenhang verweist die Bundesregierung auf geltende Rechtsprechung und betont, dass es
“nicht zu beanstanden ist, wenn eine steuerbegünstigte Körperschaft außerhalb ihrer Satzungszwecke vereinzelt zu tagespolitischen Themen Stellung nimmt”.
Ein Sportverein beispielsweise darf sich durchaus für Klimaschutz oder gegen Rassismus aussprechen, ohne die eigene Gemeinnützigkeit zu gefährden.
Keine “Schattenstruktur” von NGOs
Auch dem von der Unionsfraktion verbreiteten Narrativ eines „Deep State“ widerspricht die Bundesregierung: Sie sieht “keine Anhaltspunkte für die in der Kleinen Anfrage enthaltene Behauptung”.
Viele der von der Union abgefragten Informationen zur staatlichen Finanzierung zivilgesellschaftlicher Organisationen sind durch das 2022 eingeführte Lobbyregister beim Bundestag öffentlich einsehbar. Allein schon wegen dieser umfangreichen Transparenzverpflichtungen, denen der Staat gegenüber seinen Bürger*innen bereits nachkommt, ist der Vorwurf einer “Schattenstruktur” unhaltbar. Die entsprechenden Fragen lassen sich daher weniger als Gegenstand einer parlamentarischen Kontrolle, sondern vielmehr als parteipolitisches Manöver entlarven. Fragen zu Förderhöhen und den zugehörigen staatlichen Fördertöpfen wären durch die Unionsfraktion mit wenig Aufwand selbst zu beantworten.
“Es ist nicht Bestandteil der parlamentarischen Kontrollfunktion des Bundestages […] frei verfügbare Informationen durch die Bundesregierung zusammentragen und anschaulich aufbereiten zu lassen.”, erklärt die Bundesregierung dazu.
Demokratieförderung auf sichere Beine stellen!
Die Misstrauenskampagne der Union im Bundestag macht bereits Schule: Auch auf Landes- und Kommunalebene wird versucht, Organisationen ihren Gemeinnützigkeit abzuerkennen und ihnen damit Fördermittel zu entziehen. In Lübeck (Schleswig-Holstein) fragt die CDU in einer Kleinen Anfrage im Kreistag nun auch die politische Neutralität von Buchläden, dem AStA, einer Schüler*innenvertretung und politischen Parteien ab. In Sachsen-Anhalt stellte die FDP-Landtagsfraktion erst Mitte März eine Kleine Anfrage, in der sie ebenfalls abfragt, wie viel staatliche Förderung NGOs im Land erhalten.
Zuletzt hatte in Salzwedel eine Mehrheit aus CDU, AfD und der Freien Faktion eine bereits zugesagte Förderung von 700.000 Euro aus dem Bundesprogramm “Demokratie leben!” abgelehnt. Das Geld wäre in den Ausbau der Jugendbeteiligung sowie in eine Koordinierungsstelle für Demokratieförderung geflossen.
Die neue Bundesregierung wird sich an ihrem Umgang mit der Zivilgesellschaft messen lassen müssen. Was es jetzt braucht, ist eine langfristige und zuverlässige Absicherung zivilgesellschaftlicher Organisationen, damit NGOs auch in Zukunft vor Angriffen geschützt sind. Noch besteht die Chance, durch eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts zivilgesellschaftliches Engagement rechtssicher und nachhaltig zu schützen.
Zivilgesellschaftliche Organisationen bilden das Bindeglied zwischen Staat und Gesellschaft. Sie tragen zur demokratischen Aufklärung, Willensbildung sowie Konfliktaustragung bei. In Zeiten rechtsextremer Landnahme ist Zivilgesellschaft kein Luxus, sondern Notwendigkeit.